■ „Sozialpolitische Revolution“ des US-Kongresses: Disziplinierungs- und Strafaktion
Die Roosevelts, Franklin und Eleanor, werden sich im Grabe umdrehen. Als handele es sich um die Ursache aller Plagen – vom Handelsdefizit bis zur Gewalt im Fernsehen – wirft der US-Kongreß sechzig Jahre Sozialpolitik auf den Müllhaufen der Geschichte.
Niemand soll im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Hunger leiden. Jeder Bedürftige hat einen Anspruch auf ein Mindestmaß an staatlicher Fürsorge – garantiert durch den Bund. Auf diesen beiden Grundsätzen basierte Roosevelts Politik der Armutsbekämpfung, die er im Rahmen seiner „New Deal“- Politik formte und die später unter Lyndon B. Johnsons „Krieg gegen die Armut“ erweitert wurde.
Was jetzt im Kongreß von ein paar hundert fast ausschließlich männlichen Abgeordneten verabschiedet worden ist, diese „sozialpolitische Revolution“, wen trifft sie am härtesten? Antwort: Frauen. Alleinerziehende Mütter bilden die große Mehrheit jener AmerikanerInnen, die auf die (noch) existierenden Sozialhilfeprogramme angewiesen sind. Die sind reformbedürftig, doch sie sind keineswegs so erfolglos, wie es Bob Dole und Konsorten gern darstellen. Für die Mehrheit dieser Frauen ist dieses ohnehin locker geknüpfte soziale Netz die letzte Rettung, um nach Ehescheidungen, der Flucht in Frauenhaus, Arbeitslosigkeit oder Drogenabhängigkeit nicht vollends abzustürzen. Die meisten von ihnen finden nach zwei, drei Jahren einen Job. Was sie wieder in die Sozialhilfe zurücktreibt, ist nicht die Aussicht auf 400 Dollar von Vater Staat im Monat, sondern der Teufelskreis einer Billiglohnwirtschaft, die ihnen weder Krankenversicherung noch Kinderbetreuung gewährt.
Seit Ronald Reagan diese Frauen pauschal als „Schmarotzerinnen“ und „welfare queens“ diffamiert hat, sind sie zum Mittelpunkt einer von Konservativen beherrschten Debatte geworden, in der Armut als logische Konsequenz moralischer Verlotterung betrachtet wird. Die „Reform“ des Sozialhilfewesens gerät folglich zu einer Straf- und Disziplinierungsaktion.
Vielleicht ist ja noch nicht alles verloren: Im Weißen Haus residiert schließlich eine First Lady, die unlängst den verknöcherten Herrschern in Bejing eine Lektion in Sachen Frauenrechte erteilte. Wird sie sich damit begnügen, dem eigenen Gatten im trauten Heim des Weißen Hauses den Angstschweiß des Opportunisten von der Stirn zu tupfen – oder wird sie ihm die Leviten lesen? Andrea Böhm
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