Sprache im Vielvölkerstaat Mazedonien: Lernen in Schichten
In Tetovo spricht und lernt die Mehrheit Albanisch. Mazedonier gehen in getrennte Klassen, getrennt nach Sprachen. Weil in den Schulen nicht genug Platz ist, lernen die Kinder in Schichten.
Fjolla Hasani ist wütend und enttäuscht. "Die mazedonische Regierung hat an uns die Lehrbücher für fast alle Fächer in mazedonischer Sprache verteilen lassen. Aber wir verstehen nicht, was dort geschrieben steht. Wir können mit diesen Büchern nichts anfangen", sagt sie resigniert. Die 16-jährige Gymnasiastin, die der albanischen Minderheit in Mazedonien angehört, lebt in Tetovo - mit rund 86.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt des Landes. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung sind hier Albaner.
Im einzigen Gymnasium am Ort werden in den Jahrgangsstufen neun bis zwölf je rund 525 Albaner in 21 Klassen und 75 Mazedonier in drei Klassen unterrichtet - sprachlich fein säuberlich getrennt, versteht sich. Da es ein Platzproblem gibt, lernen die Schüler in Schichten - die einen vor- und die anderen nachmittags. "Aus Protest haben wir die Bücher in die Hauptstadt Skopje zurückgeschickt", sagt Fjolla, die nur drei Stunden Mazedonisch wöchentlich als Pflichtfach auf dem Stundenplan stehen hat. "Jetzt diktiert uns der Lehrer den Stoff, und wir müssen alles mitschreiben", sagt sie.
Das Umland von Tetovo im Westen Mazedoniens war in den Jahren 2000/2001 Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen der sogenannten separatistischen Albanischen Befreiungsarmee in Mazedonien und Truppen der mazedonischen Regierung. Das am 13. August 2001 unter Vermittlung der USA und der Europäischen Union ausgehandelte Abkommen von Ohrid verhinderte, dass das Land in einem Bürgerkrieg versank. Das Abkommen sieht unter anderem eine Dezentralisierung der Verwaltung, eine Neuziehung der Gemeindegrenzen sowie den gleichberechtigten Gebrauch von Albanisch als Amtssprache in Kommunen vor, in denen mindestens 20 Prozent Albaner leben.
Obgleich das Sprachenproblem infolge des Ohrid-Abkommen mittlerweile per Gesetz geregelt ist, fühlen sich viele Albaner immer noch benachteiligt. So forderten im vergangenen August zwei oppositionelle Albaner-Parteien, die Neue Demokratie sowie die Demokratische Partei der Albaner, den kompletten und landesweiten Gebrauch des Albanischen als Landessprache - innerhalb aller politischer Institutionen.
Auch an der Basis brodelt es, wenn auch verhalten. Fjollas Vater Hashim, der 17 Jahre in Deutschland gearbeitet hat, wo außer Fjolla auch seine drei anderen Töchter geboren sind, lebt seit 2004 wieder in Tetovo - und ist in der Baufirma seines Bruders angestellt. Arbeit gebe es genug, sagt der 40-Jährige, auch wenn Geschäftspartner statt Geld für einen Auftrag auch mal ihr Auto als Gegenleistung anböten. In seiner Firma arbeiten auch slawische Mazedonier. Mit denen kommt er zwar beruflich gut aus, pflegt aber privat keinerlei Kontakte.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Dimce Josifovski. Der 33-jährige gebürtige Mazedonier aus Tetovo, der kaum Albanisch spricht, engagiert sich in dem Verein Loja, der albanische und mazedonische Jugendliche in Projekten zusammenbringt. Loja erhält keinerlei staatliche Unterstützung. Für Josifovski ist es beschlossene Sache, seine beiden Kinder später in der Schule Albanisch lernen zu lassen. Dennoch kann er das Gefühl von Benachteiligung, das viele Albaner in Mazedonien haben, nicht ganz nachvollziehen.
Die Wirtschaft in Tetovo sei größtenteils in albanischer Hand und viele Albaner hätten Führungspositionen. "Wo ist da die Diskriminierung?", fragt er. Vielmehr würden die albanischen Politiker ihre Landsleute instrumentalisieren und dadurch versuchen, die Situation zu destabilisieren. Ein EU-Beitritt ist für ihn die einzige Möglichkeit, die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen und dadurch auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ethnien zu entspannen.
Derselben Meinung ist auch Vladimir Milcin. Der Dramatiker und Theaterdirektor aus Skopje, der als slawischer Mazedonier fließend Albanisch spricht, begreift sich als Brücke zwischen den beiden Ethnien. Doch zu Offenheit und Verständigung seien heute immer weniger Menschen in Mazedonien bereit, sagt Milcin. Fast wöchentlich erhält er Morddrohungen - entweder über das Internet oder als SMS -, und das sowohl von albanischer als auch von mazedonischer Seite. "Von staatlicher Ebene aus versucht man uns zu trennen", sagt er. "Deshalb brauchen wir gemeinsame Projekte und den Druck von außen, durch die EU. Anders kann es bei uns uns keine Demokratisierung geben. Ich sage das als Verteidiger der gesamten mazedonischen Nation."
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