Spendensammler: Dubioser Clown
Als Clown verkleidet sammelt Jürgen Wissner in norddeutschen Fußgängerzonen Spenden für Kinder und Bedürftige. Wo das Geld hinfließt ist allerdings unklar.
Die Masche als Clown funktioniert. Kinder strömen auf ihn zu und lachen ihn an, ihre Eltern freuen sich mit und werfen Geld in die Sammelbüchse, die ihnen der Clown entgegen hält. Sie tun es reichlich an diesem Tag in der Bremer Fußgängerzone, immer wieder sagt der Clown: "Danke im Namen der Kinder!" Er sammele für arme und für kranke Kinder, verspricht er, auf seiner Büchse steht der Name des Vereins, für den er das tut: "Gegen Kinder Armut e.V."; die Broschüre, die er zusammen mit einer Packung süßer Gummibonbons verteilt, ziert das Bild eines Mädchens, das vor einem Teller Nudeln sitzt. Darunter steht: "Wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag…". Dafür kämpfe der Verein, deshalb verteile er die Spenden an ein gutes Dutzend sozialer Einrichtungen, an Krankenhäuser und Hilfseinrichtungen. Der Broschüre beigeheftet ist ein Überweisungsträger, mit Hilfe der dazugehörigen Bescheinigung können Spenden beim Finanzamt abgesetzt werden.
Doch der Eindruck, den der Clown vermittelt, täuscht: Unter der Verkleidung steckt ein Mann namens Jürgen Wissner, und der ist kein Unbekannter, sondern wird mit mehreren Helferinnen und Helfern immer wieder als dubioser Spendensammler in den Städten Norddeutschlands auffällig. Vor einigen Monaten hieß der Verein, für den Wissner sammelt und dessen Vorsitzender er ist, noch "Kinder in Not e.V." Er gab an, einmal im Monat per Vorstandsentscheidung Spendengelder an Einrichtungen wie die Kinderkliniken in Braunschweig und Delmenhorst, die Hamburger Tafel und Kinderkrebsinitiativen weiter zu geben. Nachfragen der taz bei den Genannten ergaben ein ganz anderes Bild: Die Kinderklinik Braunschweig hatte immer mal wieder kleinere Beträge erhalten, distanzierte sich aber öffentlich von dem Verein mit Sitz im niedersächsischen Bardowick bei Lüneburg - und wollte kein Geld mehr annehmen. Der Mann war ihnen zu unseriös. Die Hamburger Tafel beschwerte sich bei "Kinder in Not e.V.", weil der Verein zwar mit der Einrichtung warb, die Essen an Bedürftige ausgibt, sie selbst aber nie etwas bekommen hatte. Erst dann überwies Wissner 100 Euro, die die Hamburger Tafel zurück buchte. Der Chefarzt der Delmenhorster Kinderklinik, Johann Böhmann, wurde damals von Wissner regelrecht bedrängt, Spenden anzunehmen. Böhmann lehnte ab, "weil sich das ominös anhörte", und hielt den Fall für erledigt. Wissner überwies dann aber doch kleinere Beträge. Offenbar brauchte er dringend Spendenempfänger, um dem für ihn zuständigen Finanzamt in Lüneburg nachzuweisen, dass er ein ehrlicher Wohltäter ist - der allerdings niemandem Rechenschaft darüber ablegen muss, wie viel Geld er abgibt und wie viel er selbst behält.
Einem wie Wissner beizukommen, ist schwierig. Er selbst erzählte am Donnerstag freimütig, er habe "14 oder 15 Vereine" gegründet, mit denen er allesamt vorgeblich guten Zwecken dient. Nachdem er mit "Kinder in Not e.V." in die Schlagzeilen geraten war, zauberte er den bis dahin unbekannten Verein "Gegen Kinder Armut e.V." aus dem Hut, ging wieder sammeln - und fand wieder bereitwillige Spender. Ihm kommt dabei zugute, dass die Bundesländer in den letzten Jahren ihre Sammlungsgesetze aufhoben. Das wurde als Bürokratieabbau gefeiert - bindet den Behörden aber jetzt die Hände, dubiose Sammlungen zu verhindern. Der Leiter des in Bremen zuständigen Stadtamtes, Hans-Jörg Wilkens, bedauert das, denn mit dem Sammlungsgesetz konnte sein Amt präventiv tätig werden. Wer keine Erlaubnis hatte, durfte keine Spendenbüchsen schwenken - egal wie gut der vorgebliche Zweck auch war. "Heute müssen wir der Illegalität hinter her rennen", sagt Wilkens. Erst wenn strafbares Verhalten festgestellt werde, könne ein Platzverweis erteilt werden. In Hamburg tat das Bezirksamt Mitte genau das; die Behörde attestierte dem Verein eine "ungenehmigte Sondernutzung öffentlicher Wegflächen. Als Wissner mit "Gegen Kinder Armut e.V." vor einigen Tagen wieder auftrat, wurde er erneut verwiesen. Früher oder später wird er wieder kommen, vorerst wich er nach Bremen aus.
Bislang handelte Wissner stets gerade noch auf legalem Boden. Ermittlungen gegen ihn - etwa nach einer Anzeige der Hamburger Tafel wegen Betrugs - wurden eingestellt, weil ihm Betrug nicht nachzuweisen war. Seit gestern allerdings interessiert sich die Fahndungsabteilung des für Wissner zuständigen Finanzamtes Lüneburg wegen der Spendenbescheinigungen, die Wissner ausstellt. Das wäre ihm nur gestattet, wenn sein Verein als gemeinnützig anerkannt wäre. Der Antrag aber wurde abgelehnt. Weil Wissner trotzdem die Bescheinigungen verteilt, wittert das Finanzamt Betrug. Das wäre für Wissner nichts Neues: Im Mai 2000 wurde er zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, weil er Angehörige von Verstorbenen mit gefälschten Rechnungen betrogen hatte.
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