: Springer endlich enteignet
Michael Jürgs' Biographie über Axel Springer: ein Leben voller Größenwahn, Aberglauben und Promiskuität ■ Von Rolf Winter
Zu Weihnachten gab es, obschon das noch längst nicht in allen Unternehmen üblich war, ein ansehnliches Geld, aber darüber hinaus auch ein Geschenk, dem ein Christfestgruß des Verlegers beigefügt war. Ich fand das nett. Mal schleppte ich von der zentralen Geschenkverteilungsstelle eine Garnitur Bettzeug ab, mal eine Aktentasche. Die Sache war vermutlich preiswert als sogenanntes Gegengeschäft mit Anzeigenkunden des Verlegers arrangiert, aber ich mache sie nicht mies: Axel Springer war damals sehr darum bemüht, seinen Arbeitnehmern als sorgender Patriarch zu erscheinen. Er war mir von 1960 bis 1963, als ich Kristall-Reporter war, ein anständiger Chef, der mich journalistisch gewähren ließ, was ich – zeitweise im Besitz des Wanderpreises der deutschen Journalisten – wahrlich nicht von allen sagen kann, denen ich meine Arbeit verkaufte; ganz im Gegenteil: Ich bin Verlegerherrschaften begegnet in der Zeit, in der es Verleger nicht mehr gab, auch Vorstandsvorsitzenden, die sich für Verleger hielten und statt Gedrucktem ebensogut Harzer Käse hätten verhökern können und das besser auch getan hätten.
Axel Springer dagegen war publizierender Überzeugungstäter, zahlte gut, pflegte das Betriebsklima, und, auch das noch, er war und blieb lebenslang so etwas wie ein Pfadfinder mit der Aufgabe, täglich eine gute Tat zu tun. Der Mann, als er steinreich war, hat tatsächlich ein Vermögen verschenkt, und die Ehrlichkeit gebietet die Feststellung, daß er manche Not linderte, aber niemandem gestattete, darüber zu reden oder gar zu schreiben.
So weit das Positive.
Im übrigen war Axel Cäsar Springer (1912 bis 1985) die Personifizierung dessen, was im allgemeinen Sprachgebrauch als Pressefreiheit durchgeht, denn Pressefreiheit, wie einmal ein Chefredakteur seines Hauses sehr richtig anmerkte, ist die Freiheit des großen Geldes, seiner Meinung Ausdruck zu geben – und, wie hinzugefügt werden muß, dabei immer noch ein bißchen reicher zu werden. Mit Glück, Geschick, hilfreichen Umständen, nützlichen Beziehungen – und wenn es um die Ausschaltung von Konkurrenz ging, ein bißchen Unanstand –, ganz gewiß aber auch mit einem genialischen Gespür für das, was „die Leute“ lesen wollen, schuf er ein Imperium, in dem spätestens seit 1967 nur mehr die Freiheit herrschte, zu schreiben und zu drucken, was er für richtig hielt. Patriarchalische Fürsorge gab es fortan nur mehr im Tausch gegen politische Linientreue. Herr Springer wähnte sich liberal und begriff nie, daß Liberales den Widerspruch nicht nur duldet, sondern einlädt. Er verlangte von seinen Mitarbeitern, gegen jeden Totalitarismus einzutreten und wurde selber totalitär in der Überwachung seiner journalistischen Vorgaben. Er meinte, leidenschaftlicher Demokrat zu sein, und wurde Autokrat vom feinen Scheitel bis zur feinen Sohle. Er hielt sich für einen Republikaner und gab sich zunehmend als Monarch. Er verachtete die Außerparlamentarische Opposition der späten Sechziger und verstand nie, daß er schon außerparlamentarische Opposition war, ehe sich die andere auf den Straßen versammelte und „Enteignet Springer!“ forderte.
