Spielfilmdrama über Stasi-Frauenknast: "So ein Film hilft letztlich niemandem"
In "Es ist nicht vorbei" spielt Ulrich Noethen einen ehemaligen Stasi-Arzt. Eine spannende Rolle, findet er. Zum DDR-Experten würde er dadurch nicht.
taz: Herr Noethen, was wussten Sie, 1959 geboren in München, vor den Dreharbeiten zu "Es ist nicht vorbei" über das Stasi-Frauengefängnis Hoheneck?
Ulrich Noethen: Nix. Blinder Fleck, überhaupt nichts. Mag sein, dass mir in irgendwelchen Artikeln der Name mal untergekommen war. Aber selbst wenn ich es irgendwo gelesen hätte, hätte ich mich gefragt: Ja, und was hat das mit mir zu tun? Verbrechen finden überall statt. Aber sobald es mit einer konkreten Geschichte verknüpft wird, fiktiv oder real, kann man sich was darunter vorstellen.
Warum haben Sie die Rolle des früheren Stasi-Arztes Wolfgang Limberg, der nach Jahrzehnten eines seiner Opfer zufällig wiedertrifft, angenommen?
Ich fand das Drehbuch gut und spannend, ihn eine interessante Figur. Den wollte ich gern spielen. Im Moment der Begegnung mit Vertretern des Opferverbandes hat sich die Perspektive noch mal verändert: Moment, das ist ja nicht nur eine spannende Geschichte, das hat so oder so ähnlich tatsächlich stattgefunden. Es ging mir aber nicht darum, deutsche Geschichte aufzuarbeiten. Es ist eine Rolle.
ULRICH NOETHEN,
51, studierte Jura, bevor er sich an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart zum Schauspieler ausbilden ließ. Nach Theaterengagements in Freiburg, Köln und Berlin sieht man ihn seit 1995 nur noch in Film und Fernsehen ("Der Skorpion", "Comedian Harmonists", "Das Sams", "Der Untergang", "Teufelsbraten"). Zudem ist er ein gefragter Hörbuchsprecher.
Hat die Begegnung mit ehemaligen Hoheneck-Insassinnen Ihnen für diese Rolle genützt?
Nein, man steht solchen Menschen gegenüber, hört sich deren Geschichten an und weiß gar nicht, was man sagen soll. Man kann keinen Trost spenden, man kann nichts dazu beitragen, dass es besser wird. Zum Glück hat man aber den Eindruck, dass es für die Leute wichtig ist, dass so ein Film gemacht wird, dass dieses Thema behandelt wird - auch wenn so ein Film letztlich niemandem weiterhilft. Und nichts ist affiger als ein Schauspieler, der meint, gegen Stasi-Unrecht anspielen zu können. Trotzdem ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass es um mehr geht als meine Kaspereien. Ich möchte mich von dem ernsten Hintergrund aber auch nicht ins Bockshorn jagen lassen - ich möchte spielen.
Empfinden Sie den zeithistorischen Bezug manchmal als Hypothek?
Nein. Zwar kriegt der Film dadurch eine besondere Brisanz und Relevanz, dass er die jüngere deutsch-deutsche Geschichte behandelt, auf die durch das Sendedatum 9. November eine große Aufmerksamkeit gerichtet ist, mich interessiert aber vor allem die Rolle: ein Mensch, der in einer Phase seines Lebens verbrecherisch gehandelt hat und jetzt nicht mehr darüber sprechen, seine Taten ungeschehen machen möchte. Und dem durch die Begegnung mit einer früheren Patientin aus Hoheneck plötzlich die Felle davonschwimmen. Alles, was er sich aufgebaut hat, droht in sich zusammenzustürzen. Und das wäre doch sehr schade, wo er doch so eine nette Familie hat und eigentlich ein guter Mensch ist und ein erfolgreicher Arzt. Also setzt er alles daran, die Patientin lächerlich zu machen, seine Existenz zu bewahren. Das ist eine allgemeingültige menschliche Geschichte, nicht DDR-spezifisch.
Aber es ist doch merkwürdig: Jetzt kommen lauter Journalisten und befragen Sie als DDR-Experten.
Das ist immer der große Fehler. Dass dem Schauspieler unterstellt wird, er hätte, wenn er eine Rolle annimmt, per se auch ein inhaltliches Interesse daran. Natürlich habe ich dieses inhaltliche Interesse, aber im Vordergrund steht für mich, dass ich eine interessante Rolle ergattert habe. Und dann wird man dazu befragt, und es entsteht der Eindruck, als wäre ich tatsächlich DDR-Experte. Das ist nicht der Fall. Ich kann zum Thema DDR-Unrecht nicht besonders viel beitragen. Und ich bin auch weit davon entfernt, über irgendjemanden den Stab brechen zu wollen. Filme, in denen den Ossis mit westlicher Arroganz gezeigt wurde, was sie alles für Mist gebaut haben, gab es nach der Wende zur Genüge, ich vermisse sie nicht.
