Springers "Medienarchiv 1968": Heischen nach später Genugtuung
Der Axel Springer Verlag hat ein Internetarchiv mit Artikeln von 1966 bis 1968 eröffnet. Er will zeigen, wie er damals über die Studentenrevolte berichtete - und mit Vorurteilen aufräumen.
"Dutschke dreht an einem dollen Ding …" steht über dem großen ersten Text, den die B.Z. über den "SDS-Chefideologen" brachte. "Schwarze Strähnen in der Stirn. Stechende Augen unter buschigen Brauen. Lederjacke und Pullover - Rudi Dutschke vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund sieht aus wie der leibhaftige Bürgerschreck." Mit süffisantem Unterton berichtet Udo Bergdoll an diesem 21. Dezember 1966 über einen Auftritt des "als Zonenflüchtling nach Berlin" Gekommenen in einer Schulaula, wo er sich "für Maos Rote Garden in die Bresche" wirft: "Wo er als geistiger Führer der Berliner ,Provos' auf ein Podium steigt, da wimmelt es von Polizisten und ,Geheimen'." Immer "heftiger wird die Diskussion", schreibt Bergdoll, der später lange Jahre für die Süddeutsche Zeitung aus der alten Bundeshauptstadt Bonn berichten wird: "Dutschke beschwört die Erzväter des Marxismus. Dem Hausmeister der Schule wird angst und bange. Auch er führt einen Kampf. Gegen die Raucher in der Aula. Ab und zu taucht er gestikulierend zwischen dem Vorhang hinter dem Podium auf. Doch die 500 Zuschauer hängen an Dutschkes Lippen."
Damit hat das nun zugängliche 1968er-Archiv des Axel Springer Verlags zumindest eins schon mal bewiesen: In der B.Z. wurde früher besser geschrieben.
Doch es geht um mehr: Nun soll die große gesellschaftliche Debatte anbrechen, angestoßen von zwei heute auch nach damaligen Maßstäben vorbildlich angezogenen Anzugträgern: dem nachgeborenen Springer-Chef Mathias Döpfner und Welt-Chefredakteur Thomas Schmid. Letzterer war 1968 noch selbst beim Anti-Springer-Protest aktiv und schrieb später auch für die taz. Das "Medienarchiv 1968", das neben Artikeln aus allen großen Springer-Blättern auch einige Beiträge aus dem Tagesspiegel und dem längst eingestellten SPD-nahen Telegraf enthält, führt dabei Höheres im Schilde: Es soll einen differenzierten Blick ermöglichen auf eine Zeit, die zumindest in der Sicht von Springer den Konzern bis heute in schiefes Licht gerückt habe.
Doch was bedeutet es, wenn man später, anlässlich der Berichterstattung über die Vorbereitung einer kontroversen, weil nicht genehmigten Vietnamdemonstration, über eine Dutschke-Karikatur stolpert? Eine Zeichnung, die den "SDS-Chefideologen" als Anfänger-Hitler mit in SS-Runen geschriebenem SDS-Signet zeigt, der Hand wie am Koppelschloss in den Gürtel eingehakt, versehen mit der Unterzeile "Als ich vor Jahren als unbekannter Student …"?
Dass einige Überschriften, manche Karikatur "echte Hetze" seien, auch anderswo in der Berichterstattung "Grenzen überschritten worden" sind, gibt Thomas Schmid heute gerne zu: "Doch der Korpus ist viel kleiner als angenommen", darauf besteht er zur Archivöffnung. Allein - was macht das aus? Und wer könnte mehr als 40 Jahre später ermessen, was für eine Wirkung welcher Beitrag bei wem tatsächlich gehabt hat?
"Mein persönliches, vorläufiges Fazit: Wenn man genauer hinschaut, ergibt sich ein differenziertes Bild", schreibt Mathias Döpfner im Editorial zum Medienarchiv 1968: "Kommentarzeilen wie ,Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt' (Bild Berlin, 7. Februar 1968) oder "Wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen" (B.Z., 3. Juni 1967) werden immer wieder zitiert. Aber war ebenso bekannt, dass die B.Z. auch schrieb "Es ist ein Unding, einen Dutschke zum ,Volksfeind Nr. 1' stempeln zu wollen" (22. Februar 1968)", fragt Döpfner. Und lässt dabei weg, dass der fragliche Kommentar Dutschke auch als "gar nicht so wichtig" abstempelte, empfahl, "derartige Hassparolen" den "Radikalen links und rechts" zu überlassen, wobei mir Ersteren natürlich wieder die Studenten gemeint waren.
Und: Ja, Bild titelte nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 13. 4. 1968 "Millionen bangen mit". Doch lohnt es sich, diesen Kommentar ganz zu lesen: "Plötzlich ist dieser Rudi Dutschke nicht mehr der radikale Agitator, sondern nur ein hilfloser Mensch. Politische Gegnerschaft wird überdeckt von Anteilnahme am menschlichen Schicksal. Was Dutschke mit Reden und Taten nicht zu erreichen vermochte, scheint unmittelbar nach dem Attentat zu geschehen: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, die Dutschke bisher so ablehnend gegenüberstand, fühlt mit ihm. Aber nur für kurze Zeit. Gegen Mitternacht, als Dutschkes Freunde als einzige Antwort auf das Attentat nur Gewalt wussten, als sie den Mordanschlag eines Rechtsradikalen mit Brandstiftungen und Steinwürfen erwiderten, da war die Chance des Ausgleichs zwischen der außerparlamentarischen Opposition und der demokratischen Mehrheit wieder vertan …"
Dennoch schreibt Döpfner heute: "Die These, das Haus Axel Springer sei eine zentral gelenkte Meinungsmaschine gewesen, welche die Studentenbewegung verhindern wollte, bestätigt sich jedenfalls nicht." Im Herbst, bei der Ankündigung des Archivprojekts, hatte Welt-Chefredakteur Schmid schon ähnlich geklungen und moniert, dass "die Leistungen dieses Verlags (…) ja fast nicht gewürdigt worden" seien. Es sei ihm unerklärlich, so Schmid, "was sich damals festgesetzt hat - das Bild von der ungeheuren Macht Springers".
Nicht, dass diese Macht zumindest von den Verantwortlichen bei Bild - Motto: "An uns kommt keiner vorbei" - gern und gar nicht so selten beschworen wird: Dieses Heischen nach später Genugtuung für die nach Meinung Schmids und Döpfners ungerecht beurteilte Springer-Presse zeugt von einer Ohnmacht ganz anderer Art. Denn in journalistischen Kreisen gilt es längst nicht mehr durchgehend als verwerflich, bei Springer anzuheuern. Doch nun reideologisiert sich das Spiel wieder, weil Springer 42 Jahre nach 1968 auf eine Art medialen Schiedsrichterfehler pocht und wenigstens ein Unentschieden herausholen will.
Noch hat wohl niemand außer den Springer-Archivaren alle 5.900 Beiträge lesen können - eine wissenschaftlich unabhängige Auswertung mag hier präziser urteilen. Dass Springer mit seinen Titeln damals in Berlin tatsächlich eine ungeheure mediale Macht darstellte, viel größer als heute in der wiedervereinigten Stadt, steht allerdings außer Frage. Das scheint auch Döpfner selbst zu ahnen, wenn er sich trotz gegenteiliger Befunde der Stasiunterlagenbehörde im Archiv-Editorial wieder einmal in die Phrase flüchtet, manche "Klischees in den Köpfen erweisen sich auch als Endmoränen einer bis heute wirkungsvollen SED-Propaganda und Stasi-Desinformation".
So die Deutungshoheit in eigener Sache einzuklagen, muss allerdings nach hinten losgehen. Das hat Springer gemerkt beim Versuch, im vergangenen Jahr ein "Springer-Tribunal" zu 1968 und den Folgen in eigener Regie zu veranstalten. Und das weiß natürlich auch Thomas Schmid: "Vorurteile haben die Eigenschaft, dass sie zäh haften bleiben und mit Argumenten nur schwer gegen sie anzukommen ist", schrieb der Chefredakteur gestern in schönster Selbstgerechtigkeit in der Welt am Sonntag: "Dass der Axel Springer Verlag - vulgo: die ,Springer-Presse' - mit den Kräften der Finsternis im Bunde steht und sich daran auf diese Weise nie etwas ändern wird, ja nicht ändern darf: Das gehört zum Überzeugungskern eines zwar nicht großen, aber doch beträchtlichen Teils deutscher Öffentlichkeit. Man muss damit leben."
Wer so eine offene gesellschaftliche Debatte führen will, hat nichts verstanden. Doch soviel Differenzierung muss sein: Springers 1968-Archiv bietet die Chance zu einem nicht so neuen, aber umfassenderen Blick auf die Berichterstattung über die Studentenbewegung in der "Springer-Presse". Nicht mehr, nicht weniger. Zu danken dafür ist übrigens weniger den Konzern-Oberen und dem Welt-Chefredakteur als Rainer Laabs, dem Leiter des Unternehmensarchivs, und seinem Team.
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