Spanische NS-Deportierte: Nur ein Drittel überlebte

Ein Seminar der Stiftung "Topographie des Terrors" nahm sich des Schicksals der spanischen Deportierten in den NS-Lagern an. Zur Sprache kamen Geschichte und Erinnerung.

Die baskische Stadt Guernica, fotografiert kurz nach einem deutsch-italienischen Luftangriff. Bild: ap

Die Faschisten nannten sie allesamt "Rojos", die Roten: Anarchisten, Kommunisten, Sozialisten und Liberale, die die spanische Republik verteidigten und nach drei Jahren der Übermacht von Francos Truppen erlagen. Dann waren sie nur noch Abschaum, ermordet, ins Gefängnis geworfen, zu Zwangsarbeit verurteilt. Rund einer halben Million Republikaner gelang die Flucht nach Frankreich. Die nicht nach Spanien zurückkehrten, wurden in Südfrankreich unter elenden Bedingungen interniert. Aber das war nicht das Ende ihrer Leiden. Nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland wurden 40.000 von ihnen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verbracht, an die 10.000 landeten in den Konzentrationslagern. Nur ein Drittel überlebte.

Ein Seminar der Stiftung Topographie des Terrors, veranstaltet in Kooperation mit dem Memorial Democràtic, der katalanischen Regierung und der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung, nahm sich nun in Berlin des Schicksals dieser spanischen Deportierten in den NS-Lagern an. Untersucht wurden die Geschichte der Deportation und die Erinnerung an sie. Spanische und deutsche Historiker sowie die Vorsitzende des Verbandes der Überlebenden, der "Amicale" von Mauthausen, beschäftigten sich mit den in die Konzentrationslager Mauthausen, Sachsenhausen und Buchenwald verschleppten Spaniern. Der Schwerpunkt lag auf Mauthausen und seinen Außenlagern, wo die meisten der Deportierten schuften mussten. Den historischen Rahmen lieferte Walther Bernecker, renommierter Spezialist für neuere spanische Geschichte, mit einem detailreichen Referat, das manchen Geschichtslegenden, wie zum Beispiel einer planvoll konzipierten, geschickten Neutralitätspolitik Francos gegenüber Hitlerdeutschland, die Luft abließ.

In den Referaten der spanisch-katalanischen Historiker wurde greifbar, dass für sie die Rekonstruktion der Fakten kein Ziel an sich ist, sondern dazu dienen soll, die Erinnerung an die spanischen Freiheitskämpfer dem Vergessen zu entreißen. Jahrzehntelang, auch nach dem Ende des Franquismus, herrschte Schweigen über deren Los und Unwissenheit selbst über die elementaren Tatsachen von Bürgerkrieg, Flucht und Deportation. Es gab in Spanien zu dem Thema der Deportierten keine Forschung, keine Erinnerungsliteratur. Jorge Semprúns "Lange Reise", die romanhafte Geschichte seiner Deportation und seines Zwangsaufenthaltes in Buchenwald, war eine Ausnahme. Sie erschien 1962 - in Frankreich in französischer Sprache.

Ende der siebziger Jahre begann in Katalonien die Beschäftigung mit den Deportierten. Sie mündete 2004/2005 schließlich in die Erarbeitung einer Datenbank. Mit ihrer Hilfe soll, so der Historiker Alfons Aragoneses, den Opfern Name und Gesicht gegeben werden. Die spanisch-katalanischen Historiker betonten, dass die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und überlebenden Deportierten für sie ein zentralen Anliegen sei. "Denn", so sagt Aragoneses, "die wissenschaftliche Kälte muss mit der heißen Erinnerung zusammengehen."

Rosa Toran von der Amicale Mauthausen schilderte die unendlichen Mühen, die die Überlebenden der ins KZ Deportierten auf sich nehmen mussten, um anerkannt zu werden und die ihnen wegen der KZ-Haft nach deutschem Recht zustehenden Entschädigungen und Renten zu erhalten. Viele der spanischen Flüchtlinge waren ausgebürgert worden, und Francos Staat dachte gar nicht daran, für die Opfer - Spanier oder nicht - in Verhandlungen einzutreten. Die Amicale selbst wurde erst 1979 legalisiert. Trotz der Hilfe französischer Häftlingsverbände liefen häufig die Fristen für die Anträge auf Entschädigung ab.

Der Mitarbeiter der Gedenkstätte Mauthausen, Stephan Matyus, referierte über Francisco Boix, einen Häftling, der von den Deutschen zum Fotografen bestellt wurde und dem es gelang, zahlreiche Negative aus dem Lager herauszuschmuggeln. Einige von ihnen fanden ihren Weg als Belastungsmaterial in die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse. Matyus arbeitete heraus, dass die Fotos von Boix die befreiten Häftlinge nicht nackt, nicht als Opfer hinter Stacheldraht darstellten, sondern Boix in den Fotografien ihre Würde und Standhaftigkeit als Widerstandskämpfer dokumentierte.

Die spanisch-katalanischen Wissenschaftler sprachen von der heutigen Revolte der Enkel und Urenkel der Deportierten. Sie wollen endlich wissen, wer ihre Vorfahren, die Republikaner waren, wie sie lebten, kämpften und starben. Das war der emotionale Hintergrund, vor dem die eindrucksvolle Veranstaltung im Haus der Topographie des Terrors spielte.

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