Bestand der Reiz der Rolle auch darin, dass Sie mal böse sein dürfen? Sonst sind Sie ja eher auf Sympathieträger abonniert.
Ich finde diesen Menschen nicht so wahnsinnig böse. Der hat sehr, sehr Böses getan, und das Böse macht einen Menschen böse. Aber er ist eben auch ein erfolgreicher Arzt, der schon sehr viel Gutes getan hat. Und seine Familie, sein kleines Glück, liebt er auch. Das ist ein Guter.
Aber er ist doch ein sehr kühler Mann?
Macht ihn das böse?
Nicht direkt, aber auch nicht zum Sympathieträger.
Ich glaube, dass er durchaus die Fähigkeit hat, ein großes Herz zu haben, sehr mitfühlend zu sein, sehr menschlich. In dem Moment, wo er sich allerdings bedroht fühlt, weil seine Verbrechen wieder hochzukommen drohen, werden die kriminellen Energien wieder geweckt. Da wird er ganz kalt, ganz brutal, und versucht, die Bedrohung aus dem Weg zu schaffen. Ja, so weit würde er gehen.
Haben Sie in Annäherung an die Rolle auch nach Verständnis für diesen Mann und seine Taten gesucht?
Ach, immer diese moralischen Kategorien! Ich glaube, es ist leicht zu verstehen: Das ist ein menschliches Verhalten, ich finde das nicht weit hergeholt. Ja, ich habe dafür Verständnis. Mit Ausnahme vielleicht der Szene, in der er seinem früheren Opfer eine tödliche Spritze zu verabreichen versucht. Da sage ich: Okay, das ist jetzt im fiktionalen Bereich, da mache ich mir keine Gedanken mehr. Das spiele ich dann einfach. Da habe ich auch keine Lust, drauf einzusteigen, weil das in der Psychologie der Figur nicht ausgearbeitet ist.
Die hier anklingende Kritik führt Ulrich Noethen weiter aus, möchte damit aber nicht zitiert werden. Der Autor akzeptiert - wie die taz - die in Deutschland übliche Praxis der Autorisierung von wörtlichen (Interview-)Zitaten, hält diesen Bruch in der Interviewführung allerdings für erklärungsbedürftig.
Sind die vielen Hörbücher, die Sie einsprechen, also eine Flucht vor dem Fernsehen?
Nein, wenn ich sagen würde, eine Flucht, dann hieße das ja, man müsste vor dem Fernsehen fliehen. Das sage ich nicht. Ich würde nicht von Flucht sprechen, eher von Zuflucht. Ich genieße es sehr, bei Hörbuchproduktionen die alleinige Verantwortung für meine Leistung zu tragen. Es gibt zwar einen Regisseur, mit dem ich mich anfangs verständige und der mich als mein erster Zuhörer auch darauf hinweist, wenn ich müde werde oder mir eine Bedeutung entgeht. Aber sonst bin ich auf mich selbst gestellt, gehe alleine durch diesen Text.
Ketzerisch gefragt: Da sind Sie nicht von Idioten umgeben?
Überhaupt nicht. Ich sehne mich nur in meinem Beruf manchmal nach mehr Verantwortung. Nicht, dass ich überall mitquatschen wollte, aber neben meinen Kaspereien hätte ich schon noch Kapazitäten.
Und warum übernehmen Sie nicht mehr Verantwortung?
Hat mich noch keiner gefragt.
Aber Herr Noethen! Könnten Sie die Verantwortung mit Ihrem Renommee nicht einfach einfordern?
Nein.
Der Schauspieler kommt, kann seinen Text und hat ansonsten die Fresse zu halten?
Nein, so ist es nicht. Gerade aus diesem Gefühl heraus, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, resultiert natürlich, dass ich mich inzwischen in die Drehbücher oder zumindest in meine Texte einmische. Ich weiß, dass das viele Kollegen tun. Und ich weiß, dass das bei denen genauso ungern gesehen wird wie bei mir.
Drängt es Sie ins Drehbuch- oder Regiefach?
Nein. Regie wäre eine Möglichkeit, aber ich glaube, diese Phase hat jeder Schauspieler mal: Entschuldige, was der da gerade verzapft hat, das kann ich auch! Da täuscht man sich. Zum Regieführen braucht man Fähigkeiten, die mir, glaube ich, abgehen. Dafür bin ich viel zu kindisch, blödele ich zu gern rum. Um die Verantwortung wahrzunehmen, nach der ich mich sehne, fehlt mir die Chuzpe und auch die Geduld.
Also gibt es eine Sehnsucht nach mehr Verantwortung, die sich nie erfüllen wird, weil Ihr Interesse dann doch nicht groß genug ist?
Genau.
Rätselhaft.
Ja, die Welt ist bunt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure