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Späti-Krieg im PrenzlbergDie Sonntagsfrage

Ein Anwohner hat mehr als 40 Spätkäufe in Prenzlauer Berg wegen Verstößen gegen das Ladenöffnungsgesetz angezeigt.

Auch er wurde angezeigt: Matthias Liebe in seinem "Kollwitz 66". Bild: dpa

Obwohl die Raviolidosen und Eier vor ihnen in den Regalen liegen, müssen sich die Kunden des Spätkaufs Kollwitz 66 in Prenzlauer Berg diese Produkte am Sonntagnachmittag anderswo besorgen. Ein Zettel versucht das zu erklären: „Sonntags nach 16 Uhr kann bei uns Reisebedarf gekauft werden. Da Konserven, Kaffee und Eier nicht sofort verzehrt werden können, dürfen wir Ihnen diese Produkte leider nicht verkaufen“, ist darauf zu lesen.

Hintergrund ist die Anzeige eines Anwohners. Wegen Verstößen gegen das Ladenöffnungsgesetz an Sonntagen beschwerte er sich beim Ordnungsamt über mehr als 40 Läden. Seitdem machen manche Späti-Betreiber sonntags gar nicht auf. Andere decken ab 16 Uhr einen Teil ihres Sortiments mit Tüchern ab.

Offiziell dürfen die Kioske sonntags bis 16 Uhr nur bestimmte Produkte wie Brötchen, Zeitschriften und Milch verkaufen. Wer eine Genehmigung zum Verkauf von sogenanntem Reisebedarf hat, kann außerdem bis 20 Uhr Postkarten, Stadtpläne und Lebensmittel zum sofortigen Verzehr anbieten.

Die meisten Spätis verkauften bislang, was der Kunde aus dem Regal nahm – bis der in einer Boulevardzeitung als „Spätkaufhasser“ betitelte Anwohner seine Liste beim Bezirksamt einreichte. Seine Ruhe bekam er nach der Anzeige jedoch erst recht nicht: Matthias Liebe vom Kollwitz 66 veröffentlichte sowohl das Foto als auch die Telefonnummer des Mannes auf einem Zettel im Schaufenster, woraufhin wütende Kunden ihrem Ärger mit nächtlichen Anrufen Luft machten. Den Aushang in seinem Laden hat Matthias Liebe mittlerweile abgenommen – damit die Situation im Kiez nicht weiter eskaliert.

Die Folgen der Anzeige bekommen die Spätis nun zu spüren: „Wenn wir Hinweise bekommen, müssen wir ihnen nachgehen“, sagt Torsten Kühne (CDU), der als Stadtrat für das Ordnungsamt Pankow zuständig ist. Bei Kontrollen am vergangenen Sonntag ermittelten die Beamten 24 Verstöße gegen das Ladenöffnungsgesetz bei Spätis in Prenzlauer Berg und verhängten Bußgelder ab 150 Euro.

Die Kioskbetreiber fürchten um ihr Geschäft. „Der Sonntag ist unser umsatzstärkster Tag. Wir brauchen ihn, um unsere Existenz zu sichern“, sagt Matthias Liebe. Auch die Kunden setzen weiterhin auf die kleinen Lädchen: Anwohnerin Melina Lehrean ist sich sicher, dass sie etwa an den Osterfeiertagen in einem Späti einkaufen wird. „Sonst hat ja nichts geöffnet. Da ist es toll, wenn man auch abends noch Nudeln oder etwas zu trinken kaufen kann. Hoffentlich ändert sich das nicht“, sagt die 20-Jährige.

Resat Aydin vom Spätkauf Rosa an der Danziger Straße findet die Gesetze verwirrend. „Ich weiß einfach nicht, wann ich was verkaufen darf.“ Die Unklarheit kostet ihn viel Geld: Schon sechs Mal musste er Bußgelder zahlen, beim letzten Mal waren es 1.780 Euro. „Der Mann, der die Unruhe ausgelöst hat, soll mir Taschengeld fürs Wochenende geben, weil ich sonntags weniger verkaufe“, empört er sich.

Ebru Uzunkaya vom Danziger Spätkauf entscheidet im Einzelfall, welches Produkt sie zu welcher Zeit verkauft. Doch auch dadurch sieht sie ihren Umsatz bedroht. „Wenn ich Kunden den Kauf einzelner Produkte verbieten muss, kaufen sie hinterher gar nichts mehr“, fürchtet sie. Sie findet es ungerecht, dass die Läden in Prenzlauer Berg so im Fokus stehen. Ihr Bruder betreibt einen Spätkauf in Friedrichshain. Dort werde viel seltener kontrolliert, sagt sie.

