: Spaghetti-Essen im richtigen Leben
Der Ex-Shooting-Star und Ost-Kulttalker Lutz Bertram versucht, den Stasi-Schwefelgestank in der Hauptstadt loszuwerden und ein Comeback auf dem Lande zu inszenieren ■ Aus Berlin und Beeskow Detlef Kuhlbrodt
„Wir brauchen keine Denunzianten. Wir selbst verachten sie. Wir wollen (...), um mit den Worten Puschkins zu sprechen, ,des Verstandes kühle Sicht und des Herzens traurige Notiz‘. Wir brauchen frische, mutige, ehrliche Leute, die ihre traurigen Notizen darüber, was das Volk denkt, mit uns teilen.“ (Jewgeni Jewtuschenko; „Stirb nicht vor deiner Zeit“)
Mißmutig lungern ein paar Dutzend Journalisten vor dem Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlins untoter Mitte herum. Es ist Mittwoch abend; das Wetter ist klasse, wer nicht blöd ist, sitzt draußen und trinkt oder schaut sich das Fußballeuropapokal-Endspiel im Fernsehen an. Es gibt Journalisten, die warten schon seit einer Stunde, weil man ihnen sadistischerweise den falschen Veranstaltungsbeginn mitgeteilt hatte, oder weil sie dachten, sonst keinen Platz mehr zu kriegen. Normalbürger hingegen waren wenig gekommen, um zu hören, was der ehemalige ORB-Starmoderator Lutz Bertram inzwischen über seine Vergangenheit zu sagen hat. Das überrascht die Kollegen, denn der Fall Bertram schlug vor einem halben Jahr in Berlin und Brandenburg ein wie der Blitz in die Eiche.
Die Fans waren entsetzt: unser „Frühstücksdirektor“, unser Bertram hatte zwischen '83 und '89 als IM für die Stasi gehorcht und geguckt. Ein Schock: denn hatte unser Kult-Talker nicht nur morgen für morgen Politiker aller Couleur und dann noch ohne jeden Respekt interviewt? Und widersprach sein seltsamer Moderationsstil nicht allen guten Sitten der Medienzombies auf allen Kanälen? Ach, war das schön. Er betonte falsch, begrüßte seine Hörer mit „Huhu“ und pflegte in insgesamt dreitausend Interviews seine prominenten Gesprächspartner durch ansatzlos-irres Gekichere zu verwirren.
Und dann der Absturz. Um den „Schwefelgestank“ loszuwerden, erzählte Bertram seine eigene Geschichte in einer Fernseh-Live- Diskussion. Ein Häufchen Elend! Da ging es um grünen Star, mangelnde medizinische Möglichkeiten in der DDR, um Paßentzug, Lebensunlust und Trinkereien, die den schließlich Erblindeten 1983 in die Arme der freundlichen Herrn von der Stasi getrieben hätten. Eine christliche Geschichte: Der Sünder bekannte existentiell schuldig-schuldig-schuldig, also eigentlich unschuldig zu sein. Das berührte. Nur leider zeigten die umfangreichen Akten der Gauck- Behörde den „IM Romeo“ als äußerst kooperativen Stasi-Mitarbeiter, der bereitwillig und ausführlich über Rundfunkkollegen und die DDR-Rockszene Auskunft gab. Die übliche Geschichte!
Mit grimmiger Freude stürzten sich in Folge die Medien auf den ehemaligen Ost-Identitätsstifter. Man erfuhr, daß er eigentlich schon immer geldgierig, eitel und autoritär gewesen sei, eine Million im Jahr verdiente und einen Jaguar fuhr. Aber Menschen, die durch die Spitzeleien von Bertram nicht nur potentiell, sondern ganz konkret geschädigt wurden, fanden sich bis heute nicht.
Dafür fand sich aber – oh Wunder – eine sogenannte Opferakte. Demnach wurde Bertram selber zwischen 1975 und 1981 observiert. Weil er sich, damals Student, in einer Büttenrede über die DDR lustig machte. Das, was der Ostberliner Verleger Christoph Links aus der „Opferakte“ zitierte, wirkte geradezu traurig-komisch. So wurde als Indiz seiner „negativen“ resp. „eindeutig feindlichen Einstellung“ bei der Stasi gewertet, daß er sich mit Nietzsche beschäftigte. Und auf westliche Dekadenz deutete in den Augen des paranoiden Geheimdienstes, daß der spätere IM einmal ein „Spaghettiwettessen“ veranstaltete. Und lange Jahre verdächtigte man ihn, Plakate mit der Parole „Holt Biermann zurück“ geklebt zu haben. Eigenhändig.