Wie weit es der gütige Verlagsvater trieb, um die Ostpolitik Willy Brandts zu demontieren, hat Michael Jürgs in seiner jetzt vorgelegten Springer-Biographie eindrucksvoll rekapituliert. Wer das nachliest, wird gewahr, wie gemeingefährlich ein politisierender Verlegermissionar sein kann, der seinen Chefredakteuren, diesen armen, glänzend bezahlten Würstchen, so wörtlich, gebietet, „das Feuer“ gegen die Sozis zu eröffnen oder einzustellen. Daß er auf der Höhe des Kalten Krieges gemeinsam mit dem publizierenden Wolkenschieber Hans Zehrer nach Moskau reiste, um bei Chruschtschow die deutsche Einheit zu erhandeln – übrigens mit einem „Plan“, der eben jene deutsche Neutralisierung vorsah, die Springer dann für des Teufels hielt –, belegt, wie sehr dieser Mann abgehoben hatte, wie realitätsfremd er war, ein Secondhand-Staatsmann, den doch wenigstens dies zum Beispiel mit dem Staatsmann Ronald Reagan verband: Wichtige Entscheidungen – wie die Reise nach Moskau – machte er, wie Jürgs berichtet, vom Stand der Gestirne abhängig, und wie die standen, ließ er von einer alten Frau ermitteln, die in ihren Anweisungen an den Verleger mit der deutschen Orthographie umging, als wäre sie Redakteurin bei Bild gewesen.
Überhaupt: das Überirdische; Herr Springer hatte es sehr damit. Jürgs erzählt beklemmende, sogar bizarre Episoden der exaltierten Gottsuche eines Mannes, der lebenslang ein Erster-Klasse- Mensch war und sich infolgedessen mit der kleinen und demütigen Rolle eines ordinären Christenmenschen nicht abfinden konnte. Da er sich zeitweise für auserwählt hielt, gar – im Ernst – für stigmatisiert, für gottgesandt, qualvoll für den Erlöser, läßt nur den Schluß zu, daß der mächtigste deutsche Zeitungsverleger mindestens vorübergehend ein bedauernswert kranker Mann und pflegebedürfig, wenn nicht gar ein komplizierter Fall für die stationäre Psychiatrie war.
Man soll gewiß Glauben nicht verspotten, aber seine Gedanken macht man sich beim Studium der Jürgs-Biographie denn doch, wenn in ihr von dem grotesken Frauenkonsum die Rede ist, den der Fromme hatte, als wäre er ein orthodoxer Mormone gewesen. „Manchmal“, weiß Michael Jürgs, „bat er zum Vögeln wie zum Diktat“, was sich gewiß nobler hätte formulieren lassen – wie überhaupt das Buch an manchen Stellen den Eindruck erweckt, als hätte es der Verlag ein bißchen an Textpflege fehlen lassen –, aber die Sache verhielt sich wohl wirklich so: Der Verleger mit der großen, aber wirklich schon ganz großen Moral und dem großen Gott im Herzen lebte mit der Promiskuität so ungeniert wie ein Affe mit seinen Flöhen. War er der Sache überdrüssig, gab's ein Collier, das ein Juwelier stets in Bereitschaft hielt. War er der Sache sicher, heiratete er. Als er vier Ehen hinter sich und die Damen, generös ausgestattet, heimgeschickt hatte, fand er eine gewisse Elfriede, aber sie wurde, denn Dekoration ist das halbe Leben, „Friede“ genannt: „Friede“ – wie schön.
Freilich hat der immerfort vor allem sich selber liebende Herr die Frauen nur ein wenig mehr als die Männer verachtet. Seine getreuesten Paladine – und jene Blattmacher, wie den Hör Zu-Erfinder Eduard Rhein, die ihm Millionen zuscheffelten – hat er zuweilen behandelt wie weiland der Gutsherr in Pommern den Melkknecht, ex und hopp oder „ritsche-ratsche“, wie das Feuern im Haus des Herrn genannt wurde. Ein bißchen übel wird einem, der das liest und sich erinnert, wie warm der Herr Springer von der Menschlichkeit und der Familie seiner Mitarbeiter redete.
Michael Jürgs hat zu fleißig recherchiert, als daß ihm jemand vorwerfen könnte, er, selber ehemaliger Springer-Redakteur, habe nur einfach mit einem ungeliebten Verleger abrechnen wollen. 75 Interviews mit Leuten, die in der Nähe Springers wirkten – das spricht für Solidität bei der Erarbeitung des Materials, das Jürgs auf mehr als 400 Seiten ausbreitet. Gleichwohl ist zu bezweifeln, daß es Jürgs gelang, sämtliche Ecken im Leben des Herrn Springer auszuleuchten; zum Beispiel: In seiner maßgebenden Biographie über den amerikanischen Geburtshelfer der BRD, John McCloy, berichtet Kai Bird, daß McCloy die amerikanischen Geheimdienste in der Hochzeit des Kalten Krieges angewiesen habe, den Springer-Verlag finanziell zu unterstützen. Das wäre doch mal was: Herr Springer – ein informeller Mitarbeiter der CIA, aber darüber ist leider bei Michael Jürgs nichts zu lesen.
Statt eines IM erscheint in der Biographie ein Narziß, der am liebsten Sänger geworden wäre, lächelnd gestand, in der Nazizeit nur von den Frauen verfolgt worden zu sein und sich aus seinen Kindern wenig bis nichts machte, jedenfalls aber ihre Nähe nicht wünschte. Axel Springer jun., ein begaber Fotograf, der sich als Sven Simon vom Vater emanzipieren wollte und Karriere machte, redete von den Frauen seines Vaters angewidert als den „Springer-Girls“, ehe er sich an der Alster in Hamburg erschoß. Bei ihm war sein Hund.
Zu Zeiten, in denen sich Herr Springer bedroht wähnte – von der RAF, von der APO, aber auch von einer sowjetischen Invasion –, traf er Flucht- und Vermögenssicherungsmaßnahmen, die man nicht anders als hysterisch bezeichnen kann und Vermögen kosteten, aber Vermögen waren ihm selbstverständlich. Herr Springer kaufte Wohnungen und Häuser – und Schloß Schierensee bei Kiel – wie unsereiner bei Spar, insbesondere auch Versteckwohnungen für Damen, denen er mit einem one night stand Gutes zu tun glaubte, ehe er am Morgen danach wieder für die Moral der Welt zuständig war.
Insbesondere für die der Deutschen in Sachen Israel. Der Tatsache, daß sich Herr Springer wie kaum ein anderer Deutscher für die Aussöhnung mit dem Judenstaat engagierte – auch und besonders mit Geld, denn Geld war Herrn Springer stets die materielle Entschädigung der Liebe –, wird Jürgs gerecht, sogar ein bißchen zu undifferenziert. Herr Springer hatte nie auch nur ein kritisches Wort für die ekelhafte Militanz und die völkerrechtswidrigen Zuschlägereien des Staates Israel. Ein Biograph muß eine solche partielle Blindheit auch dann nicht notwendig durch Stillschweigen gutheißen, wenn er Deutscher und also von der Notwendigkeit deutscher Wiedergutmachung den Juden gegenüber beseelt ist.
Am Abend seines Lebens dachte Herr Springer ans große Zeitungsverscherbeln: „Verkauft mir den Ramsch“, wie Jürgs den Verleger zitiert. Siech und endlich, endlich auf eine, nämlich auf die langmütig-gütige Frau Friede reduziert, starb er am 22. September 1985. „Unser Vater, unser Schutz“, barmte Bild.
In der Berliner Gedächtniskirche wurde die Trauerfeier für den Mann, der eine Menge für Berlin tat, zum Staatsakt. Was Rang und Namen in der Republik hatte, war zur Stelle und beklagte den Hinschied eines Patrioten, Geistlichkeit würdigte den verblichenen Christen. Die Ehefrauen eins, zwei, drei und vier saßen auf hinteren Plätzen.
Michael Jürgs: „Der Fall Axel Springer. Eine deutsche Biographie“. List Verlag, 440 Seiten, geb., 44 DM.
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