Sozialhilfe: Jagd auf Eltern
■ Neuregelung durch Deputation: Zuerst zahlen Eltern, dann das Sozialamt
Ein paar Bremer Freidemokraten klatschen in die Hände und der Landesrechnungshof ist endlich zufrieden – nur die Bremer Grünen und die Arbeitsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen (agab) üben Kritik. Es geht um den jüngsten Beschluss der Sozialdeputation, wonach künftig geprüft wird, ob Eltern für den Unterhalt von volljährigen Kindern zahlen müssen – und nicht etwa das Bremer Sozialamt.
Mit dieser neuen Richtlinie hat Bremen sich verabschiedet von seiner über zehnjährigen liberaleren Praxis, wonach Eltern – zum Ärger des Bremer Rechnungshofs – für volljährigen Nachwuchs nicht aufkommen mussten. Diese liberale Regelung gilt nun nur noch für behinderte Nachkommen, für deren Unterhalt weiter staatlich gesorgt wird. Ebenso sollen Eltern dann nicht zur Kasse gebeten werden, wenn die Prüfung der Vermögensverhältnisse „übertriebenen Verwaltungsaufwand“ zur Folge hätte – wenn also die erwarteten Einnahmen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand stehen.
Der Deputationsbeschluss betont zudem, dass erwachsene Kinder nicht für den Unterhalt von Eltern aufkommen sollen, wenn diese in einem Heim leben und Sozialhilfe beziehen. Sozialstaatsrat Arnold Knigge wertete diese Angleichung an Verfahren anderer Kommunen als eine notwendige Änderung, „um bei der Steuerung der Sozialhilfeleistungen gerechter vorgehen zu können.“ Und doch versprechen sich auch sozialdemokratische Abgeordnete nun nicht ein deutliches Plus im Bremer Sozialhaushalt. So weiß man beispielsweise von den Erfahrungen anderer Kommunen, dass die Personalkosten für den Prüfaufwand die Einnahmen durch zahlende Eltern beziehungsweise zahlende Kinder nicht wirklich decken. Weswegen die Bremer Grünen auch davon ausgehen, dass das neue Verfahren vor allem zur Abschreckung diene.
Von einem Startschuss zur „Jagd auf die letzten Reserven vermeintlicher Unterhaltspflichtiger“ spricht unterdessen Thomas Beninde von der agab. Denn das medienwirksame Beispiel vom 30-jährigen Porschefahrer, der seiner Mutter nicht finanziell unter die Arme greift, sei realistisch eher selten. „Treffen wird es die Schichten, deren Einkommen in den unteren Bereichen liegen.“ Zwar haben die selten genug Geld, um schließlich zahlen zu müssen, doch setze man hier wohl darauf, dass Scham bewirke, dass Anspruchsberechtigte erst gar keinen Antrag stellen – um Angehörigen womöglich nicht auf der Tasche zu liegen. Dann sei auch das Sozialamt von Pflichten befreit. Mit diesem Schritt werde die durch Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne gesellschaftlich verursachte Armut privatisiert. Über 24.000 Haushalte mit rund 40.000 Personen seien von der Neuregelung betroffen. Dabei handele es sich um Unterhaltspflichtige, deren volljährige Kinder keine Ausbildung machen und nicht in einer Einrichtung leben oder behindert sind. Erwachsene Kinder müssten damit rechnen, für Sozialhilfeleistungen an die Eltern herangezogen zu werden, solange diese noch keine Rente beziehen. ede
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