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Späte Ehrung für Hedy LamarrDie schönste Frau der Welt

Sie emigrierte als Jüdin in die USA und wurde ein Filmstar. Für die Alliierten entwickelte Hedy Lamarr eine Funksteuerung. Nun wird ihrer in Wien gedacht.

Hedy Lamarr in der Doku „Calling Hedy Lamarr“ von 2007. Bild: dpa

Hedy Lamarr: Wiener Tochter aus gutem Hause, politisch bewusste Emigrantin, Schönheitsideal im Hollywood der 40er Jahre und bahnbrechende Erfinderin für die Grundlagen von GPS und Mobilfunk, wäre am Sonntag 100 Jahre alt geworden. Am Freitag fand die jahrelange Posse um Hedy Lamarrs Asche ein gutes Ende mit der Beisetzung ihrer Urne in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Zu guter Letzt, aber eben keinen Moment früher, wollte Hedy Lamarr doch noch zurück nach Wien. Hier wurde sie am 9. November 1914 als Hedwig Kiesler geboren. Von hier floh die „schönste Frau der Welt“, wie Theaterlegende Max Reinhardt sie nannte, 1937 nach London. Ihr Ehemann, der Rüstungsindustrielle Fritz Mandl, hatte sie in luxuriöser Gefangenschaft gehalten. Seine Geschäfte mit Mussolini, dem österreichischen Ständestaat und auch mit Hitlerdeutschland waren ihr zwar zuwider. Dennoch erlernte sie durch Mandl technisches Wissen, das sie später nutzen sollte.

In Europa hinterließ sie ein paar kleine Rollen in Film und Theater. Gustav Machat drehte 1933 mit ihr „Ekstase“, einen harmlosen Film, der vorsichtig Partei ergreift für die sexuelle Emanzipation der Frau. Den Sittenwächtern war das wie ihre Nacktheit ein Dorn im Auge. In den Verbotsdebatten sah sich Hedwig Kiesler als eine Art wandelnder Herrenwitz missbraucht.

„Ekstase“ war keine Empfehlung für das prüde Amerika, doch dann nahm sie MGM unter Vertrag und gab ihr einen neuen Namen. Mit „Algier“ (1938) waren ihr Gesicht und ihr Name endlich ganz vorne auf Plakaten und Illustrierten. Das sollte über ein Jahrzehnt so bleiben.

Für ihren Beruf hatte Hedy durchaus Spott übrig. Glamour sei ganz einfach, frau müsse nur stillstehen und dumm schauen. Dennoch hat sie das Bild, das das Kino von Frauen machte, verändert. Nach all den Kindfrauen und üppigen Blondinen versprüht ihre unterkühlte brünette Schönheit eine Vorahnung auf autonomere weibliche Lebensentwürfe. Auf Jahre hin wollten Starlets so sein wie Hedy.

Nach ihrem Tod im Jahr 2000 streuten ihre Kinder die Asche auf einem Flurstück am nördlichen Stadtrand von Wien aus. Ihr Sohn Anthony hielt allerdings einen Teil zurück, Hedy sollte doch noch eine Grabstätte haben und endlich gebührend geehrt werden in der Stadt ihrer Herkunft.

Erfinderin der Frequenzsprungtechnik

2006 schien es so weit zu sein mit dem Ehrengrab. Die Fortschritte in der Mobilfunktechnik hatten Ende der 1990er Jahre noch eine ganz andere Hedy ins Zentrum gerückt. Sie war 1942 neben dem Komponisten George Antheil die Erfinderin der Frequenzsprungtechnik, eines Verfahrens zur Verschlüsselung des Funkverkehrs. Gedacht war es zur besseren Funkfernsteuerung für Torpedos im Seekrieg gegen Nazideutschland.

