Spaltung Ein Bahnmanager soll als neuer Kanzler das zerrissene Land wieder kitten. Ein grüner Außenseiter soll einen rechten Bundespräsidenten verhindern: über zwei Männer, die Österreich retten könnten: Endzeitstimmung, Aufbruchstimmung
Aus Wien Robert Misik
Der nächste Kanzler Österreichs residiert derzeit im Büro des Bahnchefs. Christian Kern, 50 Jahre alt, ein Manager, arbeitet in einem imposanten Glaspalast, hoch oben über dem Wiener Hauptbahnhof. Man hat von hier einen wunderbaren Blick auf das Schloss Belvedere von Prinz Eugen von Savoyen, dem Oberkommandierenden diverser Erbfolgekriege. Die Zukunft schaut von hier oben herunter auf die Vergangenheit.
Christian Kern, der Chef der Österreichischen Bundesbahnen, soll Parteichef der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und Kanzler werden. Darauf hat sich die Partei in diesen Tagen verständigt.
Die Frage ist nun: Kann die SPÖ mit Christian Kern den desolaten Zustand der jüngsten Vergangenheit überwinden?
Kern, der der SPÖ verbunden ist, aber bislang nicht zur Parteiführung gehörte, würde theoretisch schon wissen, was eine zeitgenössische Sozialdemokratie braucht: Modernität, Weltoffenheit, unbedingt auch eine positive Veränderungsbotschaft. Er ist ein Wirtschaftsmann, nicht ohne Charisma, einer, der Aufbruch verkörpern kann.
Allerdings ist das Dilemma, in dem die SPÖ steckt, groß.
Bei der Bundespräsidentschaftswahl im April hat ihr Kandidat 11 Prozent der Stimmen geholt, so wenig wie der Kandidat der bürgerlichen ÖVP, mit der die SPÖ regiert. Die beiden Parteien der Großen Koalition kamen zusammen also auf weniger als ein Viertel der Stimmen. In die Stichwahl aber gehen – überraschend – der Grüne Alexander Van der Bellen und, als Favorit, Norbert Hofer, der Kandidat der Rechtsaußenpartei FPÖ – der im ersten Wahldurchgang 35 Prozent der Stimmen bekommen hat.
Im Wahlergebnis zeigte sich, wie tief das Misstrauen gegen die Politik der sogenannten Etablierten mittlerweile ist. Und wie groß die Ratlosigkeit derer, die in der öffentlichen Diskussion nur noch den Furor der Rechten wahrnehmen – und eine Linke, die nur reagiert.
Am 1. Mai pfiff die Basis ihren Kanzler weg
Wie tief der Riss ist, der auch durch die SPÖ und ihre Basis geht, konnte man am 1. Mai in Wien sehen. An diesem Tag findet auf dem Rathausplatz seit 1890 das Hochamt der österreichischen Sozialdemokratie statt, der Maiaufmarsch. Früher haben sich hier 100.000 oder 150.000 Marschierer über die Ringstraße geschoben. Heute sind es nur mehr einige Zehntausend, aber da es eine lieb gewonnene Tradition geworden ist, ist der Zug auch heutzutage noch imposanter als vergleichbare Kundgebungen anderswo. Doch diesmal lief die Veranstaltung dramatisch aus dem Ruder.
Als Werner Faymann, zu diesem Zeitpunkt noch Kanzler und Parteivorsitzender der SPÖ, ans Pult ging und seine Rede halten wollte, sah er sich einem Wald von „Rücktritt“-Schildern gegenüber. Der halbe Rathausplatz pfiff ihn weg. Ein Kanzler und Parteichef, ausgebuht von der sozialdemokratischen Basis. Faymann musste seine Rede nach wenigen Minuten beenden. Neun Tage kämpfte er danach noch um sein Amt, am Montag trat er zurück.
In der SPÖ bekämpfen sich zwei Parteiflügel: Der eine Flügel glaubt, dass man der FPÖ nur dann den Wind aus den Segeln nimmt, wenn man sich ihren Themen anschmiegt, also selbst auf eine restriktive Flüchtlings- und überhaupt auf eine rigide Ausländerpolitik setzt. Wenn man Zäune baut, das Bundesheer an der Grenze patrouillieren lässt und die „Das Boot ist voll“-Rhetorik übernimmt. Das war zuletzt auch die Politik des zurückgetretenen Kanzlers. Ein Teil dieses Flügels will die SPÖ für Koalitionen mit der FPÖ öffnen. Bei der Bundespräsidentschaftswahl ist die Partei mit dieser Strategie gescheitert.
