: Sperrig im Raum
Die Freude an der Verwandlungskraft des Körpers: Ein Porträt der Berliner Choreographin Anna Huber ■ Von Katrin Bettina Müller
Ehrlichkeit“ ist eine Kategorie, auf die Anna Huber immer wieder zurückkommt – als müsste sie den Tanz, diese Geheimschrift im Raum, gegen die Vorwürfe der Beliebigkeit und Abstraktion in Schutz nehmen. Von ihrer Arbeit redet die in Berlin lebende Schweizerin mit fast puritanischer Strenge. So etwas wie Sinnenrausch oder Verführung kommt da nicht vor. Viel aber ist vom Zweifeln und Forschen die Rede.
Vor zehn Jahren kam die 1965 in Zürich geborene Tänzerin nach Berlin, wo sie seitdem mit Unterbrechungen lebt. Am Staatstheater Cottbus entstand 1993 ihr erstes Solo. Seitdem ist sie zur Protagonistin einer Tanzszene geworden, die zwischen der Materialität des Körpers und seinen repräsentativen Funktionen unterscheiden will. In ihren Soli „in zwischen räumen“, „brief letters“ und „unsichtbarst“ unterwarf sie den Körper einer Versachlichung, die oft mehr dem Eigenleben der Glieder als der steuernden Instanz des Kopfes zu folgen schien.
Mit der sperrigen Architektur ihres Tanzes rückt sie ab vom alltäglichen Empfinden eines Körpers, den man sich angefuttert hat, der von Müdigkeit und Bedürfnissen geprägt ist. Gebaut, konstruiert und durchdacht wirken ihre Figuren. Tatsächlich ist die Auseinandersetzung mit dem Raum die Basis für die Bewegungsfindung der Tochter eines Architekten. „Mich fasziniert die Reibung zwischen einem glatten, harten Raum und einem menschlichen Wesen, das sich darin mit all seinen Widersprüchen, Verknotungen und in seiner Nichtperfektion bewegt“, sagt Anna Huber. In Widersprüchen denken ist der Motor ihrer Arbeit. „Das Leben selbst ist widersprüchlich, weshalb sollte ein Tanzstück es nicht sein?“, fragt sie. Die Sehnsucht nach Ordnung, die dabei durch die tänzerischen Strukturen und ihre reduzierten Bühnenbilder schimmert, versteht sie als „Antwort auf das Übermaß an Eindrücken und Informationen. Daraus entsteht für mich der Wunsch nach einer Ordnung, die es aber nicht mehr geben kann.“
Ihre Liebe zu den klaren Formen einer Raumsprache, die die Sinne für die eigene Verortung schärfen will, wurde belohnt, als sie durch Vermittlung des Goethe-Instituts in Barcelona für eine Woche im Pavillon von Mies van der Rohe tanzen durfte. Sie gerät ins Schwärmen über diesen „vollkommenen Raum“, den sie zusammen mit Lin Yuan Shang für ihr Duo „L'autre et moi“ nutzte. Selbst auf dem Dach und in den Wasserbecken fanden die Begegnungen der beiden eigenwilligen Performer statt.
„L'autre et moi“, mit dem die tanzZeit im Theater am Halleschen Ufer eröffnet wurde, entstand während vier Monaten in Paris – inzwischen die Heimat des Taiwanchinesen Lin Yuan Shang –, in Antwerpen, Barcelona, Luzern, Mulhouse, Genf und Zürich. Die Stationen spiegeln die Liste der Koproduzenten.
Für Lin Yuan Shang, ausgebildet in der Pekingoper und zehn Jahre länger als Anna Huber in der Performance-Szene unterwegs, ist Fremdheit eine ganz andere Kategorie. Er bewegt sich schon lange vor fremden Augen. Sie sucht Verfremdung, um aus Konventionen auszusteigen.
Das gemeinsame Projekt, sich über kulturelle Differenzen und die unterschiedliche Herkunft der Bewegungsbilder auseinanderzusetzen, verlief nicht ohne Probleme. Beide entsprachen sich zwar in einem Arbeitsethos, das Illustrationen und Wiederholungen vermeidet. Verboten sind Klischees der Rollen und der Bewegung. Viel schwerer aber war es, eine gemeinsame Methode der Auseinandersetzung zu finden.
Dennoch gewann das Vergnügen an der Verwandlungskraft des Körpers die Oberhand gegenüber den Darstellungsverboten. Entscheidend für das Gelingen des Duos war der Schritt, fast in die Parodie der Unterschiede zu gehen und Eigenheiten zuzuspitzen. „Das haben wir uns erst gegen Ende getraut“, sagt die fragile Tänzerin, die gut einen Kopf größer als Lin Yuan Shang ist und seiner erdigen Energie gegenübersteht wie einem brodelnden Vulkan. Schon die Titel von Anna Hubers Stücken klingen nach Konzepten, die Konstituierung der Identität zu befragen. Ihr erstes Gruppenstück, „die anderen und die gleichen“, handelt von Prozessen der Abgrenzung von der Gruppe und dem Wunsch nach Geborgenheit in ihr. Im Mai in Berlin uraufgeführt, haftete dem Stück für drei Tänzerinnen und vier Tänzer selbst etwas von gruppendynamischen Übungen an. Bei Schweizer Gastspielen fanden die Zerbrechlichkeit der darin beschriebenen Welt und die Absurdität der menschlichen Bemühungen eine offenere Aufnahme. Die Tänzer sind freier in ihren Rollen geworden. Jetzt kehrt das Stück in das Theater am Halleschen Ufer zurück, das mit dieser Produktion sein Vertrauen in die ungewöhnliche Choreographin zeigt. „die anderen und die gleichen“, tanzZeit Theater am Halleschen Ufer, 2. bis 5. 12., 21 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen