: Spitzel auf den Spuren von Anwälten
■ Verfassungsschutz speicherte ohne Rechtsgrundlage bis 1983 Daten über 226 Rechtsanwälte und Referendare/ Pätzold »über Ausmaß bestürzt«
Berlin. Das Ausmaß unerlaubter Bespitzelung ist noch größer als bisher angenommen. Bis 1983 haben Schnüffler des Dahlemer Landesamtes für Verfassungsschutz 226 Rechtsanwälte und Referendare bespitzelt — und das auch ohne Rechtsgrundlage. Dies teilte Innensenator Erich Pätzold (»wir sind bestürzt«) dem Präsidenten der Rechtsanwaltskammer in einem Brief mit, den der SPD-Senator gestern veröffentlichte.
Vor 18 Jahren hatte das Dahlemer Amt begonnen, über Rechtsanwälte und Referendare Dossiers anzulegen, die die Verfassungsschutzmitarbeiter für Angehörige des terroristischen Umfelds hielten. Als Kriterien für die Auswahl reichte bereits, in Broschüren der »Roten Hilfe« erwähnt zu werden. Der Zusammenschluß verschiedener Sponti-Gruppen hatte damals unter anderem politische Gefangene betreut. Den Schnüfflern reichten dabei selbst die Adressen aus Broschüren zum Mietrecht. Genauso genügte es, für die »Berliner Mietergemeinschaft e.V.« als Rechtsberater tätig zu sein. Das Landesamt vermutete Kontakte zur damaligen SEW. Referendare wurden bespitzelt, sobald sie sich bei bestimmten Anwälten ausbilden ließen. Die Liste der Referendare wurde dem Amt regelmäßig von Mitarbeitern des Kammergerichtspräsidenten mitgeteilt.
In keinem einzigen Fall hatten die staatlichen Datensammler geprüft, ob der Verdacht der Angehörigkeit zu terroristischen Gruppen zutrifft — doch ohne Einzelfallprüfung war die Datensammelei und Verwendung rechtswidrig. Manchem Referendar ist durch die Staatsakten der Berufsweg verbaut, zumindest aber das berufliche Fortkommen behindert worden, bestätigte Hajo Ehrig, Vorsitzender der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger, der taz.
In Kiel soll ein Referendar, über den die Berliner Verfassungsschützer eine Akte angelegt hatten, erst nach monatelangem Hin und Her als Anwalt zugelassen worden sein. Für einen anderen Referendar, der Staatsanwalt werden wollte, mußte Ehrig einen Arbeitsgerichtsprozeß anstrengen. Eingestellt wurde der Jurist zwar, aber nicht — wie üblich — als Beamter auf Probe, sondern als Angestellter.
Ehrig selbst war Objekt staatlicher Informationswut geworden. Papiere mit Daten über seine Person füllen einen kompletten Leitz-Ordner. Die Sammlung beginnt mit seiner 18 Jahre alten Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Staatsanwalt der Politischen Abteilung und endet mit einem taz-Artikel von vor drei Jahren, in dem über einen Prozeß berichtet wird, in dem Ehrig lediglich Verteidiger war. In der Akte wird festgehalten, mit wem Ehrig auf welcher Demonstration war (»...in Gegenwart einer Frau — vermutlich seine Ehefrau«), wann er bei der Initiative »Bürger beobachten die Polizei« mitarbeitete und daß er auf der Gründungsversammlung der AL anwesend war.
Die betroffenen Juristen, manche wissen noch nichts über die Existenz der illegalen Dateien, werden demnächst vom Landesamt für Verfassungsschutz benachrichtigt. Sie können ihre Akten einsehen, dann werden die Papiere vernichtet. Es ist aber unwahrscheinlich, daß damit alle gesammelten Daten eliminiert sind. Ehrig glaubt, daß die Berliner Spitzel »fast sicher« anderen Ämtern Daten mitgeteilt haben. Der Verfassungsschutz habe damals schließlich bundesweit Anwälte und Referendare erfaßt, die RAF-Gefangene oder Gefangene des »2. Juni« besucht haben. Dirk Wildt
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