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„Spitzel“ Hirsch wurde selbst bespitzelt

■ 'Bild am Sonntag‘ bringt Skandalstory über angebliche Stasi-Tätigkeit des Momper-Mitarbeiters Ralf Hirsch / „Panorama„-Beitrag bewies aber schon vor zwei Jahren: Der Ex-DDR-Bürger und Regimegegner Hirsch wurde selbst über Jahre von der Stasi observiert

„Stasi-Agent bei Momper?“ titelte gestern die 'Bild am Sonntag‘ ('BamS‘) in fetten Buchstaben. Doch die gestrige Aufmacherstory des Boulevardblattes entpuppt sich mehr und mehr als Zeitungsente. Die Springer-Zeitung hatte dem im persönlichen Büro vom Regierenden Bürgermeister Walter Momper arbeitenden Ex-DDR Bürger Ralf Hirsch vorgeworfen, jahrelang bezahlter Agent der Saatssicherheit gewesen zu sein. Unter anderem soll er den bekannten Pfarrer und jetzigen Vorsitzenden des Demokratischen Aufbruchs, Reiner Eppelmann, verraten haben.

'BamS‘ beruft sich bei der zweiseitigen Geschichte auf einen anonym bleibenden ehemaligen Oberleutnant der Politischen Polizei (Tarnname „Bodo“), der seine Behauptung, Ralf Hirsch angeworben zu haben, mit einer eidesstattlichen Versicherung bekräftigte. Detaillierte Informationen über die Oppositions-Aktivisten der Ostberliner Samariter -Gemeinde seien Hirsch jeweils mit 150 bis 200 Mark vergütet worden, behauptet der unbekannte Informant.

Hirsch hat die Anschuldigungen gestern scharf zurückgewiesen und Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Sein Anwalt will heute eine einstweilige Verfügung gegen die Zeitung erwirken. Was die Anschuldigungen gegen Hirsch, der zweimal wegen seiner oppositionellen Haltung im DDR-Knast saß und 1988 mit Bärbel Bohley und anderen zur Ausreise gezwungen wurde, gehörig ins Wanken bringt: Zur selben Zeit, als Hirsch angeblich ein „Top-Agent“ der Stasi gewesen sein soll, wurde der heute 29jährige selbst von der Staatssicherheit bespitzelt. Wenn die 'BamS'-Redakteure Fernsehen gucken würden, hätten sie das wissen können: Denn vor zwei Jahren brachte das ARD-Magazin Panorama einen Beitrag, in dem der ehemalige Stasi-Agent Rainer Wolf erklärte, daß er von Ende 1979 bis 1983 auf Pfarrer Eppelmann sowie dessen „rechte Hand, Ralf Hirsch“ angesetzt gewesen sei. Reiner Wolf war nach mehrmaligen Gefängnisaufenthalten von der Stasi engagiert worden. Wolf flüchtete sich Mitte der achtziger Jahre in die bundesrepublikanische Botschaft in der CSSR. Der Ex-Spitzel wurde dann von der Bundesregierung freigekauft.

Wolf sagte dem Panorama-Reporter weiter, daß er unter der Berliner Stasi-Telefonnummer 5933409 oft Informationen über Hirsch, Eppelmann und weitere Oppositionelle durchgegeben habe. Was ebenfalls gegen die 'BamS'-Story spricht: Hirsch wird in den Geheimberichten des Ex-Stasi -Chefs Mielke an Honecker ausdrücklich erwähnt. Dort wird er als „Feind der DDR“ und als „Schaltzentrale subversiven Vorgehens gegen die DDR“ bezeichnet - keine besonders charmanten Titulierungen für einen Stasi-Agenten.

'BamS‘ arbeitet bei der Präsentation der Story mit den üblichen Tricks. Ein Foto zeigt Hirsch, wie er das 'Neue Deutschland‘ liest. Das Foto entstand aber nicht in der angeblichen Stasi-Zeit, sondern erst vor fünf Wochen - bei Hirsch am Schreibtisch. „Aus Jux“ habe er das Blatt in die Hand genommen, nachdem ihn der Fotograf dazu aufgefordert hatte. Auf einem zweiten Bild ist Hirsch mit Wolf Biermann zu sehen. Unterzeile bei 'BamS‘: „Wolf Biermann wollte Anfang des letzten November über den Grenzbahnhof Friedrichstraße nach Ost-Berlin. Ralf Hirsch begleitete ihn. Biermann wurde damals abgewiesen.“ Kein Wort darüber, daß die Grenzer auch Hirsch nicht passieren ließen.

Die „Mutter der DDR-Revolution“ und langjährige Hirsch -Vertraute Bärbel Bohley, nannte die 'Bild'-Story gestern eine „Sauerei“. „Leuten, die anonym Vorwürfe erheben, glaube ich sowieso nicht!“ meinte sie zur taz. Sie habe immer Vertrauen zu Hirsch gehabt und hoffe, daß er so schnell wie möglich Anzeige wegen Verleumdung erstatte. Auch Walter Momper erklärte, daß er „keinen Anlaß habe, Ralf Hirsch zu mißtrauen“. (Siehe auch S.4)

Claus Christian Malzahn

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