Der andere Flügel will die SPÖ wieder als grundwerteorientierte, weltoffene moderne Partei positionieren, am liebsten irgendwo zwischen, sagen wir, Bernie Sanders und Justin Trudeau. Dieser Flügel ist empört über den scharfen Schwenk von der Willkommens- zur Zaunbaukultur, den Kanzler Faymann vor ein paar Monaten hingelegt hat. Nur mit neuen, glaubwürdigen Figuren und indem man „zu seinen Werten steht“, könne man dem rechten Anti-Establishment-Furor den Wind aus den Segeln nehmen, ist dieser Flügel überzeugt.
Hier wäre Bahnchef Kern, der designierte neue Kanzler, anschlussfähig. Seine Österreichischen Bundesbahnen fuhren die Flüchtlinge mit Sonderzügen weiter und arbeiteten eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Das hat ihm Reputation auch als Manager der Flüchtlingskrise verschafft.
Dass es zwei Flügel in einer sozialdemokratischen Partei gibt, ist einigermaßen normal. Nicht normal ist, mit welcher Verbitterung sie sich zuletzt bekämpften. Sogar zu Handgemengen unter Genossen kam es. Diesen Graben zuzuschütten wird zu den Aufgaben des neuen Kanzlers gehören.
In der Schärfe, in der sie die Auseinandersetzung führt, repräsentierte die SPÖ in den vergangenen Wochen immerhin das ganze Land.
Und wenn sich auch die SPÖ nun neu aufstellt – der Riss im Land bleibt: Die Bundespräsidentenwahl jedenfalls wird unter dem Eindruck der gesellschaftlichen Spaltung entschieden: Die Stichwahl zwischen FPÖ-Mann Norbert Hofer und dem ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen ist am 22. Mai.
Spätestens seit Hofer das Amt des Bundespräsidenten in Griffweite hat, läuft die gesellschaftliche Debatte nach dem Prinzip, nach dem Kanzler Faymann erfolglos Politik machte: Man muss doch mit denen reden. Man muss sich denen doch annähern.
Wer aber versucht, mit Hofer-Wählern ins Gespräch zu kommen, ist sehr schnell mit der Aussichtslosigkeit dieses Unternehmens konfrontiert.
„Ich habe es versucht“, sagt eine Wiener Freundin. „Aber es hat keinen Sinn. Die Hofer-Anhänger, mit denen ich gesprochen habe, die reden so, als würden sie seit Jahren in einem Kriegsgebiet leben und wären täglicher Folter ausgesetzt.“ Vollkommene Realitätsverzerrung, totaler Tunnelblick. Das Land ist in einer Schieflage. Die Wähler der Rechtsradikalen fühlen sich unterdrückt, vom Establishment gepeinigt, als Zukurzgekommene, denen ohnehin niemand zuhört. Aber wenn man mit ihnen reden will, kommt nichts als Geschrei.
Die Stichwahl zum Bundespräsidentenamt wird der liberaldemokratische Kandidat Alexander Van der Bellen jedenfalls nicht gewinnen, indem man die Hofer-Wähler zurückholt. Das wird in wenigen Wochen Wahlkampf nicht gehen. Die Wähler der Rechten zu streicheln wird keinen Erfolg haben. Alle anderen müssen für Van der Bellen mobilisiert werden.
Überhaupt: Die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen – das ist ja so eine Phrase, die in ihrer Phrasenhaftigkeit nicht mehr zu ertragen ist. Jetzt ist sie ersetzt durch die Beteuerung, dass die Wähler der Rechten doch nicht alle Nazis seien, sondern Menschen, die rechts liegen gelassen würden von einer Linken, die lieber Flüchtlingen in Not hilft als Inländern mit Jobproblemen, für die die Mindestsicherung für Asylbewerber ein Schlüsselthema ist, die aber von der Lohnentwicklung der Arbeiter am Stadtrand keinen Tau hat und überhaupt aus ihren gentrifizierten Innenstadtquartieren nicht herauskommt. Und die die Augen zudrückt vor all den Problemen mit den Muslimen.