Diese Arbeit war für sie die Gelegenheit, etwas direkt Wirksames zum Kampf gegen Hitlers Reich beizutragen. Mit ihrer Bekanntheit für US-Kriegsanleihen zu werben war ihr nicht genug. Zu ihrer großen Enttäuschung griff die US Navy ihr Patent nicht auf und arbeitete erst zu Zeiten der Kubakrise mit dieser Technik weiter.

Heute dagegen können wir kaum noch telefonieren ohne die Gedankenleistung der „schönsten Frau der Welt“. Lange nach Ablauf des Patentschutzes dient die Frequenzsprungtechnik als Grundlage jeder Form von mobiler Kommunikation, GPS, Mobilfunk, Bluetooth, WLAN. Mit einem Mal gab es Hedy-Lamarr-Preise, Hedy-Lamarr-Lectures. Sie war zu einem bildungspolitischen Rollenmodell geworden zur Eroberung von Technik und Naturwissenschaften durch künftige Generationen von Schülerinnen und Studentinnen.

taz.am wochenende

Vor 25 Jahren fiel die Mauer, alsbald verschwand auch die DDR. Spurlos? taz-Reporter erkunden, was geblieben ist – in den Biografien der Menschen, in Tagebüchern von damals und in Potsdam, einer bis heute geteilten Stadt. taz.am wochenende vom 8./9. November 2014. Außerdem: Hedy Lamarr war der Protoyp der unterkühlten Hollywoodschauspielerin. Dass wir ohne sie nicht mobil telefonieren könnten, weiß kaum jemand. Und: Pulitzer-Preisträger David Maraniss über Barack Obama. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Betriebsunfall der Bürokratie

Dass aus dem ersehnten Grabmal zunächst nichts wurde, war ein Betriebsunfall der österreichischen Bürokratie. Beim Ehrengrab übernimmt die Gemeinde, so ließ der Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny damals verlautbaren, die Pflege und den Schmuck des Grabes, nicht aber dessen Errichtung. Rechtzeitig zum Hundertsten ist nun das Österreichischen Filminstitut bei der Rechnung für den Grabstein eingesprungen.

Hedy Lamarr hat jetzt endlich „die schöne Leich’“, die glanzvolle Beerdigung, die dem Satiriker Karl Kraus als „Entschädigung“ für das „österreichische Leben“ galt. Als er dies zwei Jahre vor Hedys Geburt schrieb, konnte er noch nicht ahnen, das jenes österreichische Leben für österreichische Juden wie Hedy Lamarr nach 1945 Verleugnung mit einschloss, nachdem sie schon 1938 vertrieben worden waren, unabhängig davon, wie sie zu jüdischen Traditionen standen.

Hedwig Kiesler, Tochter eines Bankiers und einer Pianistin, wuchs im liberalen Klima großbürgerlicher Assimilation auf. Die Welt schien offenzustehen – für Männer und Frauen. Und vor allem sollte die Sache mit der Assimilation endlich klappen: Wenn man nicht zu viel darauf gab, Jude zu sein, würde die Umgebung dies irgendwann auch nicht mehr tun. Dieser Wiener Traum bürgerlicher Emanzipation war von den gellenden Jubelschreien auf dem Heldenplatz unwiederbringlich zerstört.

Aber Hedy nahm aus dem Emanzipationsversprechen ihrer Jugend ein Selbstbewusstsein als Frau mit, das Hollywood zunächst faszinierte, später verstörte. Gegen zu viel weibliches Selbstbewusstsein hatte Hollywood seinerzeit drei Mittel: Pillen, Therapeuten und Schönheitsoperation. Alle drei wurden Hedy Lamarr später reichlich zuteil. Entstellt durch Gesichtschirurgie, verarmt durch ruinöse Gerichtsprozesse, geriet sie wiederholt als Ladendiebin in die Schlagzeilen. Sie hatte das diffuse Gefühl, dass ihr die Welt etwas genommen und wiederzugeben habe.

Nach langen Jahren des Vergessens hat sie ihren späten Ruhm als Erfinderin doch noch mitbekommen – wenigstens das war gerecht.

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