Spurensicherung: Dickes Brett flächendeckende Hilfe
In ganz Schleswig-Holstein sollen Opfer von Gewalttaten anonym Spuren sichern lassen können. Detailfragen sind aber weiterhin ungeklärt.
KIEL taz | Opfer einer Vergewaltigung wollen die Spuren der Tat eigentlich schnellstens tilgen: „Der erste Impuls ist duschen“, sagt Angela Hartmann vom Landesverband Frauenberatung in Schleswig-Holstein. Aber für ein mögliches Strafverfahren braucht es Beweise.
Damit Dinge wie Spermaproben oder Bilder von Verletzungen gerichtssicher dokumentiert und aufbewahrt werden, muss heute in der Regel eine Anzeige vorliegen. Häufig sind Gewaltopfer direkt nach der Tat aber zu erschüttert, um sich für so einen Schritt zu entscheiden, vor allem, wenn der Täter aus dem Bekannten- oder Familienkreis stammt. Abhilfe schafft die „Anonyme“ oder „Vertrauliche Spurensicherung“: Das Verfahren erlaubt es ÄrztInnen, Tatspuren auch ohne Anzeige zu dokumentieren. In Schleswig-Holstein sind im Prinzip alle Parteien im Landtag dafür, die Methode flächendeckend einzuführen. Aber seit gut einem Jahr wird über Details gestritten.
Zurzeit können Gewaltopfer in den Rechtsmedizinischen Instituten der Uniklinik in Kiel und Lübeck sowie in Elmshorn als Außenstelle des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf vertraulich Spuren sichern und speichern lassen. Geht es nach einem Gesetzesentwurf, der zurzeit von den Landtagsfraktionen beraten wird, soll es in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt in Schleswig-Holstein eine Anlaufstelle geben.
Vorstöße und Modellprojekte für "Anonyme" oder "Vertrauliche Spurensicherung" gibt es in fast allen Bundesländern, so eine Studie der Frauennotrufe in Nordrhein-Westfalen.
Rechtsmedizinische Institute sind in der Regel die erste Station, dort werden meist auch die Befunde gelagert, so auch in Hamburg sowie in Mecklenburg-Vorpommern an den Standorten Greifswald, Rostock und Schwerin. Angedockt an die Rechtsmedizinischen Institute in Hannover und Oldenburg ist in Niedersachsen das "Netzwerk Probebeweis".
Dokumentation und Lagerung in Kliniken, ein besonderes Modell, gibt es in Bremen. Träger ist hier der "Arbeitskreis Bremer Modell".
Ein "Frankfurter Modell", bei dem Spuren in sieben Krankenhäusern in der Stadt und im Umkreis gesichert werden, ist Anfang 2013 gestartet.
Für Wolfgang Dudda von der Piratenfraktion und Katja Rathje-Hoffmann (CDU) – die treibenden Kräfte hinter dem Antrag, den am Ende möglichst alle Fraktionen mittragen sollen – wäre das sogar mehr, als sie am Anfang zu hoffen gewagt hatten. Beide sehen das breite Bündnis für die Opferhilfe als einen Beweis für die gute Zusammenarbeit im Parlament – nur passiert ist eben noch nichts.
Das liegt auch daran, dass viele Sachfragen nicht geklärt sind. So sollen laut dem Antrags-Entwurf vor allem die „Kliniken der Regelversorgung“ für die Spurensicherung zuständig sein, also die kommunalen oder privaten Krankenhäuser. Bernd Krämer von der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein findet das Anliegen zwar gut, möchte die Last aber nicht allein bei den Kliniken sehen: Auch Praxen sollten einbezogen werden, sagt er. „Wir möchten vor allem, dass die Vorschriften klar sind“, so Krämer weiter. „Gerichtsfeste Dokumentation geht nicht nach Lust und Laune.“ Dabei spielten auch die Rechte des mutmaßlichen Täters eine Rolle: „Wenn es keine Spuren gibt, sollte auch das dokumentiert werden“, sagt Krämer. Sowohl für die fachliche Arbeit wie auch den richtigen Umgang mit Gewaltopfern brauche es Schulungen für das Personal.
Und damit kommt die Kostenfrage ins Spiel. „So ein Spurensicherungs-Kit kostet vielleicht nur einige Euro, aber wenn man den Zeitaufwand und die Personalstunden mitrechnet, summiert es sich leicht auf einige Hundert“, fürchtet Krämer. Ungeklärt sind weitere Fragen: Wo genau sollen die Proben gelagert werden? Wer hat Zugang? Welche Fristen gelten bis zu ihrer Vernichtung?
Nicht nur in Schleswig-Holstein wird über solche Fragen gestritten, das ergab eine bundesweite Umfrage der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauennotrufe in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2011. Nordrhein-Westfalen führt bei der Zahl der Modellprojekte und regionalen Konzepte für die Spurensicherung, aber in fast allen Bundesländern gibt es Vorstöße (siehe Kasten). In einigen Orten tragen die Kliniken die Finanzlast, anderswo die Polizei, die Rechtsmedizin oder der örtliche Kriminalpräventive Rat. Extra-Kosten für Flyer, Öffentlichkeitsarbeit oder Beratung werden teils aus Spenden oder den allgemeinen Budgets der beteiligten Organisationen bezahlt.
„Auf keinen Fall sollen am Ende die Opfer selbst zahlen müssen“, betont Angela Hartmann vom Landesverband Frauenberatung in Schleswig-Holstein. Sie könnte sich anstelle von Kliniken oder Praxen ein fahrbares Labor vorstellen, das zu den Frauen kommt. Das könne unter dem Strich günstiger sein als Standorte in allen Kreisen und kreisfreien Städten des Landes.
Die lange Wartezeit auf einen Gesetzesentwurf sieht die Koordinatorin der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenberatungsstellen eher gelassen: „Wir sind es gewohnt, dicke Bretter zu bohren.“
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