Sozialhilferecht : In welchen Fällen müssen Verwandte Heimkosten übernehmen?
Anwälte antworten auf Leserfragen
taz-Leserin Jana Schuster (Name geändert; d. Redaktion) hat ein Anliegen, welches das Sozialgesetzbuch XII („Sozialhilfe“) und das Unterhaltsrecht betrifft: Ihre 89-jährige Mutter kam im vorherigen Jahr ins Pflegeheim. Die Rente der Mutter, inklusive Pflegegeld, reicht nicht aus, um die entstehenden Kosten zu decken. Die Mutter hat alle Ersparnisse aufgebraucht. Es laufen monatlich rund 950 Euro Schulden auf. Frau Schuster ist ebenso wenig unterhaltsfähig wie einer ihrer beiden Brüder. Der Antrag ihres zweiten Bruders als Bevollmächtigter der Mutter auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten wurde vom Sozialhilfeträger mit der Begründung, es lägen bereite Mittel vor, abgelehnt. Die Geschwister sind zwischenzeitlich zerstritten. Frau Schuster fragt nun vor allem, ob der Sozialhilfeträger zunächst nicht die Heimkosten übernehmen müsse, solange die Höhe der Unterhaltsverpflichtungen der Kinder nicht mit Sicherheit geklärt sei. Außerdem möchte sie wissen, wer im Falle des Todes der Mutter die Bestattungskosten in welche Höhe übernehmen müsste.
Rechtsanwalt und Notar Ulrich Nowka, Kanzlei Nowka:
Frau Schusters Annahme, dass das Sozialamt die Heimkosten zunächst hätte übernehmen müssen, ist völlig richtig. Leider ist festzustellen, dass Sozialämter immer häufiger unter Hinweis auf „bereite Mittel“ rechtsmissbräuchlich berechtigte Ansprüche ablehnen. Im Sozialhilferecht gilt das Prinzip des Nachranges. Dies bedeutet, dass die Mutter sich zunächst selbst helfen muss (Selbsthilfegebot). Das heißt: zunächst das eigene Vermögen verbrauchen. Die Mutter hat ihre Ersparnisse bereits vollständig aufgebraucht. Das Sozialamt begründet seine Entscheidung damit, es bestünden Unterhaltsansprüche gegen die Kinder und diese müssten zunächst durchgesetzt werden. Dies widerspricht dem Gesetz („Sozialhilfe erhält nicht, wer […] Leistungen […] erhält.“ § 2 Abs. 1 SGB XII).
Es liegt aber eine akute Notlage vor: Die Schulden für das Heim wachsen monatlich an. Das Pflegeheim könnte den Vertrag kündigen. Es ist ungeklärt, ob durch Unterhaltszahlungen die Kosten für das Heim vollständig gedeckt werden können. Mit seiner Entscheidung verstößt das Sozialamt auch gegen den im Sozialrecht geltenden Grundsatz der familiengerechten Leistungen. Die Mutter wäre gezwungen, wegen des Unterhalts eine gerichtliche Auseinandersetzung mit den eigenen Kindern zu führen. Das ist ihr nicht zuzumuten. Es bestehen zudem erhebliche Zweifel, ob ihre Mutter überhaupt in der Lage wäre, ein derartiges Verfahren zu führen.
Der ablehnende Bescheid ist rechtswidrig.
Das Sozialverwaltungsverfahren sieht jedoch vor, dass rechtwidrige, nicht begünstigende Bescheide von der Behörde zurückgenommen werden können/müssen. Die Mutter muss also sofort einen Antrag auf Rücknahme des ablehnenden Bescheids stellen und gleichzeitig zusätzlich einen Neufeststellungsantrag stellen. Wenn das Pflegeheim wegen der ständig wachsenden Schulden eine Kündigung des Heimvertrags androht, ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen.
Das Sozialamt muss also zunächst zahlen. Die Unterhaltsansprüche gehen auf das Sozialamt über. Die Kinder haften anteilig nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
Die Bestattungskosten tragen die Erben.