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Spiel ohne Masken

■ Dominik Grafs „Tiger, Löwe, Panther“

Bester Laune verließen wir das Kino. Obwohl draußen ein Sauwetter herrschte, schien der Asphalt unter unseren Füßen zu federn und der Regen an uns abzutropfen. Wir erzählten uns noch mal die besten Stellen des Films. Wie Pat sagt, auch Kinder suchten sich ihre Eltern aus, deshalb habe sie eben noch keines. Oder wie Sissy umwerfend komisch erklärt, warum eine Kommode im Schaufenster eines Buchladens die ideale Dekoration darstellt. Wie Pat erklärt, warum man nach einer beendeten Beziehung nicht „gute Freunde“ bleiben, sondern höchstens werden kann.

Plötzlich kam mir die Frage, ob Dominik Graf ein glücklicher Mensch ist: Der Film beantwortet sie nicht, aber er gibt Hinweise, daß er a) nicht mehr 20 und b) nicht ganz unglücklich ist. Dominik Graf, der zuletzt „Schimmi“ als „Die Katze“ filmte, hat es gar nicht nötig, wie der Rest der deutschen Jungfilmer den quälenden und selbstzerstörerischen Beziehungskampf nach außen zu drehen. Deshalb hat Tiger, Löwe, Panther nichts mit dem zu tun, was sonst aus deutschen Landen als Komödie oder Tragödie serviert wird. Es kann auch daran liegen, daß das Drehbuch von einer Amerikanerin geschrieben wurde: Sherry Hormann, Dominik Grafs Frau. Allerdings ist der Film ebensowenig amerikanisch: Am ehesten ist er eine Zwischenlandung in einem japanischen Fast Fodd in Paris.

Tiger, Löwe, Panther: Dahinter verstecken sich keine gefährlichen Raubkatzen, sondern drei durchschnittliche Frauen um die 30 in der Schischi-Hauptstadt München. Als Kinder feierten sie immer gemeinsam Geburtstag, und damals trugen sie diese Masken, die heute ihre Spitznamen sind.

Pat ist Buchhändlerin und sortiert ihre Bücher nach Farben: Grau für Thomas Mann. Obwohl der Film mehr auf das gleichberechtigte Miteinander von sieben guten Schauspielern setzt (gibt es!), ist Pat der Star: Denn sie wird von Nadja Brunckhorst gespielt, der legendären Christiane F. vom noch legendäreren Berliner Bahnhof. Der Star, besonders bei den männlichen Zuschauern, ist sie aber nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern auch wegen ihrer Rolle: Sie spielt die Verschlossene, Rätselhafte. Ihre Beziehungen zu Männern sind selten von längerer Dauer. Dann zieht sich Pat zurück, um zu sich selbst zu finden. Am liebsten bei ihren Eltern, die der fernöstlichen Philosophie verfallen sind: Störende Magnetfelder werden weggependelt in diesem Leben, das vorbestimmt ist, aber vielleicht ist es im nächsten besser. Es wirkt wie eine Satire auf esoterische Verirrungen, wenn Pats Vater zu solchen Weisheiten seinen Hummer schlürft, trotzdem sagt er den entscheidenden Satz - ein japanisches Gleichnis: „Was ist der Weg?“ - „Er liegt vor dir, schau hin.“

Jeder geht seinen Weg, auch wenn er ihn selber nicht erkennt. Den Figuren im Film geht es nicht anders: Nicoletta ist Lehrerin und Hobby-Journalistin, verheiratet mit Liebhaber: An ihrem Mann, einem Koch, schätzt sie die Sicherheit, daß sie abends im Bett errät, was er tagsüber gekocht hat. Und um die Fotos ihres Liebhabers darf sie harmlose Texte dichten. Nicoletta kann sich nicht entscheiden, aber sie lebt ihren Widerspruch. Pat ist dagegen für klare Verhältnisse: Sie trennt sich erst von ihrem grobgeschnitzten, gutherzigen Schreiner, bevor sie sich auf den sensiblen Klavierlehrer Christopher einläßt. „Geht's dir damit besser?“ fragt Nicoletta. Es sieht nicht so aus, aber jeder geht seinen Weg, und jeder Weg ist gleichberechtigt: Es gibt keine moralische Ansage. Das gilt auch für Sissy, Typ Aufsteiger-Friseuse, die als grüne Witwe darauf wartet, von ihrem Studienrat geschwängert zu werden.

Alte und neue Beziehungen samt geplanter und vollzogener Seitensprünge bringen den notwenigen Pepp in den abgeschlafften Alltag dieser Clique. Das ist wahrlich nicht die letzte cineastische Entdeckung, aber Dominik Graf schafft es, hier völlig neue Dimensionen zu entfalten, was den deutschen Film betrifft: Er guckt seinen Figuren einfach zu. Die teilen sich nicht in „the good, the bad, the ugly“, sondern sind als Charaktere sehr differenziert: Jeder ist mal stark, mal schwach, mal komisch, mal traurig. Am Ende gibt es keine Gewinner und keine Verlierer: Wahrscheinlich wird das Leben so weitergehen.

Lutz Ehrlich

Dominik Graf: „Tiger, Löwe, Panther“ mit Nadja Brunckhorst, Sabine Kaack, Martina Gedeck, Heinz Hönig, BRD 1988, 93 Min.

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