Wähler der Rechtsradikalen wissen schon, was sie tun
Wenn das auch nicht völlig falsch sein mag – einen Schönheitsfehler hat die These, nicht alle Wähler der Rechten seien rechts, doch: Sie wird fast immer von Leuten vorgebracht, die tatsächlich noch nie da waren, wo es, wie die Wiener sagen, ein bisschen „oarg“ („arg“, also hart) ist. Wo sich die Unterprivilegierten drängen, wo die Viertel herunterkommen, draußen in Floridsdorf oder in Donaustadt, den Flächenbezirken am Stadtrand oder im Wirtshaus in der Provinz.
Dass die Wähler der FPÖ keine Rechtsradikalen seien, obwohl sie einen Rechtsradikalen wählen, sondern dies einfach ihres Ärgers und der Alternativlosigkeit wegen tun, nun ja, das unterstellt schon ein bisschen, dass die Wähler ahnungslose Dummchen sind. Wer da im Arroganzwettbewerb die Nase vorne hat – der Innenstadt-Grüne oder der Mittelschichts-Sozi, der angeblich die Unterschicht verachtet, oder im Gegenteil der FPÖ-Wähler-Versteher, der meint, diese Wähler seien gleichsam unzurechnungsfähig oder Kleinkinder, die nicht recht wissen, was sie tun – das ist schwer zu entscheiden.
So ein gewisser Anteil an Absicht wird schon dahinter sein, wenn jemand Rechtsradikale wählt.
Die Mahnung, auch mit den FPÖ-Anhängern endlich das Gespräch zu suchen, ist daher eher so etwas wie eine Chiffre für wichtige Fragen im Selbstgespräch derer, die anders denken: Darf man die Polarisierung, die Bürgerkriegsstimmung, die sich einschleicht, einfach so akzeptieren? Wie könnte man die verlorenen Wähler, die derzeit so aggressiv dagegen sind, wieder für etwas gewinnen? Braucht es dafür eine neue Sozialdemokratie oder eher eine neue Partei? Und: Ist mehr möglich, als das Schlimmste zu verhindern?
Da kommt wieder die Neuaufstellung der Sozialdemokraten ins Spiel. Der durchschnittliche Sozialdemokrat, beispielsweise, ist heute entweder ein kleiner Funktionär, der die Welt nicht mehr versteht, oder ein Apparatschik, der sich ängstlich gegen die Außenwelt abschottet und sich einbunkert, oder ein Politiker aus der Mittelschicht, der ein Mittelschichtsleben in Mittelschichtsbezirken unter Mittelschichtsmenschen lebt. Die Grünen sind für FPÖ-affine Wähler in den Vorstadtwelten ohnehin nur selten eine Alternative. Und eine linkspopulistische Protestpartei vom Schlage der spanischen Podemos, die die unrepräsentierten Wütenden vertreten könnte, existiert nicht.
Alexander Van der Bellen: Der 1944 geborene Politiker der österreichischen Grünen trat bei der Bundespräsidentenwahl im April als von den Grünen unterstützter Kandidat an. Er holte im ersten Wahlgang 21 Prozent der Stimmen – die zweitmeisten.
Norbert Hofer: Der 1971 geborene FPÖ-Politiker erhielt bei der Wahl 35 Prozent der Stimmen. Er geht damit favorisiert in die Stichwahl am 22. Mai. Die Amtszeit des bisherigen Bundespräsidenten, des SPÖ-Manns Heinz Fischer, endet am 8. Juli.
Natürlich ist auch das noch zu kurz gedacht. Die Etabliertenpolitik hat derzeit einfach kein Narrativ zur Verfügung, das irgendjemandem Hoffnung macht. Die Botschaft, die etwa die Sozialdemokraten in jüngster Zeit aussandten, lautete: „Wählt uns, denn mit uns wird es langsamer schlechter.“ Nicht extrem sexy, diese Message.
Orientierungslos versuchte man zuletzt, der FPÖ den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man sich ihrer Rhetorik annäherte. „Funktioniert immer wieder perfekt: Nach rechts rücken, damit niemand mehr die Rechten wählt“, schrieb jemand am Abend der Bundespräsidentenwahl sarkastisch auf Twitter.
