Spiel-Skandal beim Kindersender Kika: Das Gezocke von Erfurt
Ein Mitarbeiter des Kinderkanals Kika zweigte Millionen ab. Nun schieben sich die Verantwortlichen den Schwarzen Peter dafür zu. Der MDR bemüht sich um Aufklärung.
"Der Kika ist ein Schutzraum für die Kinder und ein Segen für die Eltern", lobte vergangenen Mittwoch beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland ein hochrangiger Politiker. Und ein Fluch für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Aber das sagte der Mann natürlich nicht. Dabei fügt der Kinderkanal von ARD und ZDF, für den innerhalb der ARD offiziell der MDR zuständig ist, den Anstalten gerade einen Imageschaden sondergleichen zu: Der langjährige Kika-Herstellungsleiter Marco K. konnte den Sender durch Scheinrechnungen über Jahre um mindestens 8,2 Millionen Euro erleichtern - und hat sich außerdem noch schmieren lassen.
Es geht um den bislang größten Betrugsfall im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und alle wollen sich einig sein, nichts gewusst und nichts gemerkt zu haben, auch wenn der am Freitag auf taz.de veröffentlichte Revisionsbericht von MDR und ZDF eine ganz andere Sprache spricht.
Danach sind die Strukturen bei dem kleinen Erfurter Sender - eigener Jahresetat ca. 36 Millionen Euro - höchst schlank; so schlank, dass sie zum Betrug förmlich einluden. Marco K. war der König vom Kika, auch wenn offiziell ein Programmgeschäftsführer über ihm stand. Doch die Arbeitsteilung war perfekt: Der Programmgeschäftsführer kümmerte sich ums Programm, der Herstellungsleiter Marco K. ums Geld. Für einen eigenen Controller war da kein Platz. Und selbst dort, "wo nach den MDR-Regularien Fremdkontrollen vorgesehen waren, hätten diese kaum stattgefunden", so die Revision.
MDR windet sich
Mit dem ergaunerten Geld finanzierte Marco K. seine häufigen Casinobesuche in Erfurt und anderswo, bis zu 20.000 Euro soll er in manchen Wochen verloren haben. Von der "Spielleidenschaft" des Herstellungsleiters ist viel im 104-seitigen Bericht zu lesen, "Spielsucht" träfe es wohl besser.
Der MDR bemüht sich um Aufklärung - und windet sich: Zwar hatte eine Prüfung durch den Hessischen Rundfunk und das ZDF schon im Oktober 2009 deutlich auf Mängel im Kontrollsystem hingewiesen, auch der Antikorruptionsbeauftrage des MDR schaltete sich ein. Doch nichts passierte. Im Gegenteil, die zuständigen Stellen beim MDR wiegelten ab, und mit der Umsetzung der wenigen Reformen wurde Ende 2009 ausgerechnet der Mann beauftragt, der seit Dezember 2010 in Untersuchungshaft sitzt: Marco K.
"Aus heutiger Sicht wurde die Bedeutung der Schwachstellen […] im internen Kontrollsystem in ihrer Tragweite unterschätzt", lässt der MDR über seinen Pressesprecher Dirk Thärichen ausrichten - und schiebt trotzig nach, insgesamt hätten HR und ZDF "dem Kika ein gutes Zeugnis ausgestellt und dessen Aufbau- und Ablauforganisation als ,angemessen und an den schlanken Abläufen orientiert' bezeichnet". Und dann verweist Thärichen noch auf die "personellen Konsequenzen, die der MDR gezogen hat".
Richtig ist: Der Verwaltungsdirektor des MDR, Holger Tanhäuser, hatte schon im März die Verantwortung übernommen und - natürlich ohne Anerkennung eines eigenen Verschuldens - sein Amt zur Verfügung gestellt. Das ist praktisch, denn so ist zumindest schon mal jemand verantwortlich, und die Schuldfrage muss nicht allzu detailliert geklärt werden. Der MDR-Fernsehdirektor erhielt lediglich eine Ermahnung, Kika-Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp wurde abgemahnt. Viel mehr war da nicht, aber immerhin beim Kika selbst tut sich was: Der sei nicht nur enger in das Controlling der MDR-Fernsehdirektion eingebunden, sagt MDR-Sprecher Thärichen: "Die Ausschreibung einer neuen, zusätzlichen Controllingstelle im Kika wird derzeit vorbereitet." Wenn das nichts ist.
"Skatrunden sind Privatsache"
Im MDR-Rundfunkrat, der für die gesellschaftliche Kontrolle der Anstalt und damit indirekt auch des Kika zuständig ist, beurteilt man die bisherige Aufklärung differenziert: "Ich habe nicht den Eindruck, dass uns der MDR hier etwas vorenthält", sagt Dirk Panter, Rundfunkratsmitglied und Generalsekretär der sächsischen SPD: "Ich bin aber nicht sicher, ob die Staatsanwaltschaft und das anstehende Gerichtsverfahren nicht noch mehr zutage fördern."
