Soziales Kulturprojekt: Warten auf ein Wunder
Der Werkstattprojekt Linienhof in Mitte steht vor dem Aus. Vor dem Landgericht wird gegen die Räumung prozessiert
Der winzige grün vertäfelte Saal im Landgericht am Tegeler Weg ist nicht gemacht für so viel Publikum. Eine weitere Bank muss geholt werden, ein Zeugenstuhl wird zweckentfremdet. "So viele Leute sind hier sonst nur beim Schulbesuch", bemerkt der Vorsitzende Richter. Die meisten der etwa 15 Zuschauer sind jung, einige tragen Piercings. Es ist ihr Projekt, um dessen Zukunft es am Montagmorgen geht: der Linienhof an der Kleinen Rosenthaler Straße. Auf dem sonst brach liegenden Grundstück befindet sich ein autonom verwalteter Werkstatthof, der nun Wohneinheiten weichen soll.
Gebastelt und getanzt
Schon seit 1991 wird hier laut einem Blog der Nutzer "gemeinsam gebastelt, getanzt und diskutiert". Lange hat das niemanden gestört - der Linienhof konnte in Absprache mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte das Grundstück kostenfrei nutzen. 2007 allerdings wurde es von einem Privatmann gekauft, der mitten in der schick gewordenen Spandauer Vorstadt ein Mehrgenerationenhaus bauen wollte. Er bestritt eine kontinuierliche Nutzung des Grundstücks, auch ein ansässiger Stadtplaner kannte den Linienhof als Projekt nicht. Gespräche über eine gemeinsame Nutzung verweigerten die Künstler offenbar. Inzwischen im Verein "Kathedral" organisiert, wehrten sie sich drei Jahre lang gegen den Abriss der Werkstattbaracken und die Räumung des Grundstücks. Hilfe bekamen sie dabei aus dem Internet: Verschiedene Blogs prangerten die Räumung als weitere Vertreibung eines sozialen Kulturprojekts in Berlin an. Demonstrationen und Soli-Konzerte wurden organisiert.
Nun scheint alles umsonst gewesen zu sein - die Möglichkeit einer weiteren Teilnutzung der Fläche durch den Linienhof ist seit Montag so gut wie vom Tisch. Die KLES GmbH, die das Grundstück in diesem Jahr erworben hat, will nun die Räumung der Fläche gerichtlich durchsetzen und so schnell wie möglich mit dem Abriss der Baracken und dem Wohnungsbau beginnen.
Im Landgericht sind beide Parteien zusammengekommen, um über eine etwaige Vergleichslösung zu verhandeln. Ursprünglich hatte der Kathedral e. V. gegen die Zwangsräumung des Grundstücks geklagt. In einem Vergleich hätte der Großteil des Grundstücks mit Wohneinheiten bebaut werden können, eine kleine Fläche wäre dem Werkstattprojekt zur Pacht überlassen worden. Diese auch vom zuständigen Richter gewünschte Lösung scheitert jedoch am Widerstand der KLES GmbH.
Karin Schopp, Geschäftsführerin von KLES, argumentiert in der Verhandlung mit der Wohnbebauungspflicht, die das Bezirksamt Mitte der KLES auferlegt habe. Eine Teilnutzung für Werkstätten sei damit ausgeschlossen, so Schopp. Grundsätzlich sei die KLES GmbH zwar befugt, das Grundstück räumen zu lassen, da die unentgeltliche Nutzung gewissermaßen einen Leihvertrag darstelle, der vom Eigentümer sofort beendet werden könne - so der laut eigener Aussage mit dem Projekt sympathisierende Vorsitzende Richter. Moritz Heusinger, Anwalt von Kathedral e. V., sieht die Verantwortung für das Scheitern der Vergleichslösung dennoch beim Grundstückseigentümer. "Man hätte versuchen können, die Bebauungspflicht aufzuheben. Daran hat die Gegenseite aber keinerlei Interesse gezeigt", so Heusinger. Auch die anwesenden Kathedral-Mitglieder sind enttäuscht über die "aalglatten" KLES-Vertreter, wollen sich aber vorerst nicht weiter äußern. Pläne für eine Zeit nach dem Linienhof haben sie offenbar nicht.
Urteil in zwei Wochen
In zwei Wochen wird ein Urteil über die Klage von Kathedral erwartet, schon kurz darauf könnte mit der Räumung des Linienhofs und dem Abriss der Werkstattbaracken begonnen werden. Auch Anwalt Heusinger sieht kaum noch Chancen für das seit 20 Jahren bestehende Projekt: "Um die Räumung jetzt noch abzuwenden, müsste schon ein Wunder geschehen."
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