Soziales Engagement in Berlin: Ein taz-Artikel zeigt Wirkung
Der Bericht über eine Kamerunerin, der die Arbeitserlaubnis verweigert wurde, berührt 2008 eine taz-Leserin. Sie wird aktiv und hilft.
Manche Geschichten brauchen lange bis zum Happy End. So wie diese hier. 2008 berichtete die taz Berlin von einer jungen Frau aus Kamerun, Carole H. Sie saß kurz vor Weihnachten mit ihrer kleinen Tochter in einer kalten, fast unmöblierten Wohnung in Reinickendorf. Die damals 30-Jährige hatte kein Geld mehr und wusste nicht weiter. Im Juni war sie aus Lyon nach Berlin gezogen, in der Tasche ein Arbeitsvertrag von BASF. Sie hatte nicht gedacht, dass es damit Probleme geben könnte, denn sie hatte bereits von 1998 bis 2003 in Deutschland gelebt, hier ein Studium angefangen, bevor sie 2003 nach Frankreich ging, um fertig zu studieren.
Doch als sie nun zurückkehrte, gab ihr die Ausländerbehörde keine Arbeitserlaubnis, weil die Arbeitsagentur H.s Studienabschluss aus Frankreich nicht anerkannte. H. konnte ihren Job nicht antreten, musste vom Ersparten leben – obwohl BASF die ausgeschriebene Stelle in der Buchhaltung, für die Französisch-Kenntnisse gebraucht wurden, mehr als ein halbes Jahr lang nicht anders besetzen konnte, weil sich niemand Passendes fand.
Diese Geschichte las seinerzeit Stefanie Nadler. Was dann passierte, erzählen sie und H. 14 Jahre später im Zoom-Interview. Ein persönliches Treffen wäre zu kompliziert gewesen, denn H. lebt inzwischen in Paderborn.
Stefanie Nadler: Als ich die Geschichte von Carole damals las, habe ich gleich in der taz angerufen, ob ich irgendwie Kontakt bekommen kann. Außer mir hatte sich noch ein Leser gemeldet, der auch bis heute in Kontakt ist mit Carole. Es war kurz vor Weihnachten, ich habe Spielzeug, Möbel und Geld im Freundeskreis und in der Familie gesammelt und zu Carole gebracht. Daraus ist eine Familienfreundschaft geworden, und wir sind zusammen mit allen Höhen und Tiefen durch sämtliche Behörden gegangen – mit einem sehr schönen Ergebnis.
taz: Erstmal war es aber nicht so schön, der Job bei BASF war ja weg.
Carole H.: Ja, der war irgendwann weg. Ich musste erst mal versuchen, überhaupt wieder eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu bekommen: Mehr als zwei Jahre hat das gedauert. Mit Steffis, also Frau Nadlers, Hilfe konnte ich zum Glück einen Anwalt nehmen. 2011 durfte ich wieder studieren – nicht arbeiten! Ich musste ein paar Fächer nachholen, weil sie ja mein Studium aus Frankreich nicht anerkennen wollten. Justus, der andere taz-Leser, hat mir einen Studenten-Job besorgt, bei einer Energiesparberatung, da habe ich auch nach dem Studium noch gearbeitet. 2013 hatte ich endlich meinen Bachelor. Das ging alles nur, weil Frau Nadler eine Bürgschaft für mich und meine Tochter übernahm und unseren Lebensunterhalt finanzierte.
Wie haben Sie sich damals gefühlt?
Carole H.: Es war wirklich eine schwere Zeit, ohne Hilfe hätte ich das nicht geschafft. Ich fühlte mich wie ein Mensch ohne Rechte: Ein Deutscher oder Franzose hätte ja sofort in dem Job arbeiten dürfen. Aber obwohl sich kein anderer dafür fand, durfte ich ihn nicht machen. Da fühlt man sich nicht als Mensch.
