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Sozialmafia linkt das Parlament -betr.: "Neuer 100-Millionen Markt in Bremen" v. 23.12.94

Betr.: „Neuer 100-Millionen-Markt in Bremen“ v. 23.12.94

Verdienen wollen sie alle an der neu eingeführten Pflegeversicherung: die Stadtgemeinde, die die Sozialhilfe spart, die vielen Neugründungen, die zum großen Teil ohne Fachpersonal den Markt bedienen, die Gesundheitskonzerne von Heimstiftung bis AWO. Und weil die Pflege der Alten mehr denn je zum Markt wird, wird alles auch genauso schnöde wie eben in der Marktwirtschaft üblich abgewickelt.

Möglichst geringe lnvestitionen, möglichst preiswertes Personal, bloß kein Geld ausgeben – einnehmen ist die Devise.

Alle wissen, daß zur Betreuung der alten Menschen mehr und besser qualifiziertes Personal notwendig ist. Die Bürgerschaft, die ja immerhin die gesetzgebende Gewalt ist, hat auf der Basis einer Vierparteieninitiative, also einschließlich der in dieser Frage sehr rührigen CDU, beschlossen, in Bremen eine berufliche Erstausbildung für die Altenpflege einzuführen.

Der Senat, der ja nach langläufiger Meinung den Willen der Volksvertretung ausführendes Organ sein soll, betreibt auf Bundesebene ein Gesetzgebungsverfahren mit, das eine zukunftsgerichtete Berufsausbildung in diesem Bereich verhindert. Er stimmt im Bundesrat Gesetzen zu, die Berufsausbildungen in „weiblicher Besonderheit“ festschreiben: Altenpflege als von privaten, unter der Herrschaft der Träger stehenden Fachschulen betriebene Berufsausbildung zweiter und dritter Klasse ohne Aufstiegsmöglichkeiten, mit teilweise sehr kurzen Ausbildungszeiten, ohne wissenschaftliches Umfeld.

Trotz des ausdrücklichen Wunsches der Bürgerschaft – auch der SPD-Abgeordneten – alle Formen von Berufsausbildung für die Altenpflege zuzulassen, betreibt der nach wie vor bestehende sozialdemokratische Filz aus Gesundheitskonzernen, Sozialbehörde und Arbeits- und Frauenressort das genau gegenteilige Geschäft der Verhinderung der Einführung einer qualifizierten Berufsausbildung in diesem in vielerlei Hinsicht typischen Bereich weiblicher Berufsausübung.

Also ehrlich, liebe Abgeordnete, können Sie sich diese Umkehrung der Funktionen wirklich bieten lassen?

Helmut Zachau

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