Viele der Ladenbesitzer aus Prenzlauer Berg haben sich zusammengetan und Rechtsanwältin Sandra Heuser beauftragt, ihre Gewerbeanmeldung zu prüfen und sie zu beraten. „Die Späti-Betreiber brauchen eine Gleichstellung mit Tankstellen, die sonntags rund um die Uhr Lebensmittel und anderes verkaufen können“, sagt Heuser. Auch Stadtrat Kühne befürwortet eine leichte Lockerung des Ladenöffnungsgesetzes – „damit die praktizierte Kiezkultur auch rechtssicher wird“, so der CDU-Politiker.

Zuständig für eine solche Gesetzesänderung ist die Senatsverwaltung für Arbeit. Dort macht man den Betreibern wenig Hoffnung: „Es ist keine Novellierung vorgesehen, weil die Sonn- und Feiertagsruhe Vorrang hat“, sagt ein Sprecher von Arbeitssenatorin Dilek Kolat.

Für die Späti-Besitzer aus Prenzlauer Berg ist das letzte Wort jedoch noch nicht gesprochen: Sie wollen nun einen Verein gründen, um sich politisch eine Stimme zu geben. Für Ostermontag haben sie ein Treffen einberufen – statt zu arbeiten, treffen sie sich am Kollwitzplatz, um zu besprechen, wie es weitergeht. Aber da Feiertag ist, dürften sie sowieso nur wenig verkaufen.

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15 Kommentare

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  • S
    STEFAN

    Späti-Verkaufer stehen sonntags oft selber hinter dem Verkaufstresen !

    Was ist ein Späti ?

    Kaisers mit seinen Öffnungszeiten bis 24 Uhr oder sogar rund um die Uhr ???

    Oder das Zeitungs-und Tabakwarenfachgeschäft mit Zusatzsortiment von Matthias Liebe ?

    Warum unterstützen durch die Gesetzeslage Politiker

    noch weiterhin die Abzocker-tANKSTELLEN

    und treiben sonntags die Leute dorthin

    Ostern mit 2 Millionen Touristen in der Stadt,

    und alles muß zuhaben !?!

    Weltdorf - Berlin

  • S
    Sebastien

    Erweiterung des Ladenöffnungsgesetzes wäre auch sinnlos, weil die Menschen in der Stadt dann an gar keinem Tag mehr etwas zur Ruhe kommen können. Zudem sind die bereits heute bestehenden massenhaften Spätis eine Fehlentwicklung, die eh keiner nutzt außer verpeilte alkoholsüchtige Partytouristen. Zudem verbrauchen sie nur unnütz Energie und sind folglich komplett unökologisch.

  • R
    Roff

    Da kriegt man doch das kalte K..zen. Ich selber brauche zwar nur selten den Späti, aber er gehört zu einem lebendigen Kiez einfach dazu. Dann sollten doch lieber die Tankstellenshops eingeschränkt werden. Oh Berlin - ick liebe dir - ick weeß ja, du bist daran nich schuld.

  • S
    Samuel

    Zu damit am Sonntag, gibt zumeist eh nur minderwertige Industrie- und keine Bioprodukte. Da ist es besser, Menschen nehmen sowas nicht zu sich, Gesundheitsschutz :-). Man bekommt es ja wohl eh noch hin, am Samstag für zwei Tage einzukaufen, oder wer ist so verpeilt, dass das nicht klappt? Ausserdem Rechtsschutz für jedes Geschäft gibt es nicht. Wer mit seinem Geschäft in der anerkannten Rechtsordnung nicht existieren kann, muss etwas anderes machen. Wenigstens am Sonntag ist die Stadt noch etwas ruhiger. Lässt man Hinz und Kunz auch da noch öffnen und einkaufen, wird es auch am Sonntag unerträglich. Und wers einfach nicht hinbekommt, sich vorher seine Siebensachen zu kaufen, der kann am Sonntag auch mal fasten und den fetten Wohlstandskörper entschlacken.

  • A
    abby_thur

    Wenn an dem Tag wo man fast nichts verkaufen darf, der meiste Umsatz ist,indem man das Gesetz "verletzt", dann hat dieses Geschäft eben keine Daseinsberechtigung.

     

    Ich sehe das Problem nicht...?

  • B
    Bolle

    @Lena1987:

     

    Aus Freiburg vor 2 Jahren hergezogen?????

  • DM
    @Dr. Motte

    Lieber Dr. Motte, das ist alles eine Frage des Respekts. Natürlich müssen sich auch Moslems und jüdische Mitbürger in diesem Land an die hier geltenden Gesetze und Sitten halten, auch wenn sie vielleicht christlich geprägt sind (z.B. Sonntag = Ruhetag). Du würdest ja wahrscheinlich ebenfalls den nötigen Respekt aufbringen und im Iran nicht mit ner Flasche Bier in der Hand in eine Moschee latschen, oder?

  • L
    @Lena1987

    Weniger leere Phrasen (Prekariat, Verwertungsprozess blabla) und mehr nachdenken, Lena. Die Späti-Inhaber - oftmals Menschen mit Migrationshintergrund - beuten das Prekariat aus, in dem sie es in Ihren Läden zu Niedriglöhnen auch an Sonn- und Feiertagen schuften lassen - nix mit Wochenendzuschlag oder Ähnliches.

