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Sparen bei Grundschul-Kindern

■ Bildungsbehörde setzt sich über Koalitionsversprechen hinweg

Am 3. Juli 1992 hat der Koalitionsausschuß der Ampel im Rahmen der Sparmaßnahmen eine Notbremse gezogen: Die Klassenfrequenz der 1. Grundschul- Klasse „darf die bisher geltende Größe“ nicht überschreiten. Und das waren 25 Kinder. Bei allem Sparen müssen politische Prioritäten gesetzt werden, lobten die Ampel-Politiker sich damals. Dazu sei diese Koalition fähig. Tausende hatten vorher auf dem Marktplatz gegen die Sparpläne demonstriert.

In aller Heimlichkeit hat Bildungssenator Scherf diesen Koalitionsbeschluß nun gekippt: Mit Datum vom 6. Januar 1993 erhielten die Schulleiter eine Planungsgrundlage, in der zwischen tausend Details zur „Abstimmung der Plandaten für die Schüler-/Klassenverteilung im Schuljahr 1993/94“ steht: „Als Richtwert für die Klassengröße gilt im Schuljahr 1993/4 in den Jahrgangsstufen 1 und 2 der Grundschule die Meßzahl von 27...“

Und das bedeutet: Wenn die im Koalitionsbeschluß versprochene Höchstzahl von 25 Kindern in einer Klasseeingehalten wird, dann bekommt die Schule dafür ca. zwei Lehrerstunden weniger zugeteilt. „Unterfrequenzabzug“ heißt das bürokratische Instrumentarium.

Das Behördenschreiben ist ein interner Vorgang, eigentlich dürften die betroffenen Eltern nichts davon erfahren — bis irgendwann im Sommer die Fakten geschaffen sind. Entsprechend empört plauderte die „Grundschulkonferenz“, ein Gremium aus Elternvertretern, GEW und Studiengang Primarstufe der Uni gestern den Vorgang aus. Wie weit kann die Zahl der Unterrichtsstunden reduziert werden? Als Untergrenze und Mindeststundenzahl gelten in Bremen derzeit 18 Schulstunden in der Woche — macht bei fünf Tagen im Durchschnitt 3,6 Stunden pro Tag Unterricht. „Die Kinder lernen dann so gut rechnen wie die Planer des Kongreßzentrums“, spottet Elternvertreter Ruhkopf.

Schon im vergangenen Jahr sind die Sonderstunden-Deputate für Aussiedler-Kinder zusammengestrichen worden. „Wir haben Aussiedler mit deutschem Paß, die kein Wort deutsch können“, erplaudert Schulleiterin von der Ahe aus dem Schulalltag, „für die wir keine Lehrerstunde zusätzlich kriegen, und wir haben türkische Kinder in der dritten Generation, die fließend deutsch sprechen, aber einen ausländischen Paß haben — für die kriegen wir Sonderdeputate“.

Bisher konnten die Grundschulen die Unterfrequenz-Abzüge mit den Sonder-Deputaten noch einigermaßen ausgleichen. Seitdem der Paß und nicht mehr die Sprachkenntnisse zum pädagogischen Kriterium gemacht werden, besteht diese Möglichkeit nicht mehr. „Da werden im Grundschulbereich die Weichen falsch gestellt. Das hat gesellschaftlich verheerende Auswirkungen“, sagt Elternsprecherin Marianne Isenberg. K.W.

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