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Splatter auf der Bühne

■ Bei der „Jubiläumsshow“ des „theatre du pain“ im Schlachthof wurde wieder ausschweifend mit Nahrungsmitteln gespielt

Ihre Eltern müssen es ihnen wohl zu oft verboten haben, mit dem Essen zu spielen. Nur so läßt sich erklären, warum drei erwachsene Männer mit solch einer Inbrunst auf der Bühne Karotten zerschnippeln, Brezeln zertreten, Zitronen zerquetschen und sich Kotletts als Kotletten an die Wangen hängen. Auch wenn man beim „theatre du pain“ sonst mit allem rechnen muß – eines ist sicher: König, Pollkläsener und Walkau bleiben ihrem schon im Namen angedrohten Leitmotto treu und bieten Theater mit Brot.

Da kann es dem Publikum schon mal passieren, daß es – wie eine bedauernswerte Frau am Freitag abend – von umherfliegenden Gemüseteilen im Gesicht getroffen, oder mit milchigen Flüssigkeiten, die mit den Darstellern von der Bühnen schwappen, durchnäßt wird. Aber das konnte die Fangemeinde an diesem Wochenende im Schlachthof auch nicht verdrießen: die Connaisseure wußten schon früh die Anzeichen auf der Bühne zu deuten (eine leicht hysterische Betriebsamkeit, in deren Epizentrum eine gefüllte Wanne auszumachen war), und so brachten sie halbwegs erfolgreich ihre Kleidungsstücke vor der drohenden Spritzaktion in Sicherheit.

Ansonsten besudelten sich die Akteure in erster Linie untereinander, und diese Splatterszenen mit vielen aus Mündern tropfenden Säften, einer laut knatternden Kettensäge und einer Operation am offenen Gehirn auf offener Bühne gehörten eindeutig zu den dramaturgischen Höhepunkten des Abends.

Der amoklaufende Kleinbürger steht im Mittelpunkt von fast allen Szenen der Gruppe: gesellschaftliche Konventionen, unser aller Gewohnheiten und Klischees werden da ins Absurde weitergedacht und alltägliche Situationen münden im lustvoll dargestellten Tohuwabohu.

Von einem harmlosen Telefonat über die Zubereitung von Quittenmarmelade oder einem höflich bestimmten „Endschuldigen Sie bitte, aber dieser Platz ist belegt“ spitzen sich Situationen so heillos zu, daß bei allem Vergnügen daran, wie ungehemmt die drei Komödianten sich zum Narren machen, auch immer eine beunruhigende Konsequenz mitschwingt: Worauf darf man sich noch verlassen, wenn sich das Vertraute so schnell und radikal ins Chaos verwandeln kann?

Das Grundprinzip der meisten Lacher des „theatre du pain“ ist ganz simpel: Da werden einfach zwei Elemente, die möglichst weit voneinander entfernt sind, so unlogisch wie möglich miteinander verbunden. Je mehr die Vernunft sich dagegen streubt und je größer die Fallhöhe, desto witziger ist es. So erklang eine von Einsteins Erläuterungen zur Relativitätstheorie beschwingt als Text eines trivialen Schlagers, und Meeressäuger schwebten in einer Kreissparkasse – Blauwale in der Konto- und Pottwale in der Kreditabteilung.

Die musikalischen Darbietungen der Band oszillierten zwischen Volkslied, Rockgitarre und rhythmisch angekratzem Knäckebrot, und hierbei wurde das Trio von Weggefährten aus den letzten zwölf Jahren begleitet, so daß zum Teil acht Akteure (darunter ein Violinist, ein Schlagzeuger und Martin Pollkläseners Bruder Uli) auf der Bühne standen.

Der musikalische Höhepunkt des Abends war aber die Einspielung von Peter Maffays schauerlicher Schnulze „Über sieben Brücken mußt du gehn“, die durch eine pantomimische Darstellung des Textes gnadenlos durch den Kakao gezogen wurde.

Zum Schluß des Konzertes wurde dann auch noch ein Großteil des Publikums von den Akteuren auf die Bühne genötigt, wo alle zusammen ein schönes, altes Volkslied sangen: „Nehmt Abschied, Brüder, ungewiß ist alle Wiederkehr.“ Mag sein, aber das „theatre du pain“ wurde an diesem Wochenende so von seinem Bremer Publikum gefeiert, daß es sicher bald wiederkehrt. Wilfried Hippen

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