    "Wo gibt es das sonst in Deutschland??"

    Gute Frage. Zum Glück an kaum einem anderen Ort und das ist auch gut so. Wo kämen wir auch hin, wenn überall Ladenbesitzer auf dem Rücken ihrer prekär Beschäftigten und gegen geltende Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer im maximal möglichen Umfang am kapitalistischen Verwertungsprozess teilnehmen, um den Profit zu maximieren.

  • H
    Holger

    Das ist doch wieder typisch für Prenzlberg: zuerst kauft man einen billigen Wohnung im Klubviertel und danach klägt man die Klubs zu, damit die Wohnung schon schön im Wert steigt. Und jetzt die Sonntagsläden. Danach folgen bestimmt die Kitas. Oh, und die Tankstellen auch danach. Vielleicht die störende Trödelmärkte noch weg. Und die Parks, die nerven und stinken auch, das macht die ganze Gegend nur schlecht. Weg damit.

  • M
    Matthias

    Ich bin fassungslos, daß sich hier ein paar Leute einen Wettbewerbsvorteil durch klaren Rechtsbruch verschaffen und hinterher noch die Dreistigkeit besitzen, sich darüber zu beschweren, wenn dagegen eingeschritten wird.

     

    Ich hoffe doch sehr, daß Deutschland nach wie vor ein Rechtsstaat ist, in dem Gesetzte gelten und deren Einhaltung auch kontrolliert wird. Und vor Allem: In dem Gesetzte für alle gleich gelten.

     

    Ohne Frage kann, darf und soll man Gesetze hinterfragen. Gesetze können selbstverständlich auch geändert oder gar ganz abgeschafft werden. Aber für diesen Prozess gibt es klare Regeln, das geschieht nicht in Eigeninitiative.

     

    Wem das zuviel ist und wer Lust auf Anarchie und rechtsfreie Räume hat, dem stehen weltweit zahlreiche Möglichkeiten dazu offen - angefangen vom Irak oder Afghanistan über Somalia bis hin zu fast allen mittelamerikanischen Staaten. An sog. "Failed States" besteht nun wahrlich kein Mangel. Das damit verbundene Lebensrisiko möchte man dann aber doch bitte auch mittragen!

     

    Diesen Artikel über die "Spätis" kann man ebenso über jeden Drogenhändler schreiben - auch dem wird das Geschäft durch die Gesetze vermasselt.

  • L
    Lena1987

    Wir Prenzlberger sollten zusammenhalten! gegen die Ausbeutung des Prekariats! Natürlich sollen die Ladenbesitzer autonom entscheiden können, wann und in welchem Umfang sie am kapitalistischen Verwertungsprozess teilnehmen!!!

     

    Prenzlauer Berg und ganz Berlin muss als antikapitalistische Oase erhalten bleiben! Wo gibt es das sonst in Deutschland??

     

    Und dieser Typ, der die Späti-Inhaber - oftmals Menschen mit Migrätionshintergrund - angezeigt hat....wegen solcher Spiesser bin ich aus Freiburg weggezogen.

  • DM
    Dr. Motte

    Das Ladenschlußgesetz ist eine Behinderung des freien unternehmertums. Außerdem ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Moslems und und Jüdische Mitbürger müssen an ihrem ganz normalen Arbeitstag, der bei uns der Sonntag ist und der Sabbat bei ihnen der Freitag bei uns, ihren Laden geschlossen halten. Warum gibt es darüber keinen bindenden Volksentscheid? Der ist in der Berliner Verfassung nicht enthalten. Es braucht also eine außerparlamentarische Koalition für die Ersatzlose Abschaffung des Ladenschlußgesetzes. Alle Gewerbetreibenden und Menschen und Berlinbesucher würden diese Initiative unterstützen. Das wäre auch sexy Herr Wowereit ;-)

  • HH
    Herr Holle

    Ich kann nur vor einem allzu lauten Rütteln am Sonntagsverkaufsverbot warnen. Wenn die Spätis das jetzt durchziehen (und eine Speziallösung für sich rausziehen), möchte ich das Verwaltungsgericht sehen, das den Supermärkten den Sonntag nicht gleichfalls zuerkennt (oder die jetzige feinziselierte Ausnahme wiederherstellt). Und dann macht kein Späti am Sonntag mehr Umsatz, in ganz Berlin nicht. Die Konsequenz heißt: Entweder alle haben offen oder man lebt mit der aktuellen Situation und verkauft das Ei am Sonntag nur an Stammgäste.

  • T
    tageslicht

    Wieviel Langeweile kann man haben? Ich glaub ich statte Kollwitz66 mal einen Besuch ab, und frage nach der Telefonnummer von dem Typen. Soviel Langeweile habe ich auch.

  • SS
    stefan seither

    Der Mann sollte doch lieber Falschparker anzeigen.