Spiekerooger Klimagespräche: Die Unmöglichkeit einer Ökoinsel
Das bisschen Greenwashing von Politik und Wirtschaft reicht nicht aus. Wie also können Menschen und Gesellschaften sich dazu bringen, zu handeln - und das sofort?
"Nachhaltigkeitskommunikation", sagt der Oldenburger Professor Nico Paech, "ist wie die Rede des Pfarrers bei der Beerdigung: der Versuch, einer Zerstörung Sinn zu geben." Oho. Stille im Raum. Dann wird kräftig gelacht.
Wir sind bei der Nachhaltigkeitskonferenz "Spiekerooger Klimagespräche". Die Konferenzfrage lautet, wie Menschen sich angesichts der immer knapper werdenden Zeit doch noch dazu bringen können, den Klimawandel zu begrenzen. Veranstalter Reinhard Pfriem, ein Wirtschaftsprofessor aus Oldenburg, hat das zusammengebracht, was man eine hochkarätige Runde nennt.
Es werden Thesen vorgestellt, "letzte Halbsätze" formuliert, die länger als ein journalistischer Radiobeitrag sind, Arbeitsgruppen gebildet und in Strandkörben Themen wie "akteursbezogene Modelle des Wandels" diskutiert. Am Ende werden "Botschaften" stehen, mit denen Wirtschaft und Gesellschaft konfrontiert werden sollen.
Der Umweltökonom Paech hat offenbar mit seiner Trauerredenanalogie den Versuch unternommen, neben einer Pointe auch einen Schlag zu landen, der die Gemütlichkeit angreift, welche die Ernsthaftigkeit des institutionalisierten Klimadiskurses gern mal begleitet.
Menschliches Denken ist nicht nachhaltig
Die ostfriesische Nordseeinsel Spiekeroog ist zum dritten Mal Ort der Konferenz und ein Traum von einer Insel. 750 Einwohner. Blitzsauberes Örtchen, wunderbare Strände, Läden, die "Wattwurm" heißen. Autofrei und alles zu Fuß erreichbar. Ab und zu surrt ein Elektromobil über die Pflastersträßchen.
Aber sonst gibt es nicht mal Fahrräder zu mieten. Radeln dürfen nur die Einheimischen. Damit es trotz WLAN nicht allzu hektisch wird. Der gelebte Entwurf eines entschleunigten und nachhaltigen Lebens? Andererseits ist beim Strom schon Schluss. Der ist nicht erneuerbar oder wird selbst produziert, sondern kommt vom regionalen Monopolisten EWE.
Wie also können Menschen und Gesellschaften sich dazu bringen, zu handeln und das sofort? Was sind die relevanten "Hebel", wie man zu sagen pflegt? Die Problemanalyse: Nicht nur die Wirtschafts- und Gesellschaftsform ist abhängig von nichtnachhaltigen Strukturen; auch menschliches Denken ist gefangen darin. Es fehlt nicht nur Politik, sondern auch Kultur und eine Sprache, um die Logik der Nichtnachhaltigkeit zu überwinden, also eine Wertschöpfung, die auf Umweltschädigung und Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe beruht.
Zugespitzt: Es sind nicht nur die "anderen", die großen und bösen Kapitalistenunternehmer, die ein bisschen Greenwashing in den Vordergrund schieben, um mit den angeschlossenen Politikern und Lobbyisten schön weitermachen zu können. Für den Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Pfriem ist klar, dass es im Großen "ökologische Transformation nur gibt, wenn sich der ökonomische Kern transformiert", und nichts zu bewegen sein wird mit der Annahme, die Wirtschaft sei "grundsätzlich böse".
Es kann aber ein weit wichtigerer und verdrängter Betrug existieren: Menschen, Wähler, Bürger, die nur so tun, als wollten sie, dass das Klimaproblem gelöst wird, beauftragen die Politik, so zu tun, als manage sie die Sache. In dem Wissen, dass die Politik nichts lösen wird und nichts lösen kann.
Also, heißt es in einer Kleingruppe: "Weg mit der Politik".
"Wie, weg mit der Politik?"
Das meint zum einen Bürger, die nicht satt im Sessel sitzen, weil der Atomausstieg zum zweiten Mal beschlossen wurde, sondern die in lokalen und regionalen Strukturen real die Energiewende in die Hand nehmen. Zum anderen ist es eine Reaktion darauf, dass "die Politik" weder die sozialen noch die ökologischen Bewegungen der vergangenen 40 Jahre in das politische System übersetzen konnte. Zum Dritten ist es ein Versuch, dem blockierten Denken neuen Freiraum zu verschaffen.
Wo alles möglich ist, aber nichts mehr geht: Der Satz wird gern und auch auf Spiekeroog gesagt. Aber es folgt ein entgegengesetzter: Man muss Optionen wegnehmen, um wieder etwas möglich zu machen. Erst wer zur Erkenntnis kommt, dass alles nicht mehr zu retten ist, aber nicht alles verloren, kann entschlossen handeln.
