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■ Spekulationen um einen Wechsel des Ministers Trittin nach BrüsselEin Wechsel, der einem Abgang gliche

Das Spiel kommt bekannt vor. Als Oskar Lafontaine sich im Herbst in der Steuerreform verhedderte, tauchte das Gerücht auf, der neue SPD-Finanzminister solle schon in einem knappen Jahr Präsident der EU-Kommission werden. Der Saarländer dementierte nach einer kurzen Pause des Schweigens. Jürgen Trittin, der in der Frage des Atomausstiegs hart kritisierte Umweltminister, läßt sich damit Zeit. Er beteilige sich nicht an Spekulationen, bemerkte er gestern aus dem fernen Nairobi, wo er an einer Tagung der UNO teilnimmt. Eine renommierte Zeitung hatte gemeldet, der grüne Umweltminister solle Anfang 2000 als EU-Kommissar nach Brüssel wechseln und habe seine Bereitschaft dazu auch schon signalisiert.

Nun könnte Trittin das Gerücht mit einem klaren Wort aus der Welt schaffen. Es paßt aber zu dem machtbewußten Mann, daß er es nicht tut. Manche Dinge im Schwebezustand zu halten, das ist eines seiner Markenzeichen. Mit einem Schmunzeln wird er wohl beobachtet haben, wie Vertreter der Fraktion und der Partei gestern unisono die Meldung als blanken Unsinn abtaten. So erfährt der Umweltminister, daß auch der realpolitische Flügel – der mit ihm nun wahrlich viel zu hadern hat – kein Interesse an einem ministeriellen Austausch hat. Daß das Gerücht – ein knapper Vierzeiler war es – überhaupt in Bonn diskutiert wurde, hängt nicht zuletzt mit der Person Trittins zusammen. Ein Amt in Brüssel liegt, blickt man auf seine politische Karriere zurück, nahe. Schließlich war Trittin als Minister in der rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen auch für Europaangelegenheiten zuständig. Sachverstand wäre also da.

Doch wäre ihm und der Partei mit einem Wechsel gedient? Da ist zum einen die von manchen als Dogmatismus kritisierte Festlegung der Partei, eine Frau solle grüne EU-Kommissarin werden. Zum anderen steht Trittin sich selbst im Wege. Nachdem er schon in der Sache des Atomstreits zurückstecken mußten, käme eine personelle Rochade an der Spitze des Umweltministerium dem Eingeständnis gleich, er sei seine Stuhles überdrüssig. Trittin kann seine Position so schnell nicht räumen. Mit seinem Politikstil hat er sich auf einen längeren Zeitraum an das Amt gefesselt. Infolgedessen kann er nicht einfach nach Brüssel gehen, ohne sein selbst geschaffenes und gepflegtes Image zu beschädigen. Denn ein Wechsel wäre in seinem Fall kein bloßer Wechsel. Es wäre ein Abgang. Severin Weiland

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