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Sportstadt Detroit im AufwindProzac in die Drinks!

Detroit, die gebeutelte Stadt, schöpft neue Zuversicht. Verantwortlich hierfür sind die die Football-Erfolge der Detroit Lions.

Flinker Sprinter: Runningback Jahmyr Gibbs (oben) im Schwebezustand Foto: Eric Seals/USA Today

I n den letzten Jahrzehnten gab es droben am Eriesee nur ein Motto: Wer es sich leisten kann, verlässt die Stadt. De­troit galt als verloren und heruntergekommen. Die Kriminalitätsrate ging durch die Decke. Hatte „Motorcity“, wie Detroit in der Blütezeit getauft wurde, in den 1950er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch 1,8 Millionen Einwohner, so siedeln am Detroit River jetzt gerade mal noch 640.000 Menschen.

Der Glanz der großen Autofabriken von GM, Chrysler und Ford sowie des Musik­labels Motown ist verblasst, und das 1998 stillgelegte, imposante Gebäude der Michigan Central Station, erbaut im Jahr 1913, schien zum Symbol des Abwärtstrends zu werden. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Detroit kurz und treffend als „die autodestruktive Stadt“.

Der Glanz der Autofabriken von GM, Chrysler und Ford sowie des Motown-Labels ist verblasst

Während Spötter behaupteten, die TV-Serie „Hung“ wäre noch das Beste, was in den letzten 15 Jahren aus De­troit gekommen wäre, so müssen sie sich nun eines Besseren belehren lassen, denn Detroit erwacht so langsam als Sportstadt wieder, auch wenn das die Anhänger des Basketballteams der Pistons nicht glauben mögen.

Der vorsichtige Aufschwung ist nicht nur eine gute Nachricht für die Sportfans, sondern auch für die Entwicklungschancen der Stadt insgesamt: Geht es mit der Wirtschaft wieder aufwärts, mieten sich die Kreativen in die erschwinglichen Ateliers ein und beleben die Brachen, so kann auch Detroit auf Kairós hoffen, den günstigen Augenblick, in dem das Sorgenkind am Schlafittchen aus dem Sumpf gezogen wird.

Halbfinale in San Francisco

Das Football-Team der Lions, eine halbe Ewigkeit die Lachnummer der Liga, schickt sich nun an, diesem Depri-Detroit ein paar Prozac-Pillen in die Drinks zu mischen. Die Mannschaft von Cheftrainer Dan Campbell steht in den Playoff-Halbfinals. Noch ein Sieg gegen die San Francisco 49ers und sie stünden, o Wunder, im Superbowl, der heuer in Las Vegas ausgetragen wird.

Das Fachmagazin Sports Illus­trated schreibt: „Es war eine Saison, gut genug, um einen Disney-Film zu drehen, den man einfach gesehen haben muss.“ Der Überschwang ist durchaus verständlich, denn diese Momente, da die Lions wieder brüllen und mit stolzer Mähne sogar zu den Green Bay Packers, größter Konkurrent im Norden, fahren, hat es sehr lange nicht gegeben.

Die große Zeit der Lions korrespondiert nicht eben zufällig mit dem Motown-Boom: Champion der National Football League wurden sie in den Jahren 1935, 1952, 1953 und 1957. Zwei Quarterbacks aus dieser so erfolgreichen Phase schafften es in die Hall of Fame: Earl Clarke und Bobby Layne. Seitdem glückte das keinem Ballverteiler der Lions mehr, was bezeichnend ist.

Die Lions hatten in den Zehnerjahren zwar in Matthew Stafford einen guten Quarterback, doch das Team blieb insgesamt blass, fast schon ein hoffnungsloser Fall. Keine Geschichte, in der nicht jene 0:16-Loser-Saison der Lions aus dem Jahr 2008 erwähnt worden wäre – oder das saisonübergreifende 0:19.

Nun verteilt Quarterback J­ared Goff die Bälle, unter anderem auf den deutschen Wide Receiver Amon-Ra St. Brown. Goff kam 2021 von den Los Angeles Rams zu den Lions und hat nun Großes vor am kommenden Wochenende in Kalifornien. Das Publikum im heimischen Ford Field mag den Anführer mittlerweile, was Goff anzutreiben scheint: „Es ist fantastisch. Es ist wirklich cool für mich, was hier passiert.“

Detroit braucht diese Zuversicht, denn auf der anderen Seite stehen niederschmetternde Statistiken: Nur 53 Prozent der Hausbesitzer konnten 2011 die Immobiliensteuer bezahlen, und der Bestand an heruntergekommenen, leerstehenden Gebäuden wurde auf 80.000 geschätzt. Zwei Jahre später musste die Stadt sogar Insolvenz anmelden, ein einmaliger Vorgang für eine US-Stadt dieser Größenordnung. Kein Wunder, dass nun fast jeder Detroiter auf das große Finale am 11. Februar hofft.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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1 Kommentar

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  • Wenn man die Pistons als Vergleich erwähnt, muss man auch die Red Wings (Eishockey) nennen. Die sind deutlich erfolgreicher - vier Stanley Cup Gewinne in den 90er und 00ern - also in dem Niedergangszeitraum. Und in Detroit und besonders der Umgebung ist Eishockey wichtiger als Basketball.