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Spielfilm „Universal Language“ im KinoEin Traum in Beige

Regisseur Matthew Rankin führt in seinem Comedy-Drama-Film „Universal Language“ in eine mysteriöse transkulturelle Zone irgendwo zwischen Winnipeg und Teheran.

Die Farbe Beige dominiert in „Universal Language“ Foto: Rapid Eye Movies

Massoud (Pirouz Nemati) sitzt in einem leeren Klassenzimmer und zündet sich eine Zigarette an. Seine Schü­le­r*in­nen hat der Lehrer mit dem dicken Schnurrbart nach Hause geschickt. Hat sie unfähig und dumm genannt und auf die Tafel geschrieben: „Wir sind alle verloren in der Welt.“ Der Satz wirkt wie ein Omen für das Kommende und setzt den Ton für Matthew Rankins Spielfilm „Universal Language“, in dem die Prot­ago­nis­t*in­nen ziellos herumzuirren scheinen.

Nach der Schulszene finden die Schülerinnen Negin (Rojina Esmaeili) und Nazgol (Saba Vahedyousefi) im Eis einen Geldschein und versuchen, ihn zu holen. Matthew (Matthew Rankin), gespielt vom Regisseur selbst, kündigt seinen Job als Regierungsbeamter in Montreal, um seine Mutter in Winnipeg zu besuchen.

Der Film

„Universal Language“. Regie: Matthew Rankin. Mit Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi u. a. Kanada 2024, 89 Min.

Währenddessen führt Massoud, der auch als Reiseführer arbeitet, im beigen Anzug mit bunten Ohrschützern Touristen durch obskure Sehenswürdigkeiten der Stadt, etwa eine Bank, auf der vor 40 Jahren jemand einen Koffer vergessen hat, oder ein riesiges Parkhaus.

Wer hier nach dem Plot sucht, hat verloren. Der Film lebt von Atmosphären, den kleinen, sich fast zufällig aneinanderreihenden Momenten und von seiner unbestimmten Orts- und Zeitbestimmung. Sind es die 1980er Jahre? Ist das wirklich Winnipeg, Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba?

Zwischen Winnipeg und Teheran

Kurioserweise sprechen die Menschen nicht in den beiden Landessprachen Französisch oder Englisch, sondern Persisch. Abgesehen von den vereisten Straßen und der nordamerikanischen Architektur sehen Märkte und Cafés aus wie iranische Teehäuser – eine mysteriöse Zone irgendwo zwischen Winnipeg und Teheran. Identitäten sind hier im Vorhinein transkulturell und Migration ist keine Ausnahme, sondern Norm einer globalisierten Welt.

Die visuelle Inszenierung dieser Welt erinnert an Wes Andersons radikal symmetrische Verspieltheit und Abbas ­Kiarostamis poetische Bildsprache. Rankin bekennt sich offen als Fanboy des iranischen Filmemachers. Wie in Kiarostamis Film „Der Wind wird uns tragen“ (1999) sind auch in dieser Komödie nichtmenschliche Dinge wie die urbane Architektur Charaktere, die die Protagonisten auf nicht wirklich offensichtliche Weise beeinflusst.

Während der Plot und die Beweggründe der Figuren vage sind, folgt ihr Leben einer klar definierten Ordnung. Sie zeigt sich in der comichaft stilisierten Welt: In der Apotheke, in der Matthew sich Schlaftabletten kauft, gibt es nur drei Medikamente. Fentanyl, Vitamin D und ebenjene Schlaftabletten. Die Verpackungen sind perfekt gestapelt und: beigefarben.

Die Farbe ist so etwas wie ein Leitmotiv. So verlaufen sich die beiden Schülerinnen auf der Suche nach einem Eispickel für den Schein im „beigen Bezirk“. Der absurde Humor setzt sich fort, wenn Reiseführer Massoud eine Gruppe Touristen zu einer Autobahnauffahrt führt und sie bittet, einem dort Verstorbenen 30 Minuten lang in Stille zu gedenken. Oder die Kamera auf Wahlplakaten stehen bleibt, auf denen zwangslächelnde Politiker Slogans verkaufen wie: „Eine starke Wirtschaft begrenzt das Gefühl der Wertlosigkeit.“

Unter Humor versteckte Sozialkritik

Oft wirkt es, als habe Rankin nur Häme übrig für das Land, aus dem er stammt. Kanada und besonders das in der südlichen Mitte des Landes angesiedelte Winnipeg werden zynisch dargestellt – und alles wirkt wie eine unter Humor versteckte Sozialkritik an der Entfremdung im eigenen Land.

Doch dann gibt es immer wieder Wärme und Versöhnlichkeit. Zum Beispiel, wenn Matthew Dara (Dara Najmabadi) besucht, der mit seiner Familie inzwischen in seinem Elternhaus lebt und dem immer verwirrteren Matthew ein Obdach bietet. Ein Funken Menschlichkeit in einer von Alternativlosigkeit geprägten Welt.

Auch der elegische Soundtrack stößt sich ironisch an der sterilen Geometrie der Kulissen. Er verleiht ihnen eine gewisse melancholische Würde. Wie ein Lana-Del-Rey-Song in einem Ikea-Showroom: irgendwie bescheuert, irgendwie bewegend.

Rankin gelingt nicht trotz, sondern wegen des eigenwilligen Humors eine tiefgründige psychologische Analyse des Wunsches nach Zugehörigkeit. Fast alle Figuren wie Dara Persisch sprechen zu lassen, verschiebt die Perspektive – Migration ist keine Fußnote, sondern die Grundregel des Films.

Zugehörigkeit ist keine Antwort, sie ist eine Zumutung: Was passiert, wenn niemand in der Sprache spricht, die erwartet wird? Ist Zugehörigkeit stets an die Anpassung an Erwartungen gebunden? Oder liegt darin eine Gefahr, die eigene Identität zu verlieren? Rankin spielt geschickt mit Vorurteilen über Migration und stellt Figuren wie Dara oder die beiden Schülerinnen ohne Klischees dar. In seiner Mehrdeutigkeit bleibt die Frage offen – das ist die größte Stärke von „Universal ­Language.“ Sie kann nie gelöst, nur ausgehalten werden.

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