"Spiegel"-Chef zu Paid Content: "Wir würden uns umbringen"
Medien-Diskussion bei den Lead-Awards: "Spiegel"-Chef Blumencron ist gegen Paid Content im Onlinebereich, "Zeit"-Chef di Lorenzo macht sich Sorgen um die Unabhängigkeit der Berichterstattung.
Gleich drei neue Ressorts präsentiert die Wochenzeitung Die Zeit in ihrer Osterausgabe, die am Mittwoch erscheint: Geschichte, Glauben und Zweifel sowie eine von Lesern bestückte Seite.
Dominik Wichmann, Chefredakteur beim SZ-Magazin, einem anderen Wochentitel, sagt, es sei "grotesk, dass das als Sensation empfunden wird". Nicht etwa, weil er dem Kollegen Giovanni di Lorenzo, der ihm gerade gegenübersitzt, nicht zutraut, anregende Rubriken auf die Beine zu stellen. Sondern weil die Aufmerksamkeit, die die Ankündigung der Zeit geweckt hat, ein Indiz für die Schwerfälligkeit der übrigen Verlage sei.
Anderswo seien in den letzten Jahren nämlich keine nennenswerten neuen Ressorts entstanden, sagt Wichmann.
Dies monierte Wichmann in der vergangenen Woche in der Diskussionsrunde "Am goldenen Fluss. Die Brücke von Print und Online heißt Kreativität", die beim Symposiums des Zeitschriftenpreises Lead Awards in Hamburg stattfand. Kreativ auf die Entwicklungen im Netz zu reagieren, wird für die Anbieter journalistischer Inhalte zusehends schwieriger.
Die jüngeren Online-Trends etwa funktionierten eher "auf Spielbasis", wie Matthias Müller von Blumencron, Chefredakteur des Spiegels und dritter Teilnehmer der Runde, bemerkt. Dazu zählt er die Zufallskontakt-Plattform ChatRoulette oder Foursquare, eine Mischung aus sozialem Netzwerk und Portal zur Positionsbestimmung. Die New York Times hat bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver allerdings schon gezeigt, dass ein Printtitel auch ein Spielzeug wie Foursquare nutzen kann.
Angesichts der fortschreitenden Entwicklung des Internets "von einem Informations- zu einem unglaublich mächtigen Kommunikationsmedium" hält Spiegel-Mann von Blumencron Paid Content nur bedingt für eine Lösung: "Wenn wir Artikel bepreisen und uns dem Diskurs entziehen, würden wir uns umbringen." Wichmann warf ein, man müsse beim Printnutzer das Gefühl "Ich brauche das nicht, aber ich möchte es haben" hervorzurufen. Seine Argumentation lief darauf hinaus, dass heute niemand mehr Zeitung lesen muss, wenn er sich informieren will, aber auch kein Mensch eine Armbanduhr braucht, um zu erfahren, wie spät es ist. Trotzdem werden weiter welche hergestellt. "Wir müssen unsere Produkte neu definieren", so Wichmann. Das sei doch eine "tolle" Aufgabe.
Erfreulich an der Debatte war, dass Anflüge von Selbstkritik zu vernehmen waren. Man müsse darüber nachdenken, welcher "Teil unserer Probleme hausgemacht ist", sagt Giovanni di Lorenzo. "Viele Regionalzeitungen, die ich früher gern gelesen habe, blättere ich jetzt nicht einmal mehr durch, weil nichts drinsteht." Es sei "verlogen", für diesen Qualitätsverlust allein das Internet verantwortlich zu machen.
Am meisten Applaus bekam der Zeit-Chef, als er proklamierte, es gelte, "mit allen Mitteln" für eine "vielfältige, unabhängige freie Presse zu kämpfen". Dabei hat sein Gewerbe auch darunter zu leiden, dass der Glaube an diese "Unabhängigkeit" verloren gegangen ist, weil die hiesigen Medien insbesondere über Schlüsselthemen - etwa die Wirtschafts- und Finanzpolitik vor dem Crash im September 2008 - nicht so vielfältig berichtet haben, wie das in Sonntagsreden oft beschworen wird. Aber vielleicht ist das ein Thema für eine der nächsten Grundsatzdiskussionen zur Print-Zukunft. An Debattenstoff dürfte weiterhin kein Mangel herrschen.
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