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Sportwissenschaftler über Doping"Wir brauchen neue Ideen"

Sportwissenschaftler Helmut Digel über das Glaubwürdigkeitsproblem der Leichtathletik, die deutsche Dopingschuld und den Zweifel des Zuschauers an außergewöhnlichen Leistungen.

"In den Präventionssektor wird so gut wie gar kein Geld hineingegeben." Bild: dpa
Interview von Frank Ketterer

taz: Herr Digel, Usain Bolts neuer Weltrekord ist von Zuschauern und Medien frenetisch gefeiert worden. Wäre nicht eher Argwohn angebracht?

Helmut Digel: Einerseits bin ich immer noch ein Bewunderer von herausragenden sportlichen Leistungen. Trotzdem kann ich mich, wenn ich sie selbst im Stadion erlebe, diesem Zweifel nicht entziehen.Wenn die Geschichte so zu schreiben ist, wie sie derzeit geschrieben wird, nämlich dass mehrere 100-m-Olympiasieger in ihrer Karriere positiv gewesen sind, dann ist man in Sorge, dass diese Geschichte fortgeschrieben wird. Auf der anderen Seite habe ich Usain Bolt schon im Alter von 16 Jahren als außergewöhnliches Talent erlebt. Ich habe nie zuvor einen so jungen Menschen gesehen, der so leichtfüßig und rhythmisch und gleichzeitig doch mit vollem Krafteinsatz die 100 Meter laufen kann. Dennoch muss er mit dem Verdacht leben.

Wie sehr erhärtet sich dieser Verdacht, wenn fünf jamaikanische Sprinter positiv getestet werden, darunter ein Trainingspartner Bolts?

Der Verdacht steht damit weiter im Raum - und dennoch muss Usain Bolt so lange als sauber gelten, bis das Gegenteil bewiesen wird. Wichtiger ist jedoch, dass wir erkennen, dass das professionelle Kontrollsystem des Weltverbandes immer wieder überraschende Erfolge aufweist. So wurden einige Betrüger in Russland des Dopings überführt und nun wurden jamaikanische Sprinter überrascht.

Hat die Leichtathletik ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Bequem ins Stadion

Das Organisationskomitee der Leichtathletik-WM hat in Absprache mit dem Berliner Innensenat und der Polizei Journalisten überprüfen lassen, weil es, wie es hieß, potenzielle Terroristen, Diebe und Drogendealer nicht "in sicherheitsrelevante Bereiche" lassen wolle. Nun ist von akkreditierten Kollegen zu erfahren, dass sie ins Stadion gelangen, ohne dass ihre Akkreditierung verlangt wird. Auch die Taschen der Schreiber werden nicht kontrolliert.

Aus Protest gegen die Sicherheitsüberprüfungen von Journalisten berichtet die taz zwar nicht von der Leichtathletik-WM in Berlin, doch die olympische Kernsportart soll nicht zu kurz kommen.

Wir haben ein Dopingproblem im Hochleistungssport in allen olympischen Sportarten. Für die Leichtathletik bedeutet das einen erheblichen Imageschaden, weil sich der Zuschauer bei den Leistungen nicht mehr sicher ist, ob nicht doch eine medikamentöse Manipulation dahintersteckt. Deshalb ist es gut, dass die IAAF auf eigene Kosten internationale Kontrollen durchführt. Der Weltverband finanziert eine große Antidopingabteilung mit mehr als zwölf hauptamtlichen Mitarbeitern und führt im Jahr mehr als 2.500 Kontrollen durch. Und doch wissen wir, dass Athleten, die ständig kontrolliert wurden, dabei nie positiv waren, am Ende doch des Dopings überführt werden konnten. Der Antidopingkampf kann, so wie er geführt wird, nicht erfolgreich sein. Wir brauchen neue Ideen und Konzeptionen, die Wege aufzeigen, wie man junge Menschen davor schützt, dass sie ihre Gegner betrügen.

Sie sprechen von Dopingprävention?

Exakt! Hier gibt es noch viel zu wenig Initiativen. In den Präventionssektor wird so gut wie gar kein Geld hineingegeben, gerade wenn man ihn mit dem Kontrollsektor vergleicht.

Obwohl etliche Weltrekorde unter Dopingeinfluss aufgestellt wurden, schüttet die IAAF weiterhin beachtliche Prämien für neue Bestleistungen aus. Ist das nicht scheinheilig?

Wir sollten die alten Rekorde als historische Rekorde archivieren und mit einer neuen Bestenliste, etwa zum 100-jährigen IAAF-Jubiläum, beginnen. Das wäre ganz im Sinne junger Athleten, für die es keinen Sinn macht, sich an Leistungsmarken zu orientieren, die unerreichbar sind. Die Zukunft der Leichtathletik wird nicht in neuen Rekorden liegen, sondern im Duell Mann gegen Mann sowie Frau gegen Frau.

Deutsche Leichtathleten haben sich immer wieder beklagt, dass sie gegen Konkurrenten anzutreten hätten, die weit weniger getestet würden. Können Sie diese Klage nachvollziehen?

Nein. Das deutsche Kontrollsystem gehört wohl zu den besten, und sicher werden unsere Athleten mehr kontrolliert als Athleten aus Entwicklungsländern. Aber wir haben mittlerweile ein weltweit tragfähiges Kontrollsystem, in dem auch Amerikaner und Russen eingebunden sind. Das An- und Abmeldeverfahren gilt für alle Topathleten in der Welt. Übrigens sagen auch schwedische, norwegische oder japanische Athleten, dass sie am meisten und am besten getestet werden. Sogar die Chinesen behaupten das mittlerweile.

Was sagt der Dopingfall Isabell Werth und der Verdachtsfall Claudia Pechstein über den Zustand des deutschen Sports aus?

Dass wir uns einmal selbst im Spiegel betrachten sollten. Aus der Sicht des Auslandes ist Deutschland eine Nation, die ein erhebliches Dopingproblem hat. Was den Radsport angeht, war sogar eine Universitätsklinik verwickelt, die angeblich in ein Präventionsprogramm eingebunden war. Wir hatten den Fall Krabbe, den Fall Mühlegg. Wir waren über das DDR-System ursächlich an der Konzeption des systematischen Dopingbetruges beteiligt. Wir Deutschen haben gegenüber dem Ausland eine enorme Dopingschuld.

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6 Kommentare

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  • T
    Tom

    Mein Vorschlag:

    Jegliche Gelder, die an die Sportler gehen, werden mit einem Dopingabschlag versehen.

    Je nach Bewertung wie hoch das Dopingproblem in der Sportart ist, wird dieser angesetzt. Das ganze müßte dann progressiv sein, d.h. der viel verdient zahlt auch prozentual viel ein.

    Von dem Geld wird dann die Dopingbekämpfung bezahlt.

    Wird das Problem größer, muß der Dopingabschlag steigen.

    Messen könnte man dieses über indirekte Messungen (Blutbild). Viele auffällige Blutbilder in der Sportart - grösseres Dopingproblem.

    So würde sich das Problem selbst besser regulieren.

     

    Ein weiterer Vorschlag: Wenn heute eine Nation verschärft gegen Doping vorgeht, schneidet sie sich ins eigene Fleisch. Mehr und bessere Kontrollen - weniger Medaillen. Ein negativer Anreiz.

    Deshalb sollten die Nationen sich gegenseitig kontrollieren. Die Sportler und Trainer schauen sich die Konkurenz im Ausland an, und entscheiden intelligent wer wann getestet werden soll. Mehr und gezieltere Kontrollen führen dann zu verbesserten Chanen der eigenen Sportler. Ein positiver Anreiz.

  • D
    Daniela

    Es mag wohl richtig sein, dass bei Legalisierung von Doping alle Leistungssportler "gezwungen" werden, auch zu dopen, um mitzuhalten. Provokativ frage ich trotzdem: Na und? Wie gesagt, wer nicht will, muss nicht. Das reduziert im Verlauf der Zeit vielleicht die Stellung des Sports, aber letzlich ist er eben Spaß & Spiel in meinen Augen. Die Millionenbeträge, die da mit dran hängen heutzutage, finde ich sowieso unmoralisch.

    Derzeit läuft es doch so: der eine steckt viel Geld und Zeit in die Erforschung neuer Doping Mittel, der andere noch mehr Geld und noch mehr Zeit in die Entdeckung und Bekämpfung eben dieser neuen Substanzen. Ein absurdes katz-und -Maus-Spiel in meinen Augen. Und das alles für eine Sache, die doch eigentlich nur der Unterhaltung der Menschheit dient, und nicht dem Erhalt und der Verbesserung unserer Lebensgrundlage. So naiv und plakativ das auch klingen mag: ich finde Umweltschutz, Entwicklungshilfe etc. wesentlich wichtiger als den Kampf gegen Doping.

  • P
    Polytox

    Ich denke, Daniela macht dieses "Sollnse doch, wennse wollen" Fass vollkommen zu Recht auf, das steht irgendwie eh in der Ecke und weigert sich offenbar, wegdiskutiert zu werden. Und bei all dem Stillstand und der Hilflosigkeit in der Dopingdiskussion, was insbesondere von der taz so liebevoll dokumentiert wird, wäre ein bisschen Radikalität und Unkorrektheit hin und wieder ganz erholsam.

    Und überhaupt, der Mensch ist doch mit einer Eigenverantwortung ausgestattet, auch rein rechtlich. Und solange er keine anderen gefährdet ... der Gedanke ist nicht wirklich schön und auf jeden Fall für eine Sackgasse prädestiniert, aber vielleicht sollte mal jemand sein Recht auf Einnahme von XY einklagen (oder gab's das schon?).

    Andererseits riskieren die Sportler ja auch so alles, nur weil ein Mittel rechtlich und körperlich gefährlich ist, nimmt es ja offenbar keiner nicht.

    Zudem braucht man als Leistungssportler nicht unbedingt zu dopen, um nach der Karriere mit massiven Defekten durch die Welt zu hinken, es gibt ja kaum was Schädlicheres für den Körper als eine Karriere als Leistungssportler.

    Und das Geld! Endlich keine mafiösen Machenschaften mehr, die Einnahmen für legale Dopingmittel könnten analog zur Tabak- und Genussmittelsteuer schönes Geld in die Staatskassen pumpen, womit man dann (ebenfalls analog zu Takak & Co) die Behandlung der daraus resultierenden Krankheiten sowie Anti-Doping-Kampagnen finanzieren könnte.

    Was? Da setzt noch jemand auf ein funktionierendes System der Abschreckung und Überwachung? Auf Einsicht bei den Betroffenen?

    Ich glaub, ich geh mal eine Rauchen.

  • O
    Oberhart

    Liebe Daniela, so einfach ist das nicht. Die meisten unerlaubten leistungssteigernden Präparate sind nicht aus Jux und Dollerei unerlaubt, sondern weil sie - wie du ja auch schon anmerktest - nicht eben selten mit nicht unerheblichen Langzeitschäden einhergehen. Werden sie freigegeben, so MUSS der Athlet, der im Wettkampf mithalten will, notgedrungen seine Gesundheit aufs Spiel setzen, da die Leistungsnachteile ohne Dopingpräparate nicht kompensiert werden können. Im Endeffekt würde das bedeuten, dass Leistungssport gesundheitlich ruinös ist. Damit würde der Sport jeden Anspruch auf gesellschaftliche und politische Zuwendung verspielen. Keine Frage, gedopt wird ohnehin - und das nicht nur im Leistungssport - und keine Spitzenleistung kommt heute ohne Spritzen, Salben oder Pillen aus. Allerdings kann im Moment immer noch die Unschuldsvermutung vorgebracht werden, um den Sport und die Gelder, die im Zusammenhang mit diesem fliessen zu legitimieren. Sobald Doping legalisiert wird, wird eben dies nicht länger möglich sein, mit möglicherweise verheerenden Folgen für den Sportler und seinen Sport.

  • D
    Daniela

    Warum muss so viel Geld für den Kampf gegen Doping ausgegeben werden? Die Welt hat dringendere Probleme zu lösen als die Frage, ob jemand seine Super - Leistung mit Medikamenten oder ohne erreicht hat. Wer von den Sportlern dopen und damit seine Gesundheit auf's Spiel setzen will, soll es tun, die anderen eben nicht.

  • LL
    lance lot

    Manchmal ist es so einfach. Liebe Sportjournalisten: Fragt doch die deutschen Siegerinnen und Sieger wichtiger Wettbewerbe nach den plötzlichen Pickeln auf der Stirn (Schwimmen, Biathlon) und den Ursachen ihres langen Unterkiefers (Ringen, Triathlon, Gewichtheben, Rudern) und der tiefen Stimme bei den Frauen.

     

    Diese von der Norm extrem abweichenden physiognomischen Merkmale werden auch von sogen. kritischen Sportjournalisten gern übersehen. Sonst gibt es künftig ja kein Interview mehr.