piwik no script img

Soziale SpaltungNachts der Totentanz

Die Hamburger Hafencity hat den Ruf, ein Neubaugebiet der Reichen und Schönen zu sein. Michael Klessmann kämpft mit seiner "Hafencity-Zeitung" dagegen an.

Ist in der Hafencity angekommen: Zeitungsmacher Michael Klessmann. Bild: Thomas Joerdens

HAMBURG taz | Michael Klessmann sieht von seinem Küchentisch im vierten Stock alle Top-Attraktionen der Hafencity, Hamburgs neuem Stadtteil an der Elbe. Rechts stapeln sich interessant schief die Stockwerke des 55 Meter hohen Edelwohnturms "Marco Polo Tower" im Dunst. Der Blick nach links gleitet durch Neubaulücken und bleibt an den roten Klinkersteinen der alten Speicherstadt hängen - das spitzgiebelige Baudenkmal aus dem 19. Jahrhundert begrenzt das neue Viertel zur Stadtmitte. Wenn Michael Klessmann den Kopf dreht und durchs hintere Fenster seiner Wohnung schaut, fällt eine milchglasige Konstruktion auf - die Elbphilharmonie. Das neue Konzerthaus mit Hotel droht immer teurer und niemals fertig zu werden.

Die Hafencity ist derzeit Europas größter entstehender Stadtteil. Seit acht Jahren wächst sie auf dem ehemaligen Freihafengelände zwischen Elbe, Altstadt und Elbbrücken. Außer Wohn- und Bürohäusern sind eine U-Bahn-Linie geplant, außerdem eine Uni, Schulen, Sport und Freizeitanlagen, Kultureinrichtungen, Läden, Restaurants und Hotels.

Bis Mitte der 2020er Jahre soll das Gröbste geschafft sein. Dann gibt es auf 157 Hektar Wohnraum für 12.000 und Arbeit für mehr als 45.000 Menschen. Von diesen Zielmarken ist das Projekt noch weit entfernt. In ihrer Zwischenbilanz zählt die für die Entwicklung zuständige Hafencity Hamburg GmbH 8.400 Angestellte, die sich auf 300 ansässige Unternehmen verteilen. Darunter sind die Spiegel-Gruppe, SAP, Unilever, Reedereien und Speditionen. Gemeldet sind in der Hafencity aktuell 1.700 Bewohner, einer von ihnen ist Michael Klessmann.

Der IT-Berater zog vor vier Jahren mit seiner damaligen Frau in eine Dreizimmer-Wohnung am Kaiserkai. "Ich habe Wasser im Blut", sagt er, er surft, segelt, fährt Motorboot. Schon immer habe er vom Wohnen am Wasser geträumt, sagt er. "Hier ist immer Bewegung. Schauen Sie, jetzt ist Flut. Bei Ebbe sinkt das Wasser dreieinhalb Meter. Bei Sturm bilden sich Schaumkronen auf dem Wasser."

Es war so um 2005, als der 48-Jährige erstmals über die brachliegende Landzunge stiefelte. Seine Fantasie beflügelten vereinzelte Rohbauten und Bauschilder, die die neue Hafencity anpriesen. Michael Klessmanns Traum vom Wohnen am Wasser nahm Gestalt an, als die Baugenossenschaft, in der er Mitglied ist, auf dem Gelände ein Neubauprojekt ankündigte. Seitdem hat sich die Hafencity rasant verändert - und Klessmanns Leben auch: Er begann eine zweite Karriere als Journalist.

Es fing damit an, dass er die Riesenbaustelle fotografierte und die Fotoserien online stellte. Dann begann er Texte zu schreiben. Und irgendwann fragten Nachbarn: "Kannst du das nicht auch drucken?" So entstand die Hafencity Zeitung. Seit September 2009 liegen monatlich 12.000 Exemplare des 48-seitigen Gratisblatts, das sich über Anzeigen finanziert, in Cafés, Restaurants, auf den Empfangstresen der Firmen und in der benachbarten Innenstadt. Nächstes Jahr soll die Auflage auf 15.000 steigen.

Die Zeitung macht Michael Klessmann neben seinem Computerjob, drei feste Schreiberinnen aus der Nachbarschaft helfen mit. Der Herausgeber, Chefredakteur, Fotograf und Stadtteilreporter in Personalunion will informieren und Vorurteile abbauen vom Neubaugebiet der Reichen und Schönen.

"Klar, Porsche ist hier schon der Golf", sagt Opel-Fahrer Klessmann. Und wer es sich leisten kann, zahlt für den Luxusbuden-Quadratmeter im Marco Polo Tower mehr als 10.000 Euro. Doch dies sei in der Hafencity nicht Standard, sagt Klessmann. Die Mehrzahl der Hafencity-Einwohner - inklusive er selbst - seien "Mittelstand", die Kaltmieten lägen zwischen knapp 9,50 und 18 Euro für den Quadratmeter. Mit Glück fände man Eigentumswohnungen mit einem Quadratmeterpreis unter 3.000 Euro. Ohne Wasserblick.

