Spaziergänge gegen Überwachung: Kamera gesucht

Mit Kameraspaziergängen wollen Aktivisten des Seminars für angewandte Unsicherheit auf Überwachung im öffentlichen Raum aufmerksam machen. Dabei haben sie keine Angst vor der Konfrontation mit den Kamerabesitzern.

Überwachungskameras im öffentlichen Raum gesucht - allerdings nur echte Bild: ap

Die Polizisten in dem Mannschaftswagen, der kurz an der Ecke von Warschauer und Revaler Straße hält, schauen misstrauisch. Denn die Gruppe von Menschen, die sich da vor der Sparkasse sammelt, ist nicht zu übersehen. 30 junge Leute, teils mit Fahrrädern, überwiegend dunkel gekleidet, alle frierend, verstopfen den Gehweg. Eine von ihnen hat ungewöhnliche Technik in der Hand: einen kleiner Monitor, in eine transparente Plastiktüte gepackt, und ein kleines silbernes Gerät, das sich bei näherem Hinsehen als Empfangsgerät für 2,4-Gigahertz-Wellen entpuppt. Neben ihr steht eine weitere junge Frau, unter dem Arm ein Notebook. Doch es bleibt bei einem kritischen Blick. Der Mannschaftswagen fährt weiter. Die beiden Frauen und ihre Kollegen vom Seminar für angewandte Unsicherheit (SaU) verteilen einen Kiezstadtplan.

Die Resonanz ist groß auf den dritten Kameraspaziergang des SaU durch Friedrichshain-Süd. Die überwachungskritische Gruppe organisiert sonst Film- und Vortragsreihen. Vor wenigen Jahren sind die Kameraspaziergänge dazugekommen - zunächst in Mitte, jetzt in Friedrichshain, unregelmäßig, der letzte war im vergangenen Jahr. Das Ziel: Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Die Methode: einem kleinen Teil der über 40 Kameras im Kiez einen Besuch abstatten. In drei Stunden. Bei gefühlten minus drei Grad. Clara*, die Frau mit dem Notebook, stapft von einem Fuß auf den anderen und wickelt sich den dicken Schal enger um den Hals. Ihr Kollege Veit zündet sich eine Zigarette an. Seine Hände zittern vor Kälte oder vor Aufregung - die Gruppe zu begrüßen und zu erklären, was sie heute erwartet, ist sein Job.

Die Theorie: "Der Betroffene kann Auskunft verlangen über die zu seiner Person gespeicherten Daten", heißt es in § 34 des Datenschutzgesetzes. Dies gilt auch für die Aufnahmen, die eine Kamera von einer Person gemacht hat.

Die Praxis: Oft kennen Unternehmen ihre Auskunftspflichten nicht oder sie ignorieren sie. Die taz hatte etwa im September nachgeschaut, wie viele Kameras entlang der Route der Demonstration "Freiheit statt Angst" lagen, und 116 Stück gezählt. Bei einigen fragten wir nach, wie lange die Aufnahmen gespeichert werden. Die Deutsche Bank, die Unter den Linden den Bürgersteig vor dem Museum "Deutsche Guggenheim" filmt, wollte "aus Sicherheitsgründen" dazu zunächst nichts sagen.

Die Auskunft: Erst nach längerem Schriftwechsel mit dem Datenschutzbeauftragten der Bank und unter explizitem Hinweis auf die gesetzliche Auskunftspflicht gab die Bank die Information doch noch heraus: Die Bilder werden eine Woche lang gespeichert. Sebastian Heiser

Die ersten Kameras finden sich praktischerweise gleich am Treffpunkt an der Sparkasse. "Das sind Dome-Kameras", erklärt Veit. Unauffällig hängen die kleinen Halbkugeln unter der Decke. Unauffällig vor allem deshalb, weil hier kein Objektiv zu sehen ist, das die Beobachtungsobjekte ins Visier nimmt. "Durch die getönte Kuppel ist praktisch nicht zu erkennen, in welche Richtung sich die Kamera gerade dreht." Doch der Gruppe ist klar, wer wohl gerade beobachtet wird. Besser weg hier.

"Eigentlich sollte man so einen Spaziergang komplett vermummt machen", schlägt eine Teilnehmerin vor. Schließlich sind sie am Ende des Rundgangs ziemlich gut dokumentiert. Mindestens 20 Kameras werden sie dann gefilmt haben und die Bilder auf Monitore in Supermärkten, Bankfilialen, Drogerien und ins Internet übertragen.

Ein paar Schritte weiter die zweite Station, ein Bekleidungsladen. Im Schaufenster sind trendige Schuhe zu sehen, Accessoires und Hosen stapeln sich auf zwei Regalreihen. Clara packt den Monitor aus, legt einen Hebel um und hält den Empfänger in Richtung Fenster. Ein paar Sekunden später flimmert ein Schwarz-Weiß-Bild über den Monitor. Es zeigt - die Teilnehmer selbst. Denn die Kamera, die auf dem Regal im Laden steht, filmt aus dem Schaufenster heraus. "Man geht schon anders durch die Welt, wenn man sich näher mit Überwachung beschäftigt", sagt Erik, als er sich in einen Hauseingang stellt, damit die Gruppe ihn besser versteht. Paranoid will er es nicht nennen. Doch in Geschäften schaut er seitdem zunächst in die oberen Ecken: Da hängen normalerweise die Kameras.

Ob Innen- oder Außen-, Funkkamera oder die verkabelte Variante, ob Dome- oder Minikamera - die Grundlagen für eine Überwachung regelt das Bundesdatenschutzgesetz. "Die grundsätzliche Frage, die wir stellen, ist: Was ist der Zweck der Überwachung? Und ist eine Überwachung erforderlich, um diesen Zweck zu erfüllen?", erklärt Hanns-Wilhelm Heibey, Leiter des Bereichs Informatik beim Landesdatenschutzbeauftragten.

Ob eine Kamera letztlich zulässig ist, hängt von vielen Faktoren ab: vom Hausrecht, der Frage, ob und wie lange die Bilder gespeichert werden, einem berechtigten Interesse des Filmenden, von der Sensibilität des gefilmten Bereiches. Eine Gaststätte ist sensibler als eine Bahnhofshalle. Und wer als Ladenbetreiber Nachweise über Einbrüche in der Vergangenheit vorlegen kann, hat es leichter, ein berechtigtes Interesse nachzuweisen. Zwei Voraussetzungen nennt Heibey trotzdem: "Das Gesetz verlangt, dass Unbefugte keinen Zugang zu den Daten haben." Das heißt für alle Betreiber einer Funkkamera: Das Signal muss verschlüsselt werden. Und: Die Überwachten, seien es Bahnhofspassanten oder Kunden, müssen auf die Überwachung hingewiesen werden - und zwar bevor die Kamera sie erfasst. Wer eine Kamera für unzulässig hält, kann den Datenschutzbeauftragten darauf hinweisen.

Die Aktivisten vom SaU wollen sich darauf nicht verlassen. Ihnen geht es darum, Aufmerksamkeit zu schaffen, für die Überwachung - bei jedem einzelnen. "Die Frage ist: Was macht eine Kamera, auch wenn sie legal ist, mit mir", erklärt Erik. Ruft sie ein Gefühl des Beobachtetwerdens hervor oder verändert sie sogar das Verhalten? Und wenn das der Fall ist: Welche Konsequenzen hat dann Videoüberwachung über einen längeren Zeitraum hinweg?

Die Gruppe näher sich ihrem nächsten Halt, einem Restaurant. Draußen stehen noch Tische und Stühle, ein Hund flitzt aus der Tür und versteckt sich in der Gruppe. Hinterher kommt der Chef. Wortgewaltig regt er sich auf, über die vielen Menschen, die den Gehweg versperren. Als eine Aktivistin ihm erklärt, worum es bei dem Spaziergang geht, überschlägt sich seine Stimme fast. "Was soll ich machen, wenn hier nachts jemand an mein Lokal pinkelt?", fragt er. Und, ohne eine Antwort abzuwarten, dass schließlich alle überwachen würden. Und außerdem hätte er einen Grund, schließlich sei in der Vergangenheit bei ihm eingebrochen worden.

Ein paar Schritte weiter hält Clara wieder den Monitor hoch. Doch dieses Mal sind keine Kleidungsstücke zu sehen, keine Gäste und auch keine Geld abhebenden Kunden. Auf dem Monitor sind schemenhaft Umrisse eines Flurs zu erkennen, in den Räumlichkeiten scheint kein Licht zu brennen. "Wir haben lange gebraucht, um herauszufinden, zu wem die Bilder gehören", sagt Veit. Irgendwann habe man einen Verdacht gehabt und einer Frau, die aus der Haustür kam, die Bilder gezeigt. "Die war ganz schön geschockt", sagt er. Die Bilder zeigen die Flure in der Praxis eines Hausarztes.

"Es gibt Kameras, die geben mehr zu denken und andere, die sind fast schon normal", sagt eine Teilnehmerin. Wie in Bahnhöfen, Banken oder in dem Gemüseladen, der nicht das Gemüse, sondern seine Kunden filmt. Einfache Kameras gibt immer wieder im Angebot, bei Discountern oder im Baumarkt. Überwachung ist billig geworden.

Es ist dunkel mittlerweile, die Gruppe hat sich halbiert. Erik ist sich trotzdem sicher, dass das Wetter daran schuld ist und nicht mangelndes Interesse. Zwei Kameras stehen noch auf der Liste: ein Waschcenter und einer der vielen Supermärkte, der nicht nur die Waren oder die Kunden, sondern auch die Angestellten überwacht. Wie etwa die junge Kassiererin. Clara zeigt ihr den Bildschirm, deutet in Richtung Decke, auf die Kamera, die nicht größer ist als ein Daumen.

"Nein, ich wusste nicht, dass ich überwacht werde", sagt die Kassiererin. "Aber für mich ist das o. k." Sie ruft den Besitzer, er soll etwas dazu sagen. Der Besitzer ist ein kleiner drahtiger Mann mit tiefen Falten im Gesicht. "Das machen alle", rechtfertigt er sich. Clara bleibt freundlich, erklärt die Rechtslage. Wenigstens solle er die Überwachungskamera kennzeichnen. Der Besitzer zögert erst, stimmt dann zu. Clara packt den Monitor wieder ein. Beim nächsten Kameraspaziergang wird sie nachsehen, ob der Besitzer sich an die Zusage gehalten hat.

*alle Namen der Aktivisten geändert

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