Spielwarenmesse Nürnberg: Feldzug des Digitalen
Dank Internet und Konsolen bevorzugen Kids immer mehr die virtuellen Welten anstatt klassische Spielzeuge. Deren Hersteller versuchen jetzt zu kontern und setzen auf elektronische Add-Ons.
BERLIN taz | Brauchen Kinder heute noch Spielzeug zum Anfassen? Wenn es nach der IT- und Videospielebranche geht, dann lautet die Antwort eher: "Eigentlich nicht". Das Versinken in digitalen Universen, ob nun im Internet oder auf Konsolen, füllt immer mehr Freizeit auch von Grundschülern oder noch Jüngeren aus.
Da haben es die traditionellen Spielehersteller, die sich noch bis Dienstag in Nürnberg auf der Spielwarenmesse treffen, eher schwer. Brettspiele, Puppen, Plastikfiguren - all das wirkt plötzlich furchtbar unsexy gegen Welten aus dem Computer, die völlig variabel sein können und Instant-Kommunikation mit dem Rest des Planeten versprechen.
Doch die klassischen Anbieter schlagen zurück. Schon am diesjährigen "ToyAward", dem seit sieben Jahren auf der Spielwarenmesse vergebene Preis für die innovativsten Produkte der Branche, lässt sich ablesen, was die Zukunft bringen soll: Zu immer mehr Elektronik im traditionellen Spielzeug. 317 Neuheiten von 189 Unternehmen wurden in diesem Jahr der unabhängigen Fachjury vorgelegt. Acht Gewinner gab es. Und sechs von ihnen haben ihr Spielzeug teilweise elektronisch aufgemotzt.
Das kann leidlich verrückt sein wie die Barbie mit Flashspeicher-Kamera, die der US-Konzern Mattel auf den Markt geworfen hat, oder eher kindlich wie ein Buch von Ravensburger, das sich mittels elektronischem Stift ("tiptoi") selbst vorlesen kann - beides Preisträger des ToyAwards in den Kategorien "Trend + Lifestyle" und "Wissen + Lernen".
Ein Blick auf die weiteren Nürnberger Sieger bestätigt den Trend: Im "GEOlino Power-House" (Preisträger "Ökologie + Umweltbewusstsein") dürfen Kids ihr eigenes "grünes" Kraftwerk basteln, während die "Carrera RC Racing Machine" (Gewinner "Elektronik + Technik") dank sonst nur vom Internet-Datenfunk bekannter Frequenznutzung enorm weite Runden mittels Funkfernbedienung dreht. Das Produkt "Paper Jamz" (Kategorie: "Emotion + Erlebnis") hat es wiederum offensichtlich auf die Generation "Guitar Hero" abgesehen: Es handelt sich um Pappgitarren, die sich dank berührungsempfindlicher Oberfläche zu Gitarrensounds aus einem Lautsprecher bewegen lassen.
Ziemlich erschütternd ist dagegen der ToyAward-Sieger in der Kategorie "Spiel + Action": Der bekannte Figurenhersteller PlayMobil hat ein Agentenset auf den Markt gebracht, das mit "Robo-Gangster-SUV" und Hauptquartier inklusive Gefängniskeller ein wenig an die Aktionen übereifriger amerikanischer Terrorbekämpfer erinnert. "Für spannende Agentenmissionen" lässt sich mit Teilen des Sets sogar das eigene Kinderzimmer ausspionieren - "inklusive Kameraset und Handmonitor". Einen elektrischen Bewegungsmelder gibt's gratis obendrauf.
In der Spielebranche freut man sich darüber, dass die Hersteller ihre Produkte digitaler machen. Nur so, glaubt man im Handel, bleiben die klassischen "Games" interessant. Bei der Spielehändler-Vereinigung "Vedes" hieß es zum Auftakt der Spielemesse, Elektronik in klassischem Spielzeug sei der aktuelle Haupttrend, nachdem in den vergangenen Jahren vor allem viel direkte Multimediaartikel, wie Playstations und XBoxen, verkauft wurden. Und das Geschäft wächst weiter: Selbst im Krisenjahr 2009 erzielten die Vedes-Händler ein Plus von immerhin 3,5 Prozent. Die Nürnberger Spielwarenmesse selbst lässt sich unterdessen ebenfalls gut an: Von den 2.600 Ausstellern der 61. Ausgabe hieß es, die Branche sei "stabil".
Ein ganz anderes Problem neben der Herausforderung der Digitalisierung dürfte auch in diesem Jahr Thema sein: Billigspielzeug mit giftigem oder gefährlichem Inhalt. Im letzten Jahr wurden von Kontrolleure des Gewerbeaufsichtamts Nürnberg 477 Ständen überprüft. In 3,5 Prozent der Fälle sind Spielzeuge mit "schwerwiegenden Mängeln" ausgestellt worden. Damit gemeint sind Spielzeuge mit leicht verschluckbaren Teilen oder Verarbeitungsproblemen, die zu Verletzungen führen können. Solche Probleme kennen Internet- und Videospiele-Kinder nicht. Außer vielleicht die "viereckigen" Augen.
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