: Spazierengehen am Hauptbahnhof verboten
■ Wenn die Polizei meint, jemand könne eine Straftat verüben, soll sie tagelange Platzverweise erteilen dürfen. Das nicht veröffentlichte Polizeikonzept aus Hamburg
Hamburg (taz) – Wer eine schwarze Hautfarbe hat oder kurdisch aussieht, braucht sich am Hauptbahnhof nicht mehr blicken zu lassen: Er gilt qua Herkunft als mutmaßlicher Drogendealer und bekommt von der Polizei einen „Platzverweis“, ein Aufenthaltsverbot für vier Stunden, verpaßt. Wird er häufiger „auffällig“, folgt ein sechsmonatiges „Gebietsverbot“ für den gesamten Stadtteil St. Georg. Mit diesen Repressionen, die das Grundrecht auf Bewegungs- und Versammlungsfreiheit massiv einschränken, will Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) seit einem Jahr die Hamburger Drogenszene „dezentralisieren“.
Ein Teil der Haftrichter spielte nicht mit und verweigerte die Absegnung der Inhaftierungen, die auf nicht eingehaltene Platzverweise folgten; diese seien nicht zur Bekämpfung von Dauergefahren wie der Drogenszene da. Innensenator Wrocklage bemühte das Oberlandesgericht, um „Rechtsklarheit“ für seine Polizisten zu erstreiten. Doch dort wurde die Klage als „unzulässig“ zurückgewiesen.
Nun schlägt er zurück. Aus einem vertraulichen Senatspapier, das der taz vorliegt, geht hervor, daß der sozialdemokratische Innensenator das Landespolizeigesetz auf sein „Handlungskonzept St. Georg“ zuschneiden will. Waren die Aufenthaltsverbote bisher dazu gedacht, sich „anbahnende Straftaten zu vermeiden“, soll künftig die mutmaßliche „Wiederholungsgefahr“ ausreichen. Platzverweise sollen auch zulässig sein, wenn sie nichts bewirken, auf amtsdeutsch: „die Gefahr nur vermindern oder nur vorübergehend abwehren“. Die Dauer der Ingewahrsamnahme soll von 48 Stunden auf vier Tage erweitert werden. Da die Verweigerung der Haftrichter den Innensenator dazu zwingt, sein drogenpolitisches Konzept nachträglich zu legalisieren, will er außerdem die richterliche Zuständigkeit vom Amtsgericht auf das Verwaltungsgericht übertragen lassen. Denn, so seine Amtsrichter-Schelte, Zweifel an der „Rechtmäßigkeit der Platzverweise“ seien „unberechtigt“. Verwaltungsrichter brächten dafür „mehr Verständnis“ auf als die Hamburger Amtsrichter mit ihrer ihm nicht genehmen Gesetzesinterpretation. Winkt die Bürgerschaft Wrocklages Vorlage durch, bekommen die durch den Hamburger Polizeiskandal gebeutelten Beamten nicht nur einen Freibrief, um im Drogenmilieu jenseits rechtsstaatlicher Kontrolle aufzuräumen. Auch linke AktivistInnen könnten dann wegen „Wiederholungsgefahr“ des Steinewerfens, unerlaubten Demonstrierens, Hausbesetzens oder Widerwortegebens mit Aufenthaltsverboten überzogen werden. Silke Mertins
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen