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Sozialwissenschaftler Hafke über Fussballfans„Ich fände die Ultras spannend“

Auch in Bremen gibt es immer mehr „Ultras“ unter den Fans, darunter vermehrt Frauen. Die Zahl der rechten Hooligans ist dagegen konstant geblieben

"Bei den links orientierten Ultras gibt es viele Frauen, die sich gegen Sexismus engagieren", sagt Sozialwissenschaftler Hafke. Bild: dpa
Interview von Jan Zier

taz: In Bremen, sagen Polizei und Senat, gibt es immer mehr „Ultras“ unter der Fußballfans. Warum, Herr Hafke?

Thomas Hafke: Die Zahl der Ultras hat in den letzten Jahren bundesweit stark zugenommen. Bremen bildet da keine Ausnahme. Das liegt zum einen an der Attraktivität dieser Jugendbewegung und zum anderen an den Medien. Es vergeht im Prinzip nicht ein Tag, an dem nicht über die Ultras berichtet wird.

... aber da werden doch oft jene Fans, die für Choreografien in den Kurven sorgen und gewaltorientierte Hooligans in einen Topf geworfen, oder?

Nicht mehr so stark wie früher. Und auch die Ultras selbst verfügen über eigene Medien. Sie bringen das Lebensgefühl vieler Jugendlicher zum Ausdruck, zum Beispiel, indem sie die Kommerzialisierung und die Verregelung aller Lebensbereiche kritisieren. Es geht hier ja nicht nur um Fußball und ausdrucksstarken Support – auch Musik oder Graffiti spielen eine Rolle. Es gab da früher nichts Vergleichbares in der Jugendkultur.

Zudem muss man bedenken, dass der Fußball insgesamt attraktiver geworden ist und sich immer mehr Menschen für diesen Sport interessieren. Wenn ich heute jung wäre, fände ich die Ultras auch spannend.

Senat und Polizei gehen in Bremen von acht Ultra-Gruppierungen mit etwa 410 AnhängerInnen aus. Ist das realistisch?

Im Interview: Thomas Hafke

50, Sozialwissenschaftler, arbeitet seit 1988 beim Fan-Projekt Bremen e. V.

Ja.

In dem Bericht sind aber auch „Bremen Asozial United“ oder „Bremen Ost“ als Ultras aufgeführt. Zu Recht?

Es ist fraglich, ob sie dazugehören. Sie beteiligen sich nicht wirklich an dem, was die Ultras machen. Ich würde sie zwischen ihnen und Hooligans ansiedeln.

Gibt es Solidarisierungen zwischen den Ultras und den gewaltorientierten Hooligans?

An einigen Standorten gibt es da Überschneidungen zwischen beiden Gruppen, aber in Bremen ist das strikter getrennt.

Nur die beiden linken Ultra-Gruppen haben überhaupt Frauen, sagen Polizei und Senat. Stimmt das?

Nein. In den meisten relevanten Ultra-Gruppen gibt es heute Frauen. Bei den Hooligans nicht. Allerdings gibt es bei den links orientierten Ultras viele Frauen – schließlich engagieren sie sich gegen Sexismus und Diskriminierung.

Der Bericht geht von etwa 15 bis 20 weiblichen Ultras aus.

Ich würde sagen, es sind insgesamt eher doppelt so viele.

Daneben gibt es drei Hooligan-Gruppen mit etwa 85 Leuten, Standarte Bremen, Nordsturm Brema und City Warriors. Deren Zahl bleibt konstant, so der Senat. Und es gibt die rechten Farge Ultras, die vor allem den TSV Farge-Rekum begleiten.

Von dieser Größenordnung gehe ich auch aus. Zu den Hooligans der Standarte haben wir aber schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Hier haben wir es mit rechten Gruppierungen zu tun.

Bei der Standarte gelten Sie ja eh als „Antifa-Wichtigtuer“.

Ja. Diese Leute dort sind jenseits der 40. Wir machen aber Jugendarbeit. Zudem waren sie 2007 am Überfall auf linke Werder-Fans beteiligt. Einige Mitglieder sind offene Nazis oder Kader. Außerdem gehen sie kaum noch zu Spielen von Werder und meiden den Ostkurven-Saal.

Das ist ja von uns und Werder auch so gewollt. Allerdings sind sie nach wie vor an den Rändern aktiv und versuchen, jugendliche Fans zu gewinnen. Ob sie damit Erfolg haben, kann ich schwer einschätzen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Jugendlichen erreichen die gerade auf der Suche nach politischer Orientierung sind und Gefahr laufen, in diese Gruppen geraten.

In der letzten Saison ist die Zahl der Straftaten bei Fußballspielen laut Statistik stark gestiegen, verglichen mit den Vorjahren. Woran liegt das?

Zum einen gehen immer mehr Menschen zum Fußball, damit steigt automatisch auch die Möglichkeit von Straftaten an, zum anderen liegt das an der weiter zunehmenden Präsenz der Polizei, die dann auch mehr Anzeigen schreibt. Damit ist aber nicht gesagt, dass damit die Gewalt wirklich ansteigt. Sicherlich führt ein massives Auftreten der Polizei auch zu Stress unter Fans und trägt somit zu Fehlverhalten bei. Aber auch die Medien sind daran nicht ganz unschuldig, berichten sie doch ständig über Gewalt beim Fußball und ziehen damit eben vermehrt Personen an, die genau das suchen.

Demnächst steht das 100. Nordderby gegen den HSV an. Welche Erwartungen haben Sie da?

Zu einer Self Fulfilling Prophecy tragen wir ganz bestimmt nicht bei und wir sind auch keine Hellseher. Festzustellen ist aber, dass die Auseinandersetzungen zwischen Bremen und Hamburgern in letzter Zeit nachgelassen haben. Wollen wir hoffen, dass das so bleibt. Aber im Abstiegskampf geht es diesmal für beide Vereine natürlich um viel. Wir tun jedenfalls alles, damit das Derby möglichst gewaltfrei verläuft.

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4 Kommentare

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  • A
    Andrea

    Wieso wird nicht mehr über die Gewalt der Ultras geschrieben? Was tut das Fanprojekt Bremen dagegen? Warum beteiligen sich Fanprojekt Mitarbeiter an dieser Gewalt? Solche Fragen + Antworten wären sehr interessant gewesen für den Leser der TAZ, vielleicht beim nächsten Mal. So kommt es rüber, als hätte sich der Herr Sozialwissenschaftler die Fragen selber ausgedacht. Und es gibt Überschneidungen zwischen eher "linker" Ultras und den Hooligans in Bremen. Jeder weiß es, keiner möchte drüber reden. Vielleicht auch dort einmal Leute aus der Szene zu Wort kommen lassen. Danke

    • @Andrea:

      Warum denn so sarkatisch "der Herr Sozialwissenschaftler"? Ich glaube nicht, dass Thomas Hafke es sich zu leicht macht, er versucht nur differenziert zu sein. Nicht leicht, angesichts der Fluktuation zwischen den Gruppen, die es auch gibt. Eine gute Idee aber, die Szene mal selbst zu Wort kommen zu lassen.

      • A
        Andrea
        @Thomas Gatter:

        Hallo @Thomas Gatter, leider erzählen mir immer wieder junge Fans aus der Ostkurve, dass sie diese Meinung von Herrn Thomas Hafke nicht teilen und er sich mit solchen Interviews keine Pluspunkte einfährt.

         

        @taz: Wie wäre es denn mit einem Interview mit Fans direkt aus der Szene?

         

        Denn meine o.g. Fragen wurden mit diesem Artikel nicht beantwortet.

         

        Das Hooligans generell wenig mit dem Stadion zu tun haben, ist doch bekannt.

        • Jan Zier , Autor des Artikels,
          @Andrea:

          Aus Sicht der taz spricht nichts gegen so ein Interview mit Fans direkt aus der Szene. Über entsprechende Kontakte zu AnsprechpartnerInnen würde ich mich sehr freuen.

           

          Jan Zier, taz