piwik no script img

■ „Spiegel special“Tot-al verrückt

Einmalig, wie robust manche Klischees sind. Der Berliner Punk zum Beispiel. In Wirklichkeit fast ausgestorben, tummelt er sich heute in einer Techno-Variante auf den Titelseiten von GEO-Heften, Reiseführern und Zeitschriften wie dem neuesten Spiegel special: mit roter Perücke, das Gesicht einmal durchgepierct und pink angemaltem Pudel im Arm. „Berlin verrückt – die schräge Hauptstadt“, steht darüber, und damit es auch jeder versteht, sieht man im Hintergrund verschwommen das Brandenburger Tor. Kein Foto wie sonst, sondern schräg aufgenommen! So was von verrückt!

Oder auch „ver-rückt“, wie Chefredakteur Jochen Bölsche schon auf der ersten Seite wortspielt. Denn „zur Zeit leistet sich kaum ein anderes Volk der Welt eine ähnlich schräge Beziehung zu seiner Hauptstadt wie die Deutschen.“ Und keiner schreibt so schräg darüber wie Bölsche: Stell dir vor, du bist Journalist, und plötzlich sind wieder alle Wörter erlaubt. Sogar der ultimativ-jugendliche Ranschmeißjargon von schrill bis schräg. Wozu heißt das Ding schließlich special: Ich will so schreiben, wie ich bin – du darfst.

Und nicht nur du, eigentlich darf jeder. Sogar Elke Heidenreich, die zwar „überhaupt nichts sachlich Gültiges über Berlin schreiben kann“ („viel zu selten da“), aber überzeugte Berlin-Hasserin ist. Schon wegen der „tätowierten Kerle mit Kurzhaarschnitt, die hier noch häßlicher sind als sonstwo.“ Anscheinend kann man so ein Heft mit allem füllen - sogar mit Hundescheiße: volle drei Seiten.

Techno, Eisbein, Hundescheiße – so geht das in einem fort. Denn es gibt keinen lieben Gott in Berlin, wie uns special-Reporter Hans Halter mitteilt und deswegen gleich mal den Lesern die christliche Nächstenliebe entzieht: „Wer will, der kann in Berlin auf schräge Weise preiswert leben, sich schrill kleiden, extremistisch oder autonom sein und die Nacht zum Tage machen.“ Mehr davon? „Es ist die Melange aus Chancen und Chuzpe, die der Stadt den Sog verleiht.“ Soll gut sein.

Ürbrigens: Im nächsten Heft bringt Spiegel special das Protokoll einer Penisverlängerung. Tot-al ver-rückt, oh-der?

Oliver Gehrs

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen