Sozialprojekte: Mit Links im Visier des V-Schutzes
Weil auf der Homepage des Trägervereins Verweise zu radikalen Seiten standen, ist ein Projekthaus gefährdet. Die Fördermittel wurden eingefroren.
Angelique Walter legt den Tonklumpen zur Seite und regt sich auf: "Die Vorwürfe sind Bullshit, und zwar megamäßig." Dann grinst die 33-Jährige mit den dichten schwarzen Locken und den Piercings und sagt: "Na gut, das war jetzt kein so toller Satz. Aber unsere Existenz steht auf dem Spiel." Angelique Walter sitzt in der Keramikwerkstatt des Projekthauses Potsdam-Babelsberg. Zum großzügigen Gelände gehören eine Villa und mehrere Werkstattgebäude. In einem davon bietet Walter vier Mal pro Woche offene Keramikkurse für Erwachsene und Kinder an. Gefördert werden diese Kurse vom Bundesfamilienministerium im Rahmen des Mehrgenerationenhaus-Projekts. Ebenso Bastelnachmittage, Flüchtlingsarbeit, ein Brotbackofen und eine Geschichtswerkstatt - insgesamt zwölf sogenannte Module. 40.000 Euro gibt das Ministerium jährlich. Auch das Deutsch-Französische Jugendwerk fördert hier Seminare.
Zurzeit aber hat das Familienministerium die Mittel eingefroren, die Förderung ausgesetzt. Denn im Dezember geriet der Trägerverein Inwole (Verein zur Förderung innovativer Wohn- und Lebensformen) wegen einiger Links auf seiner Internetseite ins Visier des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Plötzlich standen das Projekthaus und seine Zuwendungsgeber unter dem Verdacht "linksextremistischer Bündnispolitik", so der Verfassungsschutz. Auf der Homepage standen ein Link zum autonomen Bündnis "Never trust a cop" sowie ein Plakat mit einem Straßenschlacht-Motiv und der Zeile: "Den UN-Klimagipfel stürmen".
Der CDU-Innenpolitiker Sven Petke fuhr daraufhin scharfes Geschütz auf: "Es ist untragbar, dass der Staat seine Gegner mit Fördergeld unterstützt", eine Lokalzeitung titelte: "Aufrufe zur Gewalt - gefördert von Bund und EU". Das Familienministerium schickte Prüfer, die plötzlich sehr genau danach fragten, wer denn welche Module anbietet, Biografien der Projektleiter anforderten und besonders die Arbeit mit Migranten unter die Lupe nahmen: Wichtig war auf einmal, aus welchen Ländern die Teilnehmer kamen, welchen Hintergrund sie hatten. Wurde neben dem Linksextremismus- nun auch ein Islamismus-Verdacht abgeprüft? Die Projekthaus-Macher jedenfalls sind alarmiert.
"Die Links stammen nicht vom Verein Inwole, sondern von der Initiativgruppe Potsdam", sagt Inwole-Geschäftsführer Christian Theuerl. "Der Verein hat nie zur Gewalt aufgerufen, und auch die Initiativgruppe halten wir für unproblematisch." Sofort nach der Kritik des Verfassungsschutzes wurden die Links von der Seite genommen. "Dem Anliegen des Verfassungsschutzes ist damit entsprochen", teilt die Behörde jetzt mit und schreibt auf ihrer Homepage, der Inwole-Verein sei "zur Zeit kein Beobachtungsgegenstand".
Das Familienministerium aber prüft weiter. Die Fördermittel bleiben bis zur Klärung der Vorwürfe eingefroren. An diesem Mittwoch haben Christian Theuerl, Angelique Wolter und andere Vereinsmitglieder einen Termin beim zuständigen Referatsleiter. Sie kämpfen um ihr Geld. Wenn die Mittel gestrichen werden, würde das den Verein rund 40 Prozent seiner jährlichen Projektmittel kosten und seine Existenz bedrohen.
Für Menschen wie den 33-jährigen Christian Theuerl wäre es das Ende eines Traums vom selbstbestimmten alternativen Leben, vom sozialen Mikrokosmos. Seit der Schulzeit in Angermünde (Uckermark) arbeitet er an diesem Traum. "In Angermünde ging das nicht, dort gehen nach der Schule alle weg. Also haben wir uns Richtung Potsdam orientiert." Nach jahrelanger Haussuche kaufte der Verein 2005 die frühere Fabrikantenvilla nahe dem S-Bahnhof Griebnitzsee. 17 Menschen leben zurzeit hier: Die Villa mit Wohnungen im Obergeschoss und Seminarräumen im Parterre wurde in mühevoller Eigenarbeit saniert, ebenso die Werkstätten auf dem Hof. Platz bleibt noch genug, und wo heute eine alte Halle steht, soll einmal ein Passivhaus entstehen, das dann das echte Mehrgenerationenhaus darstellen soll. Vom tauenden Schnee überflossen sieht das Gelände groß und ungeordnet aus, doch besonders in der liebevoll renovierten Töpferwerkstatt fällt die Akribie auf, mit der die Inwole-Aktiven zur Sache gehen.
Was sich zurzeit um den Verein Inwole abspielt, kann man je nach Standpunkt und Erregungspotenzial als Provinzposse sehen oder als Lehrstück über das Verhältnis zwischen Staat und alternativen Projekten. Oder über die Frage, wo Distanz nötig wäre und wo Verantwortung und Haftung anfangen.
Wer Geld von einem Bundesministerium nimmt, muss Berichte schreiben, Rechenschaft ablegen, ist überprüfbar. Darüber haben sie im Verein lange diskutiert. Das Geld war stärker beziehungsweise die Vorstellung, was man damit macht. "Es geht darum, Steuermittel sinnvoll einzusetzen", sagt Christian Theuerl. "Es geht auch um Umverteilung", meint Angelique Walter. Doch es hat auch Folgen: "Wir müssen uns jetzt als Verein von Leuten und Inhalten distanzieren, von denen wir uns als Privatpersonen vielleicht nicht distanzieren wollen", sagt Angelique Walter. Christian Theuerl ergänzt: "Wer Alternativen entwickelt, ist Kritik ausgesetzt. Aber die Alternativen, um die es hier geht, richten sich nicht gegen die demokratische Grundordnung, das wäre absurd."
Es geht um Personen wie Holger Zschoge, der während des G-8-Gipfels in Heiligendamm Kopf der Potsdamer Protestierer war und von Anfang an im Projekthaus mitmischt. Zschoge ist radikal, da ja, sagt Christian Theuerl. "Aber im ursprünglichen Sinne, dass er den Dingen auf den Grund geht. Und man muss zwischen seiner Arbeit innerhalb und außerhalb des Vereins trennen."
Zschoge hält den Aufruhr für absurd: "Während wir hier über Verlinkungen reden, sterben Menschen in der Sahelzone, weil ihnen der Klimawandel die Lebensgrundlage nimmt." Aus der Draufsicht sieht vieles einfacher aus. Christian Theuerl wird heute im Ministerium anders reden. Und davon sprechen, dass man aufpassen werde, wer was auf der Internetseite publiziert.
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