Frau Nadler, warum hat Sie diese Geschichte so angesprochen, dass Sie aktiv wurden?
Stefanie Nadler: Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich habe das gelesen und dachte, da muss etwas passieren. Vielleicht, weil ich eine besondere Nähe zu Afrika habe und selbst alleinerziehend war. Da konnte ich mir Caroles Lage gut vorstellen. Ich spende sonst auch viel für Projekte, aber dies hier war etwas anderes: eine unmittelbar wirksame Hilfe. Es gab schnell diesen persönlichen Kontakt, das war schön mit Carole, eine kulturelle und menschliche Bereicherung.
Ging es Ihnen eher um die direkte Hilfe oder prinzipiell um diese Ungerechtigkeit mit der verweigerten Arbeitserlaubnis?
Stefanie Nadler: Es ging erst mal darum, das Akute zu beheben. Ich habe nur gedacht: kalte Wohnung, kleines Kind, Weihnachten vor der Tür. Später hat mir der Anwalt abgeraten, eine Bürgschaft zu übernehmen – weil man dann für den Unterhalt zuständig ist und das möglicherweise ein Leben lang, wenn Carole zum Beispiel später keinen Job gefunden hätte. Ich habe das trotzdem gemacht und die Aufgabe auf viele Schultern verteilt. Ich habe einen tollen Freundeskreis, und jeder hat, was er konnte, monatlich dazu beigetragen – über die gesamte Studienzeit. Carole hat auch sehr zügig studiert, das war beruhigend. Und wir sind zusammen gewachsen, haben Familienfeste zusammen gefeiert, die Kinder meines Bruders haben sich mit Caroles ältester Tochter angefreundet. Meine Eltern – sie sind inzwischen tot – wurden so etwas die Großeltern von Carole.
Stefanie Nadler, 70, ist von Beruf Ärztin für Allgemeinmedizin und Homöopathie. Sie lebt in Zehlendorf. Über den taz-Artikel „Die gefragte Expertin, die kaltgestellt wird“, wurde sie 2008 auf Carole H. aufmerksam.
Carole H., 44, arbeitet in der Softwareentwicklung und lebt mit ihrer Familie in Paderborn. Seit 2018 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie hat kürzlich einen Verein gegründet, der im Dorf ihrer Großmutter in Kamerun Brunnen bohren möchte, damit die Menschen dort wieder kostenloses Wasser bekommen können, nachdem ein Konzern die Wasserrechte gekauft hat. Infos zum Verein KOSI n.e.V. gibt es auf Facebook.
Wie ist das für Sie, Frau H.? Ist es Ihnen unangenehm, dass Sie Frau Nadler zum Dank verpflichtet sind? Oder ist das okay, weil Sie längst zur Familie gehören?
Carole H.: Ich fühle mich nicht verpflichtet, weil wir fast wie eine Familie zusammengewachsen sind. Natürlich bin ich dankbar für das, was Steffi gemacht hat. Ihr verdanke ich, was ich heute erreicht habe, meinen tollen Job – ich bin inzwischen in der Softwareentwicklung als IT-Testmanagerin tätig. Ich habe jetzt auch mein Haus gebaut hier in Paderborn. Dabei hat es Zeiten gehabt, wo ich nicht mehr an mich geglaubt habe und verzweifelt war. Steffi hat dann gesagt: Das schaffst du. Dieses Vertrauen, das sie in mich hatte, hat mir Mut gegeben, weiterzumachen. Und das möchte ich auch gerne anderen mitgeben: Man sollte nie aufgeben, auch wenn es mal richtig schlecht läuft im Leben. Man muss dranbleiben, weiter hart arbeiten, und am Ende wird alles gut.
Stefanie Nadler: Mir ist klar geworden, welche wichtige Rolle die taz hat, wenn sie über persönliche Schicksale und konkrete Ungerechtigkeit berichtet – und wie befriedigend es sein kann, sich als LeserIn einzumischen.
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