Das Prinzip Wachstum aufgeben
Paech, Jahrgang 1960 , ist einer der entschiedensten Vertreter der Postwachstumstheorie, die den Green New Deal für eine Illusion hält, weil er auf Wachstum beharrt, nur eben "grün". Für ihn gibt es keine nachhaltige Wirtschaft, nur nachhaltiges Leben. Das heißt: Mäßigung.
Der Befreiungsschlag bestehe darin, nicht auf der Grundlage eines grünen Wachstums zu arbeiten, sondern das Prinzip aufzugeben. Das Leben in "materialisierter Freiheit" sei das, was am Ende ist. Man müsse "von diesem Turm springen", weil er gerade zusammenstürze, und ein genügsameres Lebens- und Konsummodell etablieren - jenseits des Globalen.
Nicht aus Defätismus, Piefigkeit oder Chauvinismus, sondern weil regionales Denken die üblichen Selbstblockaden aushebelt, also, dass eigenes Handeln ja eh nichts bringe angesichts der Chinesen, der Inder, der US-Amerikaner, der Großkonzerne et cetera. Aber dafür muss ein Mensch stabil verantwortungsbewusst sein. Etwa um die Abwrackprämie ablehnen zu können, weil man sich weiter für nicht blöd halten will und nicht fürchtet, blöd zu sein, wenn man sie nicht in Anspruch genommen hat.
Bei Paech könnte es sich um einen zeitgemäßen Typ Universitätsprofessor handeln. Das läge dann nicht an jugendlich daherkommendem Kurzhaarschnitt, entspannter Kleidung oder Beherrschung entsprechender kultureller Codes, sondern daran, dass und wie er sich jenseits des Elfenbeinturms verortet. Gerade versuchen er und Mitstreiter mit der Oldenburger Energiegenossenschaft dem Monopolisten EWE die Stromnetze wegzunehmen und in Bürgerhand zu bringen. Der Strom- und Gaskonzessionsvertrag läuft 2013 aus und wird neu ausgeschrieben.
Das ist längst nicht nur in Oldenburg so. Heißt: Jetzt gilt es. Es geht nicht nur um Partizipation und Rückgewinnung von Macht. Die Gewinne sollen dazu genutzt werden, die bisher zulasten der Gesellschaft externalisierten Kosten zu internalisieren und jedem, der nicht widerspricht, hochwertigen Ökostrom liefern zu können. Hieße: Der monetäre Gewinn Einzelner würde in sozialen Gewinn umgewandelt.
"Viel" ist viel zu wenig
Nun muss man sagen, dass es auch andere Einschätzungen der Situation gibt als jene von Paech. Wolfgang Sachs, Koveranstalter und einer der wichtigsten Protagonisten der deutschen Umweltszene, sieht eine "Bewegung ohne Namen" zunehmend Einfluss nehmen, eine "Neue Internationale", wie er sie nennt, allerdings "ohne Hammer und Sichel, dafür mit Internet". Ihr Weg zur Handlungsfähigkeit ist für ihn die "Ansteckung" der vielen.
Sachs lächelt, als er sagt, er sehe das Glas lieber halb voll als halb leer. Er sagt aber auch: Die Umweltbewegung habe zwar viel erreicht, aber nicht so viel, als dass sich die Bedingungen heute nicht deutlich verschlechtert hätten. Seine Formel: Viel ist gleich viel zu wenig.
Am Abend bei einer öffentlichen Diskussion im Spiekerooger Gemeindehaus steht ein Mann auf und sagt, er wundere sich, dass gar nicht über die Weltfinanzkrise geredet würde. Die Diskutanten schauen ihrerseits verwundert. Sie hatten wohl gedacht, es sei klar, dass das nur ein Unterthema ihres Themas sei.
Und dann regt sich ein weißhaariger Spiekerooger ziemlich auf, weil es auf der Insel ein klitzekleines Windrad gibt. "Und das stört mich", rief er. Das könne doch auch woanders stehen. Not on my island. Der Bürgermeister Bernd Fiegenheim erzählt später, es brauche genau drei Windräder, um Spiekeroog energie-autark zu machen. "Aber das geht nicht", sagt er, "wegen der Vögel".
Ökostrom bringt ökologische Konflikte mit sich. Spiekeroog ist Weltnaturerbe, und das muss geschützt werden. Auch vor Klimaschutz. Man weiß auch nicht, wie die Touristen Windräder fänden. Und wenn man den Bürgermeister richtig versteht, bringt selbst den Spiekerooger die Fragilität einer Nordseeinselexistenz bei drohendem Meeresspiegelanstieg und zunehmenden Sturmfluten nicht wirklich um den Schlaf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin