Spesenritter im britischen Unterhaus: Der Speaker wird sprachlos
Großbritanniens Parlamentspräsident Michael Martin hat seinen Rücktritt erklärt. Der Labour-Politiker gilt als zentrale Figur im Skandal um zweifelhafte Zweitwohnsitzabrechnungen.
Er hatte keine andere Wahl. Bevor Großbritanniens Parlamentspräsident Michael Martin, der "Speaker of the House of Commons", gestern Nachmittag vor dem Unterhaus seinen Rücktritt erklärte, war er bloßgestellt worden wie keiner seiner Vorgänger in Jahrhunderten. Vergeblich hatte der schottische Labour-Politiker am Montagnachmittag zu verhindern versucht, dass die Abgeordneten per Antrag zur Geschäftsordnung diskutierten, wann genau über seine Abwahl beraten wird. Die Parlamentarier probten den Aufstand, sofern man das auf den grünen Bänken der ehrwürdigen Kammer überhaupt kann. Martins Autorität war dahin. Seine Rücktrittserklärung gestern dauerte nur eine Minute. Formell bleibt er bis zum 21. Juni im Amt. Am Tag danach wird ein Nachfolger gewählt.
Der Speaker war im Rahmen der Affäre über sittenwidrige Zweitwohnsitzabrechnungen der Unterhausabgeordneten, die die britische Politik schwer belastet, ins Zwielicht geraten. Michael Martin ist ein schottischer Labour-Politiker alten Stils, tief verankert in der Arbeiterbewegung seiner Heimatstadt Glasgow und eher konservativ veranlagt. 1979 zog er ins Parlament ein, für den eher ärmlichen Wahlkreis Glasgow Springburn, der inzwischen Glasgow North East heißt. Parlamentspräsident wurde er im Jahr 2000. Kritik an seiner Arbeit konterte er gerne mit dem Vorwurf, die englische Oberschicht dulde wohl keinen Arbeiter auf diesem Posten.
Inzwischen hat er sich selbst desavouiert: Er hat die bestehende laxe Abrechnungspraxis für Zweitwohnungen gedeckt, selbst davon üppig profitiert, die Offenlegung der Abrechnungen verhindert und gegen deren schließliche Veröffentlichung in den Medien die Polizei eingeschaltet. Jetzt ist sein Regiment, ein Tiefpunkt in der britischen Parlamentsgeschichte, vorbei.
DOMINIC JOHNSON
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!