„Spider-Man: A New Universe“ im Kino: Brustbeutel und Hausschuhe
Jugendlich mit klebrigen Fingern: Der Film „Spider-Man: A New Universe“ ist ein visuell eindrucksvolles Coming-of-Age-Spektakel.
Aufmerksame Beobachter deutscher Schulhöfe mögen letzthin gehofft haben, dass es mit „Spider-Man“ jetzt vielleicht doch mal genug ist. Wie viele Schulranzen, T-Shirts, Federmäppchen und Karnevalskostüme mit dem schwarz-roten Spinnenmuster soll man den ungebildeten Klassen denn noch andrehen? Und nach drei Spielfilmen mit Tobey Maguire als Hauptdarsteller und Sam Raimi als Regisseur, gefolgt von drei weiteren Spider-Man-Filmen unter > anderer Regie, war die Geschichte des Nerds, der Superkräfte entwickelt, nachdem er von einer radioaktiven Spinne gebissen wird, scheinbar zu Ende erzählt.
Doch beim Marvel-Verlag, der die Rechte an „Spider-Man“ hält, sieht man das anders: Möglicherweise gibt es irgendwo in den Kinderzimmern dieser Welt ja doch noch Hausschuhe, Kugelschreiber oder Armbanduhren, die nicht die Maske der menschlichen Spinne ziert. Irgendwie muss da doch noch der ein oder andere Merchandising-Deal drin sein? So ungefähr wird die Idee entstanden sein, auf die „Spider-Man“-Spielfilme nun einen Animationsfilm folgen zu lassen.
Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft muss daher „Spidey“ abermals mit klebrigen Fingern und persönlichen Problemen die Welt vor einem Superschurken retten. Langsam entwickeln sich die Marvel-Storys so zum zeitgenössischen Gegenstück des Neuen Testaments, der „Odyssee“ oder der Märchen der Brüder Grimm.
Sie wurden inzwischen so oft weitererzählt und dabei neu interpretiert, dass jede Generation ihre eigenen Version dieser Geschichten hat und so lange über sie diskutieren kann, bis Hollywood die nächste Variante dieser Sagen auftischt.
Diesmal steckt unter dem Spinnenkostüm der Teenager Miles Morales, der in den Comics nach dem Tod des Original-Spinnenmanns der erste Spider-Man of Colorwurde. Irgendwie tauchen in seiner Welt durch eine Art Urknall weitere Spidermänner aus Paralleluniversen auf. Einer sieht aus wie Schweinchen Dick. Einer erinnert an Will Eisners schwarz-weißen „Spirit“. Eine weibliche Version stammt anscheinend aus einem Manga-Comic. Und dann gibt es noch eine weitere weibliche Version der Spinne in Menschengestalt, die offenbar die Rolle des girl next door einnehmen soll in diesem Coming-of-Age-Actionfilm.
Mit allen Comicwassern gewaschen
Als Team zeichnen sich unsere Helden eher durch motorische Probleme aus als durch sympathische Charakterzüge. Irgendwann ist es interessanter, darauf zu achten, was die gesammelten Spider-Men eigentlich nicht zerstören, als darauf, was sie alles in Trümmer legen. Die psychologische Unterfütterung der endlosen Prügeleien wird zwar immer wieder aufdringlich betont (Vaterkonflikt!), führt aber nirgendwohin.
Visuell ist „Spider-Man: A New Universe“ allerdings ein Triumph. Superclever. Mit allen Comicwassern gewaschen. In dieser grafischen Materialschlacht wird alles zitiert, was nicht rechtzeitig auf den Bäumen war: die verschwommenen Farben der Zeitungsbeilagen, die die „Spider-Man“-Comics aus den 50er Jahren kennzeichneten; die ungelenke 60er-Jahre-Fernsehversion; die Comicbooks mit ihren Rastern und Schraffuren, durch die das holzhaltige Papier scheint; die digitalen 3-D-Räume der Gegenwart, vor denen unsere zweidimensionalen Helden herumturnen.
Technisch ist dieser Film ein Höhepunkt des Animationsfilms – schon bevor er in ein Finale mündet, das aussieht wie die Stargatesequenz aus „2001“, die mit Graffitimustern aus der Sprühdose dekoriert wurde, bevor sie auf eine explodierende Lavalampe plus „Tron“ traf. Und bevor der Abspann mit seinen kaleidoskopischen Mustern dann die wahre, exzessive Klimax des Films liefert.
Ein Film, auch ein Trickfilm, braucht neben technischer Virtuosität aber auch eine Geschichte und eine Seele. Beides fehlt. Schade.
„Spider-Man: A New Universe“. Regie: Bob Persichetti, Peter Ramsey, Rodney Rothman.
USA 2018, 117 Min.
Die Handlung verbirgt sich gekonnt hinter atemberaubender Schnittfolge und endlosen Kampfszenen, die irgendwann Kopfschmerzen bereiten. Oder zum Wegdämmern anregen. Letztlich konnte auch die mitgeführte Zielgruppe (zwei Töchter im Alter von 12 und 15 Jahren) dem aufgeregte Plot irgendwann nicht mehr folgen. Warum sich Spidey eigentlich knapp zwei Stunden mit dem Endgegner Kingpin herumschlagen musste, hat im Grunde niemand verstanden.
Egal. Ein paar Lunchboxes und Brustbeutel wird man mithilfe dieses Films verkauft bekommen. Womit der Zweck der Übung erreicht sein dürfte.
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