piwik no script img

Sozialistischer Schwarzmarkt

Der ökonomischen Planwirtschaft wegen (und weil Bedürfnisse eben nicht geplant werden können) sind Menschen in sozialistischen Ländern auf den Schwarzmarkt angewiesen. Welche und wie viel Lebensmittel man in Kuba (dem letzten realsozialistischen Land) erhält, ist in der Libreta, dem staatlichen Rationierungsheft, vermerkt. Wer nicht hungern will, wendet sich an den Bodeguero, den Chef des staatlichen Lebensmittelgeschäftes, mit Hilfe eines speziellen Kommunikationskodes.

Die Frage „Gibt es ...?“ wird dort mit einem Klappen der Wimpern beantwortet. Der Bodeguero weiß, dass der Kunde mit einem bestimmten Blick um eine bestimmte Zeit nur Milch meinen kann. Der Bodeguero ist eine zentrale Figur auf dem Schwarzmarkt einer Cuadra, eines Stadtviertels. Gegen Cash erhält er höhere Lieferungen aus den staatlichen Almacénes, den übergeordneten Waren und Lebensmittellagern.

Der Bodeguero ist zugleich Psychologe. Er studiert genau, wer neu ins Viertel gezogen ist. Er fragt seine neuen Kunden, wo sie leben, wo sie arbeiten und woher sie kommen. Er verwickelt die Menschen in Gespräche, um ihre Persönlichkeit einschätzen zu können – das gewährleistet am besten ein reibungsloses Funktionieren des Schwarzmarktes.

Nahezu alle KubanerInnen sind auf diesen illegalen Markt angewiesen. Seit 1989 entwickelte sich dieser Handel zum eigentlichen Versorgungsträger der Bevölkerung. Die Libreta deckte 1998 nur etwa fünfzig Prozent des täglichen Kalorienbedarfs. Die Legalisierung des Dollar im Jahre 1993 – und damit die Einführung des dualen Währungssystems – hat zu einer monetären Spaltung der Gesellschaft geführt.

Der Durchschnittslohn eines Staatsangestellten liegt bei elf, der einer Kindergärtnerin oder eines Tabakdrehers bei sieben Dollar, von Ärzten als Spitzenverdienern bei 25 Dollar im Monat. Ein Kellner im Luxushotel verdient durch die Propina, das Trinkgeld, mühelos ein Vielfaches davon.

Die ökonomischen Verhältnisse sind völlig aus den Angeln geraten. Ärzte arbeiten nebenbei als Taxifahrer, Lehrer vermieten schwarz ein Zimmer, Ingenieure machen eine Cafeteria vor ihrer Wohnung auf.

Die Hälfte der Bevölkerung Kubas verfügt über Dollareinkünfte. Wer nicht legal an Devisen kommt, geht zu Formen illegaler Aktivität über. Man klaut etwas aus dem Staatsbetrieb, um es dann auf dem Schwarzmarkt verkaufen zu können. Das reicht von Zigarren, Guayaberas, den typisch kubanischen Hemden, und Bongos für den Schwarzmarkt mit den Touristen, bis hin zu Schinken, Wurst, Putzmitteln, Handtüchern, Schmuck oder Insektiziden. Der Job in den Staatsbetrieben dient oft nur dazu, die Beziehungsnetze zu Menschen und Waren aufrechtzuerhalten.

Kuba verzeichnet auf der Makroebene beträchtliche Erfolge. Nach einer wirtschaftlichen Erholung in den vergangenen fünf Jahren stieg das Bruttoinlandsprodukt (im Jahr 2000) um 5,6 Prozent.

Angesichts der angespannten Situation auf der mikroökonomischen Ebene bricht die gesellschaftliche Solidarität immer weiter auf. Beziehungen zu pflegen gehört zur Überlebensstrategie zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft. ANKE KAYSER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen