Spartanischer G 8-Gipfel: Die fetten Jahre sind vorbei
Gegessen wird von Papptellern, Champagner gibt es nicht - noch nie ging es bei einem G-8-Gipfel so spartanisch zu wie jetzt. Steckt die Gruppe der Reichen in einer Sinnkrise?
14.22 Uhr, und das Buffet ist bereits abgebaut. "Das Essen muss auch noch für den Abend reichen", rechtfertigt sich eine Angestellte. Ein Kellner schleppt zwei vollgestopfte Müllsäcke mit Pappbechern und Plastikbesteck aus dem Zelt. Auch auf den Umweltschutz legen die Veranstalter keinen so großen Wert mehr. Dabei galt abwaschbares Geschirr nicht nur aus ästhetischen Gründen bei den vergangenen G-8-Gipfeln als absolutes Muss. Beim Gipfel 2008 in Toyako gab es "klimaneutrale Roboter", die die Journalisten und Gipfelteilnehmer mit "garantiert schadstofffreiem Quellwasser" vom Fujiyama versorgten. Umgerechnet rund 60 Euro soll der Liter kosten. Zumindest mit Umweltbewusstsein im Kleinen wollte sich die Gruppe der Acht rühmen.
Mit diesem Luxus ist es beim diesjährigen G-8-Gipfel im italienischen LAquila vorbei. Das in Petflaschen abgefüllten Wasser der Marke "Acqua Panna" geben die Bediensteten nur einzeln heraus. Und im Internet kursieren Bilder von den Unterkünften der Regierungschefs, die in einer aufgehübschten Kaserne der örtlichen Finanzpolizei untergebracht sind. Auf einer Pritsche muss Kanzlerin Merkel zwar nicht nächtigen, aber vom Komfort eines Grand Hotels in Heiligendamm sind sie in LAquila meilenweit entfernt. Berlusconi spricht von neuer Bescheidenheit.
Selten ging es bei einem G-8-Gipfel so spartanisch zu wie dieses Jahr in LAquila. Das hat ganz sicher mit Berlusconis Entscheidung zu tun, nach dem Erdbeben den Gipfel kurzfristig von der idyllischen Insel Maddalena vor den Küsten Sardiniens in die auch vor dem Erdbeben bereits verarmte Bergregion zu verlegen. Aber nicht nur. Nach Jahren des Überflusses steckt die Gruppe der Reichen in ihrer tiefsten Sinnkrise. In Sachen Finanzmarktregulierung stocken die Verhandlungen ebenso wie beim Klimaschutz oder der Hilfe für Afrika und kommen über vage Lippenbekenntnisse nicht hinaus. Und so merken auch die Regierungschefs, dass es immer weniger zu feiern gibt. Die fetten Jahre sind vorbei.
Dabei hatte einst alles durchaus bescheiden begonnen. Zum ersten "Weltwirtschaftsgipfel" - so hieß das Treffen Mitte der Siebzigerjahre - kam der damalige französische Staatspräsident Valérie Giscard DEstaing noch in seinem eigenen Auto nach Rambouillet. Weder gab es tausendköpfige Beraterstäbe noch einen Riesentross an Journalisten. Als "informelles Kamingespräch" wurde das erste Treffen noch bezeichnet. Erst in den 1990er-Jahren wurde aus dem Gipfel ein immer größeres Spektakel. Spätestens nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und GlobalisierungskritikerInnen beschlossen die Regierungschefs ihre Treffen nur noch in abgelegenen Orten abzuhalten, die dann von 10.000 Sicherheitskräften und mehr abgeschirmt wurden. Seinen vorläufigen Höhepunkt dürfte vergangenes Jahr der Gipfel in Japan erreicht haben - es war eine Mammutveranstaltung der Superlative.
Nicht mehr 8, sondern 22 Staatschefs waren anwesend. Zudem eine Reihe von Vorsitzenden internationaler Organisationen wie der EU, der Afrikanischen Union, der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Um das Tagungshotel am Kraterrand eines malerischen Vulkansees abzusichern, bot der japanische Gastgeber rund 21.000 Sicherheitskräfte auf. Und auch die Nichtregierungsorganisationen waren zu Tausenden vertreten, um den Gipfel kritisch zu begleiten.
Was die Zahl der Regierungschefs betrifft, sind es mit 28 dieses Jahr noch einmal mehr. Ansonsten hat der Gastgeber aber deutlich abgesteckt: keine teuren Tanzdarbietungen fürs Abendprogramm mehr; auf Champagner soll angeblich verzichtet werden. 220 Millionen Euro soll der Gipfel weniger kosten, dadurch, dass er von Maddalena in die Erdbebenregion verlegt wurde.
Und so üben sich die Staatschefs in tapferer Bescheidenheit. Bisher habe sich noch niemand über die schlichten Unterkünfte beschwert, sagt ein Vertreter des Organisationskomitees. Der ebenfalls anwesende libysche Staatschef Muammar Gaddafi dürfte damit die wenigsten Probleme haben. Er übernachtet bereits seit Jahren bei seinen Auslandsreisen in einem eigens mitgebrachten Beduinenzelt.
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