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Sportfest in der Justizvollzugsanstalt Tegel

■ Nur ein Teil der sportbegeisterten Gefangenen in der JVA durften teilnehmen / Drittklassiges Kabarett und Türkiyemspor gefeiert

Bevor ich auch nur ein Wort über das Sportfest in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel schreibe, möchte ich drei Dinge vorwegschicken. Erstens: An diesem Freitagnachmittag haben die eingeladenen Gäste und Journalisten mit absoluter Sicherheit nur das sehen können, was sie sehen sollten. Zweitens: Für in Freiheit lebende Menschen - mögen sie noch so kreativ sein - ist es außerordendlich schwierig, sich in das Innenleben des Knastes hineinzuversetzten - vielleicht sogar gänzlich unmöglich. Wie es um die Psyche eines Gefangenen steht, der seit vielen Jahren einsitzt, was für ihn wichtig und unwichtig ist, über welche Dinge er sich freut oder ärgert, ist für „Leute von Draußen“ nor oberflächlich nachzuvollziehbar - wenn überhaupt. Man lebt so traurig das ist - in völlig verschiedenen Welten. Nicht von ungefähr wurde das Wort vom „Staate im Staat“ geprägt. Was im Knast alles passieren würde, sagen Wissende, sprenge bei vielen die Vorstellungskraft. Auch ich bilde da keine Ausnahme. Drittens: Die Augen eines Gefangenen sehen anders. Sie registrieren jede Kleinigkeit. Sind dankbar für jede Abwechslung. Fast zwangsläufig: Noch nie habe ich eine solch visuelle Gier nach Frauen beobachten können. „Wenn du hier drinsitzt“, sagt einer, „kommt dir das Gefühl abhanden, wie das eigentlich ist mit einem Weib.“ Auch das Sportfest stand unter diesem Aspekt. Und damit auch das Angebot.

Zunächst große Unzufriedenheit bei den Gefangenen. Auf einem Dach und in einem Turm haben sich Beamte mit Gewehren postiert. „Sonst sind die unbewaffnet“, wird gemault. Und: niemand will den Zahlen der Anstaltsleitung glauben. Es macht die Runde, daß „höchstens 150 Knackis“ auf dem Platz seien. 350 Teilnehmer und Zuschauer, heißt es offiziell, würden zum Fest zugelassen. Alle Gefangenen, die regelmäßig am Anstaltssport teilnehmen würden, hätten Gelegenheit zu kommen. „Das ist eine glatte Lüge“, sagt jemand, „ich kenne mindestens zehn Leute, denen eine Teilnahme verwehrt wurde.“ Mögen die Darstellungen noch soweit auseinanderklaffen, eins steht fest: Aus jedem Haus der JVA Tegel darf nur eine bestimmte Anzahl von Insassen dabei sein. Daß bei dieser sturen Zählerei so mancher auf der Strecke bleibt, dürfte klar sein.

Auch die Präsentation der Veranstaltung mißfällt. Ein Orchester spielt Volksmusik und das herangekarrte Moderatoren-Team von Radio 100,6 trifft ebenfalls selten den richtigen Ton. Von „Leckerbissen“ ist da die Rede (eben gab es Kartoffelsuppe), von „Gemeinsam-Machen“ und von „diesem herrlichen Fest“. Erst die Ankündigung „Jetzt gibt es etwas fürs Auge“ bringt Stimmung. Sechs Rhönradturnerinnen der SG Steglitz führen zu seichter Muse Übungen vor. Es wird gepfiffen, gejohlt, applaudiert. Mir fällt dabei ein, daß die Nazis große Förderer dieser Sportart waren. „Frauen mit gespreitzten Beinen haben immer etwas Erotisches.“ Dieser Ausspruch stammt von Göring. Auch bei dieser Veranstaltung sind die Turnerinnen Opium fürs Volk...

Noch besser kommt ein drittklassiges Illusionstheater an. Eine Frau macht halsbrecherisches Verrenkungen, ein Zauberer zweiteilt eine schöne Französin und ein Transvestit beweist seine sprachliche Schlagfertigkeit. „Draußen“ würde dieses Programm niemanden hinter dem Ofen hervorlocken, denke ich. Hier jedoch sind Sie die Stars, werden dankbar aufgenommen, bekommen einen Zuspruch, eine Begeisterung, die selten ist. Langsam wird mir klar, wo hier die Prioritäten liegen.

Als nächstes steht ein Handballspiel zwischen einer Auswahl der JVA und den Reinickendorfer Füchsen auf dem Programm. Doch schon bald gerät die Partie zur Nebensache. Denn: obwohl die Füchse mit einem Mann weniger auf dem Platz stehen, führen sie haushoch. Und: etwa zur Halbzeit des Handballspieles betreten in einer anderen Ecke die Fußballspieler von Türkiyemspor den Rasen. Ihr Auftritt soll der sportliche Höhepunkt des Nachmittags werden. Sie werden umringt von ihren Landsleuten, um Autogramme gebeten. Etwa 20 türkische Insassen durften kommen. Einer hat eine Fahne mit dem Halbmond in der Hand. „Zehn Stück, zehn Stück“, ruft er immer wieder und meint, daß unter zehn Toren die Anstalts -Auswahl nicht wegkomme. Ich komme mit ihm ins Gespräch. Acht Jahre sitzt er schon hier, sagt er, wegen Rauschgift. Ein Jahr müsse er noch 'rumkriegen. Das sei jetzt nicht wichtig. Schließlich habe er mit einem anderen Türken um 500 Mark gewettet, daß jener kein Tor schießen würde. Nach zwei Minuten Spielzeit ist die Wette verloren...

Als ich später wieder an meinem Redaktionstisch sitze, liegt dort die Anwort der Justizpressestelle auf einige Fragen der taz. Zu dem Sportfest in der JVA Tegel sind aus sämtlichen Teilanstalten einschließlich der Sozialtherapeutischen Abteilung diejenigen Gefangenen zugelassen, die regelmäßig am Anstaltsport teilnehmen, lese ich noch immer benommen. Die Tegeler Auswahl bestehe aus „qualifizierten Spielern“. In der JVA Tegel würden folgende Sportarten angeboten: Fußball, Handball, Volleyball, Gymnastik, Krafttraining, Tischtennis und Jogging. Sportlehrer seien in Tegel nicht tätig. Etwa die Hälfte der in Tegel untergebrachten Gefangenen würden die sportlichen Angebote wahrnehmen. Ich rechne nach. Die Hälfte von 1.200 ist bei mir immer noch 600. Irgendwas kann da nicht stimmen.

Holger Schacht

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