Christian Kern, der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Bundesbahnen, der kommende SPÖ-Chef und Kanzler, ist ein kluger, fähiger Mann, eloquent, weltoffen, er genießt auch Glaubwürdigkeit bei denen, die das Gefühl haben, im Turbokapitalismus unter die Räder zu kommen. Aber wird er den Spagat schaffen? Kann er, gewissermaßen, Justin Trudeau und Alexis Tsipras zugleich sein? Geht das in einer intellektuell ausgedünnten, erschlafften und personell erschöpften Partei? Und wenn ja, wie?
Unmöglich ist es nicht, denn der katastrophale Zustand ist eben auch eine Chance: „Weiter so“ ist ohnehin keine Option mehr. Das Gros der Parteifunktionäre giert schier danach, endlich wieder für eine Partei laufen zu können, für die man sich nicht schämen muss.
Der Aufstieg der FPÖ hat viel mit der SPÖ zu tun
Der Beweis, dass es geht, ist Andi Babler. „Wer den Unterschied zwischen Anbiedern an die FPÖ und der Schaffung eines politischen Angebots für ihre Wähler nicht versteht, der sollte darüber nachdenken“, sagt Andi Babler. Babler hat die Statur eines Bären, meist sieht man ihn mit aufgekrempelten Hemdsärmeln. Er ist ein bisschen so, wie man früher als Arbeiterführer aussah, dieser Typus, der fast ausgestorben zu sein scheint.
Der 43-Jährige ist Bürgermeister von Traiskirchen, einer Kleinstadt im Speckgürtel von Wien, knapp eine halbe Stunde von der Hauptstadt entfernt. Klassische Arbeiterstadt, Industrie, gebeutelt auch vom Strukturwandel. Zudem ist Traiskirchen in Österreich berühmt, weil hier das größte Erstaufnahmelanger für Asylbewerber untergebracht ist.
Der breitbeinige Linke Babler hat es verstanden, seine Bürger mit klassisch sozialistischer Rhetorik plus grundsatztreuer „Refugee Welcome“-Botschaft zu überzeugen, der schlichten Botschaft, dass all jene, die Hilfe brauchen, Hilfe verdient haben. Bei der letzten Wahl hat seine SPÖ in Traiskichen 73 Prozent geschafft, das war auch für diese Sozi-Hochburg sensationell. Plus 4 Prozent fuhr Babler ein.
Der Aufstieg des rechtsradikalen Populismus ist auch eine Geschichte des Versagens einer SPÖ, die ganz anders agierte als Babler.
Allerdings ist der Erfolg der FPÖ damit nicht hinreichend erklärt. Da sind, ganz generell, die Abschottung der politischen Eliten, der Verlust jeder positiven Energie, die selbstreferenziellen Politdiskurse; das, was Pierre Bourdieu schon vor drei Jahrzehnten „den wechselhaften Strom des täglichen Geschwätzes“ nannte. Dann die Transformation von Politikern in Apparatschiks und die Transformation der Apparatschiks in smarte Berufspolitiker, die den Eindruck erwecken, nur mehr in ihrem Raumschiff zu leben. Das Anwachsen von Groll, dessen Umschlagen in offene Wut.
Aber gerade die Dynamik der vergangenen Monate lässt sich nicht beschreiben, ohne dass man sich dieser eigentümlichen allgemeinen medialen Hysterie zuwendet. Nicht nur der Boulevard hat getrommelt, dass das Land regelrecht vor dem Zusammenbruch stehe. Flüchtlingskrise, 90.000 Asylbewerber in einem Jahr, Sozialsysteme, Gesundheitssysteme, der Wohnungsmarkt vor dem Kollaps, Horden von Muslimen, die zu Tausenden österreichische Frauen vergewaltigen und erschlagen, wenn sie nicht gerade Bomben legen oder Babys verspeisen – so in etwa zeichnete das mediale System den Zustand des Landes.
Die Medien – man kann das ausnahmsweise so verallgemeinern – schrieben in einem Herdentrieb, bei dem beinahe alle mitmachten, das Land in einen Zustand der Hysterie hinein. Die mediale Angstlust sowie die Überbietungslogik des Negativismus im medialen Feld und die rhetorische Verschärfung im politischen Feld schaukelten sich gegenseitig hoch.
Zuletzt peitschte die Regierung auch noch ein „Notstandsgesetz“ durch den Nationalrat, das – formal gesehen – die Möglichkeit einräumt, per Notstandsverordnung das Asylrecht faktisch gänzlich außer Kraft zu setzen, womit sie die Botschaft ans Wahlvolk sandte, dass im Land ein Notfall ausgebrochen wäre. Wohlgemerkt: in einem gut verwalteten Land, das mit 90.000 Flüchtlingen natürlich ein paar Probleme hat – vom Management der Unterbringung bis zur Integration und bis zur Kriminalitätsbekämpfung –, das aber von jeder Art von Chaos weit entfernt ist.
Das Bild, das in der politmedialen Debatte von der Realität gezeichnet wird, und die wirkliche Wirklichkeit, die man erlebt, wenn man durch die Straßen geht, unterscheiden sich wie Tag und Nacht. Aber es scheint fast so, als habe die Wirklichkeit gegen das Trug- und Zerrbild keine Chance.
All das riecht nach Endzeitstimmung. Klar, man kann sagen: Die herrscht ohnehin immer in Österreich. Die gehört ja quasi zur Nationalkultur. Das ist natürlich ein Klischee, an dem aber, wie bei Klischees üblich, nicht alles falsch ist. Hier tanzt man gerne am Vulkan.
Was Christian Kern bringen soll, ist ein wenig Aufbruchstimmung. Die Landesverbände der SPÖ haben sich für ihn ausgesprochen. Er ist die Figur des Aufbruchs. Die eine Figur.
Ein demonstrativer Akt für Van der Bellen
Die andere ist der grüne Anwärter auf das Bundespräsidentenamt, Alexander Van der Bellen.
Das Burgtheater ist immer noch die imposanteste Bühne des Landes, durchweht von Geschichte, was auch heißt, ein wenig aus der Zeit und der Gegenwart gefallen. André Heller, der von Chansons über Wienerlieder, von Artistik über den Zaubergartenbau bis zur Kulturkoordination für die Fußballweltmeisterschaft 2006 so ziemlich alles gemacht hat in seinem bisherigen Leben, stellt hier nun etwas vor, was er noch nie geschrieben hat: einen Roman. „Das Buch vom Süden“ handelt von dem „fleißigen Taugenichts“ Julian Passauer und ist eine zauberhafte Geschichte mit Geschichte, eine Wiener Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Das Burgtheater ist bis auf den letzten Platz gefüllt, weitgehend mit jenem Typus Menschen, den man das linksliberale Bürgertum nennen kann oder die liberale, intellektuelle, kunstaffine Bourgeoisie. Jenes Milieu, das sich bis in die achtziger Jahre mit den Sozialdemokraten zu einer Art historischem „progressivem Block“ zusammengefunden hatte – damals, als es noch Optimismus und Fortschritt gab. In dieser Vergangenheit, als es noch Zukunft gab.
An diesem Abend hat es lange den Anschein, als wäre der Innenraum des Theaters fest verschlossen gegen die Stürme der Gegenwart, den Groll da draußen. Bis Heller knapp vor Ende der Veranstaltung dann sanft überführt zu diesen Stürmen und sagt, „man möge die, die anders gewählt haben, als man sich das erhoffte, nicht beschimpfen, sondern dafür werben, dass es eine bessere Alternative gäbe“. Und er fügt hinzu: „Sonst haben wir dieses Land nimmer, sondern ein ganz anderes Land.“
Was Heller hier formuliert, ist eine Vision der Anschlussfähigkeit für viele durch ein neues, eigenes Narrativ. Im Grunde eine Vision, die über Österreich hinausweist, in alle europäischen Staaten, in denen rechte und Rechtsaußenparteien Zulauf haben.
André Heller blinzelt gegen die Scheinwerfer in Parkett und Ränge und fragt: „Ist der Alexander Van der Bellen da?“ In einer Loge im ersten Stock lacht der Mann mit dem signifikanten Bart und steht auf. Die gesamte Wiener High Society applaudiert, aber es ist mehr als ein Applaus. Er ist, auch wenn er zurückhaltend bleibt, eher still und hartnäckig als tosend, ein demonstrativer Akt: Rückendeckung für den Grünen, der es als Einziger in der Hand hat, einen rechtsradikalen Bundespräsidenten zu verhindern.
Robert Misik ist Publizist und Journalist. Er lebt in Wien
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