Solche Akten seien „ein für halbwegs renitente Studenten normaler Vorgang“, relativierte der angenehm unspektakulär referierende Verleger. Und auch Bertram, der in Jesusnachfolge den „steinigen Weg in der Öffentlichkeit zu Ende gehen“ wollte, versuchte nicht, sich als Opfer-Täter aufzuspielen. Schon damals als Observierter habe er sich eher in der „Proszeniumsloge des amüsierten Beobachters“ gewähnt. Von der Beobachtung habe er nichts gemerkt.
„Leichter wäre es, wenn ich ein Überzeugungstäter gewesen wäre“, beklagte Bertram sein späteres IM-Leben. Ob dem wirklich so ist, sei dahingestellt. Seine Begründung für das Stasi-Engagement hörte sich wie abertausend andere an. Von der Liebe zum Kommunismus keine Spur, Pragmatismus pur! Einen Reisepaß wollte er, vom Zoll nicht mehr belästigt werden, und „meinen eitlen Tatendrang entfalten. Ich habe wirklich geglaubt, dadurch freier und unabhängiger zu sein.“ Ein besonders erfolgreicher IM war Bertram trotzdem nicht, meinte Christoph Links.
Das schien Bertram doch ein wenig zu kränken. Schließlich habe es seinem Führungsoffizier schwer imponiert, wie er einmal bei Oskar Lafontaine anrief und sich unter fünf Terminen einen aussuchen konnte. Wenn die „politische Kehre“ nicht gekommen wäre, hätte ich eine Art Guillaume werden können ... Stellen Sie sich vor: 1995 ist der Kanzler, und der kleine Lutz sitzt in seinem Büro.“ Das fand Gastgeber Christoph Stoelzl, Chef des DHM, „rührend“. Und ihm fiel seltsamerweise Adornos Satz über den Kapitalismus ein, um Bertram aus dem Sozialismus zu entlasten: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen Land.“
80 Kilometer von Berlin entfernt, in der kleinen brandenburgischen Stadt Beeskow, ist man nicht so an Adorno interessiert, dort gab es am 2. Mai ein kleines Spektakel. Lutz Bertram war angesagt, um eine Talkshow mit Ex-Verkehrsminister Günther Krause und Immer-noch-PDS-Star Gregor Gysi zu leiten. Das regte die meisten Abgeordneten des Oder-Spree- Kreises mächtig auf. Mit großer Mehrheit verabschiedete der Kreistag eine Resolution, die das Vorhaben mißbilligte.
„Mit der Entscheidung, Herrn Lutz Bertram als sogar auf Dauer vorgesehenen Moderator agieren zu lassen, wird dem Stasi-Spitzel Bertram eine öffentliche Plattform im Landkreis geschaffen, nachdem Herr Bertram von seiner Moderatorentätigkeit beim ORB eben wegen dieser Stasi-Mitarbeit suspendiert wurde. Allein dieser Umstand erscheint unserer Fraktion als öffentliche Unerträglichkeit“, hieß es stramm, aber ungelenk bei den Bündnisgrünen. Und Sprecher Dr. Hertneck erzählte der taz, Bertram habe das Recht zum Moderieren verwirkt. Er solle sich was anderes suchen. „Ich sage jetzt nicht, daß er ja auch einen Kopf hat und zwei Pfoten, aber so ungefähr meine ich es.“
Schützenhilfe erhielt Bertram nicht aus Beeskow, sondern von ganz oben. Der brandenburgische CDU-Generalsekretär Thomas Klein schickte dem Moderator ein Telegramm, in dem er ihn zur Wiederaufnahme seines Jobs beglückwünschte. Das ärgerte seine Parteikollegen in Beeskow einerseits, die für ein Verbot der Veranstaltung plädiert hatten, aber beeindruckte den für das Versammlungsgesetz zuständigen Landrat andererseits so, daß er, mit dem Hinweis auf das große öffentliche Interesse, beschloß, die Talkshow zu genehmigen.
Der grüne Dr. Hertneck sieht darin „eine Mißachtung des parlamentarischen Willens“, denn die „Mißbilligung“ sei schließlich „im Prinzip ein Verbot. Und wenn jemand sagt, es könne ja nichts Schlechtes sein, wenn so viele Leute es sich angucken wollen, dann sage ich Ihnen ganz zynisch darauf: Wenn ein Auto-Crash angeboten wird heute nachmittag, dann kommen auch fünfhundert Leute.“
Zur „Bertram in Beeskow“- Show kamen dann sogar sechshundert, PDS-Fraktion eingerechnet. Wieder lungerten die gleichen Journalisten in der abendlichen Sonne vor dem Beeskower Schützenhaus herum und stürzten sich dann begeistert auf die „mißbilligten vier“, die im silberfarbenen Mercedes SL Cabrio von Günther Krause vorfuhren. Seinen eigenen Jaguar hatte Bertram diskret weggeparkt.
Alle spielten solidarisch-herzlich mit. Gysi, der vor einem halben Jahr noch von Bertram böse bedrängt worden war („Waren Sie nun, oder waren Sie nicht ... Ihre Hände zittern ja“), Autobahn- und Dienstmädchen-Skandalnudel Krause, der am gleichen Tag als Geschäftsmann ein mittleres Fiasko erlebt hatte – und trotzdem Bürgermeister in Rostock werden möchte –, der entspannt wirkende Bertram sowieso und der Gastgeber Herbert Schirmer (SPD) auch. Zur Feier des Tages trug der zierliche letzte DDR-Kulturminister, der heute auf Burg Beeskow DDR-Kunst sammelt, seinen Ex- Ministeranzug: „Ich glaube nicht, daß den Selbstbezichtigungen und Schuldeingeständnissen, die Bertram bisher abgegeben hat, noch etwas hinzuzufügen wäre“, erklärte er. Jetzt sei eine andere Etappe gefragt. „Das heißt also: Bertram wieder auf die Bühne.“
Vor dem Schützenhaus sagten zwei Serviererinnen, sie hätten vor einer Stunde noch nicht gewußt, worum es heute überhaupt gehe. Im „Saal der Mißbilligung“ begrüßte Bertram wie damals sein „liebes Radiovolk“ und belustigte sich über das „schlechte Deutsch“, in dem die Mißbilligung abgefaßt worden war. Er genoß es sichtlich, wieder mit wichtigen Menschen auf der Bühne zu sitzen. Er war so konzentriert, so witzig, so schlagfertig wie zu seinen besten Zeiten. Zuweilen kicherte er auch wieder leicht irre, daß man melancholisch werden konnte. Ob er genügend Promis findet, mit denen er seine Talkrunden fortführen kann, scheint dennoch fraglich.
Das Publikum in Beeskow war über das Revival jedenfalls begeistert. Gysi und Krause bekriegten sich artig über die Art und Weise der sogenannten Vereinigung. Hanno Harnisch, der schwergewichtige Pressesprecher der PDS, rief ungefähr zwanzigmal „du Arsch“ resp. „du Arschgesicht“, wenn Günther Krause wieder eine „Ungeheuerlichkeit“ resp. „infame Lüge“ von sich gab. Der in seiner Unseriosität schon fast komisch wirkende Alt-Yuppie Günther Krause setzte sich irgendwann ans Klavier und spielte „Yesterday“. Gysi beeindruckte mit Variationen eines schönen Lächelns. Von der Stasi sprach niemand.
Draußen langweilten sich die Serviererinnen. Das nächste Mal wird „Bertram in Beeskow“ am 17. Juni in Bad Sarow Hof halten. Als Gäste sind Joachim Gauck, Markus Wolf und der Chef des brandenburgischen Verfassungsschutzes angedacht!
Er werde „den Behauptungen entgegentreten, daß Politiker nicht mehr mit mir reden“, erklärte Bertram nach der Veranstaltung zufrieden. Denn viele Politiker hätten in den letzten Monaten mit ihm geredet, bloß „leider nicht wahrnehmbar für die Öffentlichkeit“. Daß ein Privatsender ihm eine neue Talkshow angeboten habe, wollte er nicht bestätigen. „Sie Schlawiner!“
Fröhlich saßen dann alle – bis auf Krause – noch in der Pizzeria „Mein Steckenpferd“ und aßen Toast Hawai. Ein PDSler rauchte Zigarillos der Marke „Sprachlos“. Hanno Harnisch küßte Lutz Bertram auf die Glatze. Die Kleinstadtjugend verabschiedete die Genossen mit einem aufmunternden „Haut rein“. Auf der Autobahn fuhr ein Lieferwagen, auf dem früher mal „Leben wie in Italien“ gestanden hatte. Durch den Wegfall zweier Buchstaben hieß es nun: „Leben wi ein alien“.
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