Sprache und Integration: Stiller Widerstand auf Deutsch

Als Kind lernte ich, die deutsche Sprache zu lieben – während mein Vater sie zu hassen anfing. Für mich barg sie Chancen, für ihn nur Schikane.

Nahaufnahme von einem Buch im Hintergrund unscharf die ZuhörerInnen

Eine Lehrerin liest den Kindern ihrer Klasse aus einem Buch vor Foto: Felix Kästle/dpa

„Willst du mit mir spielen?“, das war mein erster deutscher Satz. Er muss mich unglaubliche Überwindung gekostet haben, denn zuvor hatte ich lange nicht gesprochen. Ich sprach nicht, weil wir vor dem Krieg in Bosnien und Herzegowina nach Österreich geflüchtet waren und mich das überfordert haben muss – das Kriegstrauma, die neuen Eindrücke in diesem Land, der besorgte Blick meiner Mutter, unbeschwert sollte ich sie nie wieder erleben. Das macht der Krieg mit Menschen.

Aber solche Gründe spielen in Österreich kaum eine Rolle. Deutschpflicht, Deutschkurs, Deutschzertifikat, Deutschklassen – nichts wird hierzulande mehr mit Integration in Verbindung gesetzt als der Erwerb der deutschen Sprache. Niederösterreich macht seit Neuestem sogar die So­zialhilfe vom Deutschniveau abhängig, weitere Bundesländer werden folgen.

„Willst du mit mir spielen?“, fragte ich also plötzlich und meine Kindergartenpädagoginnen lächelten mir zu – das Flüchtlingsmädchen konnte sprechen, ihre Geduld hatte sich ausgezahlt. Auch meine Volksschullehrerin war geduldig, sie las uns jeden Morgen vor, wegen ihr verschlang ich mehrere Bücher in der Woche. Ich lernte sogar freiwillig das Findefix-Wörterbuch auswendig.

Im Schultheater bekam ich eine männliche Hauptrolle, weil ich so laut und deutlich sprach, wie die Lehrerin extra betonte. Zuhause machte ich nicht nur eifrig meine Deutschhausübungen, sondern auch die meines Vaters, der immer mal wieder einen Deutschkurs besuchen musste, wenn er seinen Job verlor. Seine Hausaufgaben waren meistens Lückentexte von Märchen, die für mich bereits zu kindisch waren.

Ich wusste, dass die Sprache nichts für ihre Sprecher konnte

Ich schämte mich für das Deutsch meines Vaters und schämte mich, dass ich mich für ihn schämte. Wenn bei Amtswegen mit ihm wie mit einem Kind gesprochen wurde, machte mich das traurig und ihn immer kleiner, den gebückten Gang hat er bis heute. Mein stiller Widerstand: Ich verfasste in meinem ausgezeichneten Deutsch Amtsschreiben und Beschwerdebriefe im Namen meiner Eltern.

Ich wusste, dass die Sprache nichts für ihre Sprecher konnte, ich verliebte mich in das Deutsche, während mein Vater es zeitgleich zu hassen anfing. Er verbot uns Schwestern, daheim Deutsch zu sprechen oder Bücher auf Deutsch zu lesen. Deutsch erinnerte ihn an die Schikanen seiner Arbeitgeber, der Magistratsbeamten, der Verkäufer. Weil ich es daheim nicht sprechen durfte, fing ich an zu schreiben. Wieder stiller Widerstand auf Deutsch.

Heute verdiene ich mein Geld als Journalistin mit dem Schreiben in deutscher Sprache. Wenn ich rassistische Hassnachrichten erhalte, stelle ich mir vor, wie sehr es die Verfasser ärgern muss, dass ich für Texte, die ich in „ihrer“ Sprache verfasse, bezahlt werde – so ertrage ich ihren Hass. Eines haben weder die Hassposter noch die Magistratsbeamten geschafft: mir die Liebe zu dieser Sprache zu nehmen.

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Autorin "Generation haram", Journalistin, ehemalige Lehrerin, lebt in Wien

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