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Sprachgedärm

■ Worthülsen, frisch auf den Tisch

Dem Radio fehlen nie die Worte. Es erklärt uns die Welt, und wir hören staunend zu. So erfahren wir, daß uns viele Menschen nichts mehr zu sagen haben. Und doch will alles auch noch gesendet sein.

Hilflos taumelt Kultursenatorin Bringfriede Kahrs in der „Rundschau“ über die Müllhalde der Worthülsen: „Ich erinnere, dieses in '95 schon zur Sprache gebracht zu haben.“ Ein Satz, wie aus einem vollen Staubsaugerbeutel gezogen. Politiker lieben Mundfüller, damit sie besser dicke Backen machen können. „Dieses“ sagen sie besonders gern, oft auch in Verbindug mit anderen sprachlichen Hohlkörpern. Sie kultivieren ihr Gestammel, weil sie es für Integrität halten: „Wir werden dieses sorgfältig prüfen.“

Je mehr der Bremische Mensch im Rundfunk indes nach dem Guten, Wahren und Schönen trachtet, um so unbedachter entweichen dem von Ambition machtvoll geblähten Sprachgedärm unschuldig säuselnde Wortwinde. Die chemische Zusammensetzung dieser minimalistischen Flatulenzen ist einfach. Wichtigste Elemente sind Wörter wie „spannend“, „Wertigkeit“, „umgehen“ und „ein Stück weit“. Ganze Moderations- und O-Ton-Passagen werden aus diesen lauen Modernismen gebildet, wenn – Schulbeispiel: Moderator Weber in „Zettbeh“ (Radio Bremen 2) – Meinungsautomaten artig zur vermeintlichen Zielgruppe sein wollen. Im Sekundentakt prasseln die leeren Sprachschoten nieder: „Wie gehen Sie damit um, den eigentlich Betroffenen zu erreichen und mit der Problematik vertraut zu machen?“

Die Interviewten ordnen die Hülsen neu und werfen sie zurück. Paradebeispiel: „Eine spannende Frage ist es auch, wie wir damit umgehen, daß Frauen hier ein Stück weit ihre Wertigkeit verlieren.“

Oft zeigt sich in dieser ausformulierten Sprachlosigkeit ein zarter autistischer Impressionismus: „Ich zeige traditionelle Weiblichkeitsklischees und löse sie wieder auf. Ein Sinn dieser Ausstellung soll es sein, Fragestellungen zu sensibilisieren. Das ist ein ziemlich logistisches Projekt. Spannend, ungeheuer spannend: Wo stehen wir in der Rolle als Frau?“

Zwischen Mörike, Rilke und Thomas Bernhard mäandrieren Ausdrucksrinnsale zum Ozean der Nichtigkeiten. „Wie kann das sein, daß Landschaft eine Folie bildet für menschliche Befindlichkeit?“. „,Theater heute' ist in die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart mit eingebunden.“

Ein kleiner Exkurs auf die „Hansawelle“. Da, wo ansonsten die bekennenden Dünnbrettbohrer zu Hause sind, wurde jüngst besprochen, „wo bei Mozart das Spannende ist“. Antwort, viele Sekunden später: „Ach Mann, das ist ja immer furchtbar.“

Lutz Wetzel

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