: Spaßtyrann mit Knatterface
■ In „Der Dummschwätzer“ versucht Jim Carrey den Sprung vom Nonsens zum sinnstiftenden Familienfilm
Der Mensch, der jede Verantwortung abgibt, ist überall zu Hause. Die Geburtstagsgeschenke für seine Lieben besorgt eine Sekretärin, und der unerledigte Rest an sozialen Verpflichtungen läßt sich mit zuviel Arbeit entschuldigen. Fletcher Reid (Jim Carrey) ist Anwalt, geschieden, erfolgreich und zumindest mental wohnhaft in Nimmerland. „Der Dummschwätzer“ zeigt seine wundersame Wiedergeburt als erwachsener Mann.
Für Jim Carrey findet sich immer ein Anlaß, das zu tun, was er bislang am besten konnte und wofür er auch berühmt ist: wie ein Gummigesicht zu grimassieren. In „Der Dummschwätzer“ ist ein kleiner Junge dieser Anlaß. Max ist Fletchers Sohn und wird ewig vom Vater im Stich gelassen. Immer muß Max' Daddy übertreiben, ob er nun für Max das schreckliche Krallenmonster spielt oder ob er etwas verspricht – alle spüren die Lüge.
Nie erscheint Daddy Plappermaul wie großartig angekündigt, weder zum Geburtstag von Max noch zu dessen Schulsport. Der kleine Junge (Justin Cooper) in seiner Verzweiflung wünscht sich schließlich, daß sein Vater vierundzwanzig Stunden lang die Wahrheit sagen und alle Versprechen halten muß. Tatsächlich macht es leise „pling“, und schon sitzt Fletcher Reid in der Klemme, ob vor Gericht oder im Fahrstuhl der Kanzlei. Eine Dame mit dicken Möpsen, eher unzureichend verhüllt? „Ich will sie quetschen“, grunzt der Anwalt, der nie ein ehrenwerter war.
Den fünfunddreißigjährigen Jim Carrey als Anwalt zu besetzen scheint zunächst eine unbestritten kranke Idee, die sich aber im Rechtsverdreher-Paradies USA auszahlte und Carrey außerdem seinem großen Ziel näher bringen soll: Bisher festgelegt auf den manischen Peter Pan, möchte der 20-Millionen-(Dollar Gage pro Film)-Mann nun ein ernsthafter Schauspieler werden. Er wolle nicht länger die gummigesichtige menschliche Comic-Figur abgeben, sondern sich als Star von Fleisch und Blut ernstgenommen wissen, der die Hysterie eines Jerry Lewis genausogut beherrscht wie Tom Hanks' Menschlichkeit. Der wunderbare „Cable Guy“, Carreys erster Vorstoß in die Charakter- Liga floppte zwar noch, doch die Leute gewöhnen sich bekanntlich an alles, sogar an kleine Veränderungen.
„Liar, Liar“ heißt der neue Film von Regisseur Tom Shadyac, der mit Carrey schon „Ace Ventura“ drehte, im Original. „Liar, Liar“ geriet in den USA mit einer nicht zu hoch geschätzten Endeinspielkasse von 175 Millionen Dollar (bei einem Produktionsaufwand von 65 Millionen) zum überraschenden Smash Hit des Frühlings, während auf Massenerfolg zugeschnittene „Big Star/Big Action- Event Movies“ wie „Dantes Peak“ und „Volcano“ floppen, was das Zeug hält. Das dem Film zugrundeliegende Wortspiel läßt sich unseligerweise nicht ins Deutsche übertragen: Fletchers Sohn Max wird in der Schule gefragt, was sein Vater von Beruf sei. Er antwortet „a lawyer“, doch die Lehrerin mißversteht „a liar“. Liebe Leute, 20 Mille können einen kaputtmachen. Überraschungen birgt „Der Dummschwätzer“ keine – außer der, daß Jim Carrey zur komplett anderen Persona wird, wenn er mal nicht lustig tun muß: kleinlaut, unspektakulär, fast zart, ein Männchen. Am besten gefällt mir Carrey, wenn er dreckig lacht, beweist er doch so seine Begabung zum pathologischen Spaßtyrannen eindrücklicher als mit jeder Knattermimik. Diese kleine Jekyll/Hyde- Facette macht den unerträglich präsenten Familienfilm-Soundtrack vergessen und auch den langweiligen Wertekonservatismus, der schließlich dem Gesetz vor Gericht zum Recht verhilft und auch Carreys verbitterte Exgattin – dem gemeinsamen Kind zuliebe – wieder in die Arme des Gauklers treibt. Der Anwaltsanzug steht Jim Carrey gut, doch psychopathisch sexy wie als „Cable Guy“ darf Carrey im „Dummschwätzer“ dennoch nicht sein – schließlich ist er Vater. Schade eigentlich. Das größte Rätsel bleibt jedenfalls auch dieses Mal trotz schweißtreibend aufklärerischer Selbstanalyse ungelöst: Wenn Carrey auch noch so doof und debil mit seinen Kiefern wackelt, warum muß ich trotzdem lachen? Ist der Mensch so erschütternd einfach? AW
„Der Dummschwätzer“, Regie: Tom Shadyac, Buch: Paul Guay und Stephen Mazur. Kamera: Russell Boyd. Mit Jim Carrey, Jennifer Tilly, Justin Cooper, Amanda Donohoe. USA 1997, 90 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen