Sparen im Sozialwesen: Stadt hat Zoff mit Sozialträgern
Sozialsenator will Wohlfahrtsverbände in die Pflicht nehmen. Die sollen steigende Erziehungshilfe-Fallzahlen auffangen. Einzelfallhilfe soll die Ausnahme sein.
Hamburgs Wohlfahrtsverbände stellten am Donnerstag eine fröhliche Kampagne vor. Unter dem Motto "Wohlfahrt verbindet", wirbt Ex-Tagesschau-Sprecher Uli Wickert für die Bedeutung sozialer Arbeit. Höhepunkt ist der 27. September, an dem Politiker eingeladen sind, in einer der 3.000 Hamburger Wohlfahrtseinrichtungen zu arbeiten. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) macht mit und spricht von einem "tollen Angebot".
Doch hinter den Kulissen herrscht zwischen Politik und Wohlfahrtsträgern dicke Luft. Denn SPD-Sozialsenator Detlef Scheele hatte kurz zuvor der Presse zwei provokante Papiere vorgestellt. In dem einen ging es um Hilfen zur Erziehung (HzE), die in allen Kommunen immer teurer werden. Befürchtungen der GAL, er wolle auf Bundesebene eine Abschaffung des Rechtsanspruchs der Eltern auf individuelle Hilfe durchsetzen, trat der Senator zwar entgegen. Der werde "nicht angetastet".
Doch in der Praxis soll sich die Form dieser Hilfe ändern. Sie soll "vorrangig" durch "Verweisung in sozialräumliche Angebote" gewährt werden und "grundsätzlich nicht als Einzelmaßnahmen in der Familienwohnung stattfinden". Das soll nur genehmigt werden, "wenn im Einzelfall absehbar ist, dass sozialräumliche Hilfen keinen Erfolg versprechen oder bereits gescheitert sind".
Egal ob alt, jung, arm, reich, krank oder gesund - fast jeder profitiert von der Wohlfahrt. Das ist der Tenor der Kampagne "Wohlfahrt verbindet".
Die Wohlfahrt ist nicht gewinnorientiert, sieht sich als Sozialanwalt. Sie hat 3.000 Einrichtungen mit 45.000 festen und 25.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern.
Sie ist Anbieter gesetzlicher Sozialleistungen, die aus dem Sozialetat bezahlt werden. Über die Kostensätze wird verhandelt.
Wenn man Risikofamilien helfen wolle, sei der "Schritt nach draußen" sehr wichtig, ergänzte der Leiter der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe, Wolfgang Hammer. Welche Hilfe gewährt wird, sollen künftig die Jugendämter entscheiden. Damit man dort erfahrene Mitarbeiter hat, die "auf Augenhöhe" mit den Hilfe-Trägern verhandeln, erhalten Berufsanfänger künftig mehr Gehalt.
Er wolle bei Erziehungshilfen nicht sparen, sagte Scheele, aber den Anstieg der Kosten von zuletzt jährlich acht Prozent "abflachen". Würden es nur noch vier Prozent, wäre er "schon froh".
Um Ausgabenbegrenzung geht es auch in der "Kooperationsvereinbarung", die Scheele im Juni der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) vorlegte und am Donnerstag der Presse präsentierte. Darin sollen die Unterzeichner akzeptieren, dass die Ausgaben der Stadt bis 2019 jährlich nicht um mehr als 0,88 Prozent wachsen dürfen. Für die gesetzlichen Sozial- und Jugendhilfeleistungen soll ein fixes Ausgabenwachstum in noch zu verhandelnder Höhe festgelegt werden. Die AGFW soll versprechen, daran mitzuwirken, diese Ausgaben "nachhaltig zu begrenzen".
Sollten die Fallzahlen weiter steigen, solle dies "im Gesamtausgaberahmen aufgefangen werden". Ferner sollen die Träger weniger "Nischenprojekte" schaffen und Mechanismen vermeiden, die Nachfrage schaffen. Und schließlich soll die Hilfe an "messbare" Ziele gebunden sein, für deren Erreichung die Träger monetär belohnt oder bestraft werden. Darüber hinaus möchte die Behörde mehr "Prüf- und Kontrollrechte".
Man verhandle noch über das Papier und sei erstaunt, dass Scheele dies öffentlich macht, sagte AGFW-Geschäftsführer Michael Edele. Dass Träger steigende Fallzahlen auffangen sollen, sei "nicht denkbar". Auch andere Ideen aus dem Scheele-Papier gelten bei den Trägern als Provokation. Und die geplante Nachrangigkeit der Einzelfallhilfe lehnt die AGFW strikt ab.
Auch GAL-Politikerin Christiane Blömeke, die das Thema publik machte, ist nicht besänftigt. So wie Scheele vorgehe, existiere der Rechtsanspruch "nur noch auf dem Papier".
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