Spanien nächster Deutschland-Gegner: Erfolg der Minimalisten
Nichts mit Tiki-Taka der Spanier und trotzdem das erste Mal in einem WM-Halbfinale. Eine Einzelaktion entscheidet in der 83. Minute nach zwei verschossenen Elfern das Viertelfinale.
BERLIN taz | Die Spanier waren baff, irritiert, orientierungslos. Fehler reihte sich an Fehler: die Bälle versprangen, die Zuspiele wollten nicht ankommen und jeder Flankenball wurde vom Kopf eines Paraguayers aus der Flugbahn geworfen. Absurd mutete das zuweilen an, so dass man sich fragen wollte, ob sich da nicht mindestens eine Hydra in die Reihen der Albirroja geschlichen hatte. Spanien jedenfalls war verschreckt, die Iberer hatten ihren Kompass und ihren Instinkt verloren, das sonst so flüssige Passspiel verhärtete sich nicht nur, es zerbröckelte auch.
Mit den weit vorne attackierenden Paraguayern hatten sie offenbar nicht gerechnet. Ein Geduldsspiel aus der Favoritenrolle, darauf waren sie eingestellt gewesen, aber eines, bei dem man sie spielen lassen würde. Dass der Gegner die Räume geschickt zustellen würde, dass sie ihre Spieler immer wieder doppeln, ja tripeln würden - geschenkt. Dann müsste man eben warten, so lange, bis sich eine Gelegenheit bieten würde, und diese würde irgendwann kommen.
Dass die Paraguayer sie aber bereits so früh im Spielaufbau stören würden (der nimmermüde Valdez stürzte sich sogar auf Torwart Casillas), jede Kombination schon im Ansatz erstickend, das war nicht geplant gewesen. Die Konfusion war offensichtlich und so dauerte es bis zur 30. Minute, als Xavi den ersten Torschuss abgab.
Paraguay - Spanien 0:1 (0:0)
Paraguay: Villar - Véron, da Silva, Alcaraz, Morel - Edgar Barreto (64. Vera), Victor Cáceres (84. Barrios), Riveros, Santana - Valdez (73. Santa Cruz), Cardozo
Spanien: Casillas - Sergio Ramos, Piqué, Puyol (84. Marchena), Capdevila - Busquets, Xabi Alonso (75. Pedro) - Xavi, Iniesta - Torres (56. Fàbregas), Villa
Schiedsrichter: Batres (Guatemala)
Zuschauer: 55.359
Tor: 0:1 Villa (83.)
Besonderes Vorkommnis: Cardozo (Paraguay) scheitert mit Foulelfmeter an Casillas (59.), Xabi Alonso (Spanien) scheitert mit Foulelfmeter an Villar (62.)
Gelbe Karten: Alcaraz, Morel, Santana, Victor Cáceres / Busquets, Piqué
Die erste Halbzeit im Ellis Park in Johannesburg zeigte ein Spiel, in dem die eine Mannschaft nicht recht wusste, was sie zu tun hatte, die andere dafür aber ganz genau.
Paraguays Trainer Gerardo Martino hatte im Vergleich zur trostlosen Achtelfinalpartie gegen Japan gleich sechs Mal gewechselt und dabei unter anderem die bisher gesetzten Stürmer Barrios und Santa Cruz herausgenommen. Vorne stürmten Valdez und Cardozo, sie spielten im 4-4-2 wie gegen Italien, nicht im 4-3-3 wie in den anderen Partien. Wechsel und Taktik gingen auf, den Spaniern bescherten sie die erwähnten Probleme und selber kamen die Paraguayer immer wieder Mal gefährlich vor das Tor der Spanier. Einmal sogar mehr als das, in der 41. Minute brachte Valdez die Kunststoffkugel im Kasten unter, Schiedsrichter Carlos Batres entschied aber auf eine (passive) Abseitsstellung von Cardozo. Eine diskussionswürdige Entscheidung.
In der zweiten Hälfte zunächst das gleiche Bild. Bis zur 57. Minute. Dann wurde es kurios, furios, dramatisch: Piqué zerrt seinen Gegenspieler Cardozo mit aller Macht zu Boden und Schiedsrichter Batres zeigt auf den Punkt: Elfmeter für Paraguay. Der Gefoulte tritt an, Casillas hält. Gegen Japan hatte Cardozo noch den entscheidenden Strafstoß verwandelt, diesmal scheiterte er kümmerlich. Der direkte Gegenzug der Spanier und jetzt ist es Verteidiger Alcaraz, der David Villa im Strafraum von Paraguay von den Beinen holt. Wieder Elfmeter, diesmal für Spanien. Xabi Alonso legt sich den Ball zurecht, schießt, trifft, jubelt - und wird zurückgepfiffen. Der Strafstoß muss wiederholt weden und diesmal hält Paraguays Torwart Villar. Dass er im Nachsetzen den eingewechselten Fabregas klar von den Beinen holt und es demnach noch einen zweiten Elfmeter für Spanien hätte geben müssen, geht in der Aufregung vollkommen unter.
Die zwei Elfmeter wirkten wie ein Aufputschmittel für die Partie, die jetzt unruhiger wurde, schneller und wilder. Taktische Fesseln fielen auf beiden Seiten, Überlegungen wurden verworfen und diese leichte Bewusstlosigkeit tat insbesondere den Spaniern gut. Sie fanden ihre Instinkte wieder, der Kompass funktionierte nun besser und der Ball lief geschmeidiger. Iniesta setzte zu einem herrlichen Schlenzer vom linken Strafraumeck an, aber Villar hielt erneut (63.). In der 83. Minute dann das Tor, das die Spanier ins Halbfinale brachte: Iniesta mit Traumpass auf den für Xabi Alonso gekommenen Pedro, der setzt den Ball an den Pfosten. Der Abpraller kommt zu Villa, der schießt, rechter Pfosten, linker Pfosten und von dort springt der Ball schließlich ins Tor. Eine willkürliche Entscheidung, genauso gut hätte er wieder rausspringen können, es hätte in der Tat zum Spiel gepasst.
Ganz vorbei war es damit immer noch nicht, Santa Cruz hatte kurz vor Ende noch die große Chance zum Ausgleich, aber Casillas rettete in höchster Not und sicherte den Spaniern den Sieg. Der Favorit gewinnt also, atmet einmal tief durch und trifft dann am Mittwoch auf Deutschland. Paraguay trauert nach großer Leistung und kann doch den größten WM-Erfolg der eigenen Fußball-Geschichte feiern.
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