Das wird auch einen interessieren, der heute nicht mehr beim Kika ist: Frank Beckmann war von 2002 bis 2008 Programmgeschäftsführer des Kinderkanals. Heute hat er eine ungleich gewichtigere Position als TV-Programmdirektor beim Norddeutschen Rundfunk (NDR). Der Bericht über die Aufklärung der Veruntreuungen wirft der Kika-Chefetage - also auch Beckmann - vor, von K.s "Spielleidenschaft" gewusst zu haben. "Auch wenn die Problematik möglicherweise nicht in ihrer ganzen Tragweite überschaut wurde, hätte Veranlassung bestanden, den fundierten Gerüchten nachzugehen." Im NDR-Medienmagazin "Zapp" hatte Beckmann allerdings im März jegliche Kenntnis von K.s Spielleidenschaft bestritten.
Der taz schreibt Beckmann jetzt auf Nachfrage: "Ich habe von einer ungewöhnlichen Spielleidenschaft nichts gewusst, und der Revisionsbericht wirft mir persönlich das auch nicht vor. Täte er das, würde ich dagegen vorgehen." Nur: Was ist eine "ungewöhnliche Spielleidenschaft"? Und wie erklärt sich Beckmann Revisionsbericht-Passagen wie die, er habe auf den Hinweis eines Kika-Mitarbeiters, K. würde ja ganz schön häufig im Casino gesichtet, gelassen reagiert und gesagt: "Ich kenne Marco, so ist er nun einmal."? Das stimme nicht, sagt Beckmann heute zur taz: "Nein, da erinnert sich der Mitarbeiter anders an das damalige Gespräch als ich."
Laut Revisionsbericht besuchte Marco K. 2010 allein die Erfurter Spielbank 103-mal, für 2009 sind 77, für 2008 97 Besuche dokumentiert. "Aufzeichnungen aus früheren Jahren liegen dem Casinobetreiber nicht mehr vor", heißt es lapidar weiter, "darüber hinaus wurden u. a. auch die Casinos in Berlin, Potsdam, Las Vergas und in Leipzig" beehrt.
Und Marco K. zockte auch im privaten Umfeld: "Neben diesen Casinobesuchen fanden nach den bisherigen Erkenntnissen der Revisionen Black-Jack-Spiele in der Wohnung des Herstellungsleiters […] statt. Angeblich sollen daran auch weitere Kika-Mitarbeiter beteiligt gewesen sein", heißt es im Bericht. An dort ebenfalls ausgerichteten Skatturnieren, die keinen dienstlichen Hintergrund hatten, nahm auch der Programmgeschäftsführer teil. "Skatrunden sind Privatsache", schreibt Beckmann heute, zu Marco K. habe er ein "kollegiales Verhältnis" gehabt.
Keine Ehrenerklärung
Dass Marco K. aufgrund seiner Machtposition im Sender "sehr viel Respekt, zum Teil auch Angst entgegengebracht" wurde, wie es im Bericht steht, sieht Beckmann im Gespräch mit der taz völlig anders: "Der Herstellungsleiter genoss Respekt. Und seine Empfehlungen in Etatfragen hatten Gewicht. Wer allerdings mit seinen Entscheidungen unzufrieden war, dem stand der Weg zur Programmgeschäftsführung jederzeit offen. Und dieser Weg wurde auch genutzt." Genützt hat es - nichts. MDR-Rundfunkrat Panter macht aus seiner Skepsis keinen Hehl: "Ich empfinde das schon als starkes Stück von Herrn Beckmann, alles von sich zu weisen und jetzt häppchenweise einzuräumen, dass er mehr weiß." Das mute an "wie ein Rückzug auf Raten, den wir kürzlich erst in anderem Zusammenhang erlebt haben", sagt der SPD-Mann mit Blick auf den CSU-Politiker Karl Theodor zu Guttenberg. Andere kritisieren offen Beckmanns Nachfolger Steffen Kottkamp. Der habe sich vor dem Rundfunkrat schlecht geschlagen und sei trotz der brisanten Thematik kaum vorbereitet erschienen, heißt es in Gremienkreisen.
Den ungenierten Fingerzeig auf Beckmann sieht mancher daher auch als Versuch, von der Verantwortung des MDR - und der des ebenfalls für den Kika zuständigen ZDF - abzulenken. Schon Mitte März hatte MDR-Intendant Udo Reiter im Spiegel zu Protokoll gegeben, "der größte Teil der Scheinrechnungen und der damit veruntreuten Summe fiel in die Amtszeit von Frank Beckmann", und der sei nun mal 2008 zum NDR gewechselt - "rechtzeitig, könnte man hinzufügen", schob Reiter nach. Beckmann selbst lässt bescheiden wissen: Die Bewertung solcher Äußerungen "überlasse ich den Journalisten".
Der NDR steht zu seinem Programmdirektor: "Weder frühere Revisionsberichte noch Landesrechnungshofprüfungen enthielten mit Blick auf Frank Beckmann Beanstandungen", sagt NDR-Justiziar Werner Hahn, "auch im aktuellen Bericht steht er keineswegs im Mittelpunkt." Und überhaupt hätten "die Betrügereien des Kika-Herstellungsleiters unstreitig nicht in der Zeit stattgefunden, in der Herr Beckmann beim NDR, sondern beim Kika tätig war". Das stimmt. Eine Ehrenerklärung sieht allerdings anders aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben