Sozialprotest in Frankreich: Blockadeaktionen verschärft
Die Regierung schließt den Einsatz von Soldaten nicht aus, um gegen Protestierende vorzugehen. Einige Beschäftigte sollten als Streikbrecher zwangsverpflichtet werden.
PARIS taz | Offiziell herrscht kein Benzinmangel in Frankreich. Wer aber in der Umgebung von Paris und in anderen Regionen in diesen Tagen dringend sein Auto oder seinen Laster auftanken muss, sollte mit Warteschlangen vor der Zapfsäule oder sogar leer gepumpten Tankstellen rechnen. Laut des Berufsverbands sind wegen Nachschubproblemen bereits mehr als tausend Tankstellen geschlossen. Präsident Nicolas Sarkozy hielt deswegen mit Regierungsmitgliedern eine Krisensitzung ab, bei der ein Plan für eine Notfallversorgung in Kraft gesetzt wurde. Premier François Fillon erklärte: "Ich werde nicht zulassen, dass unser Land blockiert wird." Es ist nicht auszuschließen, dass die Regierung Armeeangehörige einsetzt.
Die Gewerkschaften haben ihre Streik- und Blockadeaktionen verschärft. Vor der durch Streik stillgelegten Total-Raffinerie "Les Grands Puits" bei Mormant südöstlich von Paris lassen die Gewerkschaftler keinen Tanklaster rein oder raus. Eine Ausnahme würden sie nur machen, falls der Treibstoff für ein Krankenhaus bestimmt wäre, sagen sie. Weil die Behörden "Streikbrecher" zwangsverpflichten wollten, sind sie noch entschlossener. Sie bildeten eine Kette, damit ihre Kollegen, die im Fall einer Weigerung bis zu fünf Jahre Haft riskieren, nicht an die Arbeit gehen konnten. Gestern waren auch viele Treibstofflager erneut blockiert.
In der Nacht zu Montag begannen auch die Gewerkschaften der Lastwagenfahrer und anderer Privatunternehmen mit punktuellen Sperren auf Autobahnen und an Verkehrsknoten. Im Fernsehen riefen Gewerkschaftler die Lohnabhängigen aller Bereiche auf, sich an den Widerstandsaktionen zu beteiligen. Auch die Behinderungen im öffentlichen Verkehr nahmen gestern wieder zu. Rund die Hälfte der Zugverbindungen fiel aus. Auf dem Flughafen Paris-Orly wird mit einem um 50 Prozent reduzierten Verkehr und in Paris-Roissy und diversen regionalen Flughäfen mit rund 30 Prozent Ausfällen gerechnet.
Vor mehr als 550 Schulen errichteten protestierende MittelschülerInnen Barrikaden und erreichten, dass kein Unterricht stattfinden konnte. Bei mehreren Demonstrationen von Jugendlichen setzte die Polizei Tränengas ein. In Nanterre, einem Vorort am westlichen Stadtrand von Paris, kam es zu Straßenschlachten zwischen Ordnungskräften und mehreren hundert SchülerInnen, unter die sich laut Polizei Gruppen von "Casseurs" (Randalierer) gemischt hätten.
Bei diesen Auseinandersetzungen wurden mindestens acht Autos verbrannt. Ähnliche Szenen spielten sich im nordfranzösischen Tourcoing ab. Für Dienstag sind zum sechstem Male seit Anfang September landesweite Streiks mit Kundgebungen angekündigt.
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