In den etwa 1.300 fertig gestellten, meist um 100 Quadratmeter großen Wohnungen lebten überwiegend Doppelverdiener-Paare und Frührentner der Fraktion 55 plus, sagt Klessmann. Erstere seien unter der Woche in alle Winde verstreut und kämen erst am Wochenende nach Hause, letztere zögen nachts nicht unbedingt um die Häuser. So erklärt er, dass auf die Touri-Horden am Tag der allabendliche Hafencity-Totentanz folgt.

Für Singles und Familien fehlten in der Hafencity passende Wohnungen und ein kinderfreundliches Umfeld, sagt Klessmann. Daran änderten auch ein Spielplatz und eine Grundschule mit Kita nichts. Von den 200 Schülern kämen gerade 28 aus dem Hafencity-Kiez.

Michael Klessmann lebt gut in der Hafencity. In der Tiefgarage trifft er sich mit Nachbarn für Rocksessions, am Wochenende schippert er über die Kanäle. Samstagseinkäufe dauern oft mehrere Stunden, weil er von einem Schnack in den nächsten schlittert. Michael Klessmann sitzt am Küchentisch in seiner Wohnung, er schaut aufs Wasser und sagt: "Hier will ich alt werden."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

6 Kommentare

 / 
  • B
    bert

    eigentlich bin ich ja ein heimlicher fan der hafencity-architektur.meinetwegen könnte das ganze ruhig noch spektakulärer,individueller und protziger aussehen-stört mich überhaupt nicht.(rein optisch)

    was mich allerdings stört- das kein wohnraum für menschen ohne porsche mehr zu finden ist und der senat nichts dagegen tut,dafür aber unmengen kohle in die elbphilharmonie investiert.

    genauso stört es mich das der kiez genauso geleckt und langweilig werden soll wie die bewohner der angrenzenden hafencity.

    ich habe nichts gegen reichenviertel,so lange nicht alle anderen darunter zu leiden haben

  • A
    affenmann

    reich und schön hin oder her...stadtentwicklung mit der brechstange is numal nich für jeden was, dafür muss man halt stumpf genug sein. da ändert auch die zeitung von einem schwer sympathischen motorbootfahrer mit "wasser im blut... (ach echt? ich glaub dass is sogar der hauptbestandteil)" nichts...

  • A
    ahoi

    ich weiß nicht was einem dieser artikel sagen soll?da wohnt also ein netter mensch unter lauter arroganten yuppies,die einen als "sozialneider" beschimpfen, wenn man die verschwendung von hamburger steuergeldern ankreidet die nur besserverdienern zu gute kommen.

    es ist doch augenwischerei zu behaupten das in der hafencity die mittelschicht wohnt um 3 sätze vorher zu sagen, das der porsche hier der golf ist.

    für mich ist der porsche noch kein mittelstands-auto,oder habe ich da was verpasst?

    mich stört dieses reichenviertel eigentlich gar nicht.viel schlimmer finde ich es, das man als geringverdiener nicht mehr innenstadtsnah wohnen kann und generell zu wenig sozialer wohnraum geschaffen wird.

    am meisten stört mich die verdrängung der alteingesessenen kiez-bewohner in pauli und altona.

    alles muss so sein und aussehen, wie der yuppie sich das vorstellt.

    euch die hafencity-uns st. pauli!

  • B
    bert

    eigentlich bin ich ja ein heimlicher fan der hafencity-architektur.meinetwegen könnte das ganze ruhig noch spektakulärer,individueller und protziger aussehen-stört mich überhaupt nicht.(rein optisch)

    was mich allerdings stört- das kein wohnraum für menschen ohne porsche mehr zu finden ist und der senat nichts dagegen tut,dafür aber unmengen kohle in die elbphilharmonie investiert.

    genauso stört es mich das der kiez genauso geleckt und langweilig werden soll wie die bewohner der angrenzenden hafencity.

    ich habe nichts gegen reichenviertel,so lange nicht alle anderen darunter zu leiden haben

  • A
    affenmann

    reich und schön hin oder her...stadtentwicklung mit der brechstange is numal nich für jeden was, dafür muss man halt stumpf genug sein. da ändert auch die zeitung von einem schwer sympathischen motorbootfahrer mit "wasser im blut... (ach echt? ich glaub dass is sogar der hauptbestandteil)" nichts...

  • A
    ahoi

    ich weiß nicht was einem dieser artikel sagen soll?da wohnt also ein netter mensch unter lauter arroganten yuppies,die einen als "sozialneider" beschimpfen, wenn man die verschwendung von hamburger steuergeldern ankreidet die nur besserverdienern zu gute kommen.

    es ist doch augenwischerei zu behaupten das in der hafencity die mittelschicht wohnt um 3 sätze vorher zu sagen, das der porsche hier der golf ist.

    für mich ist der porsche noch kein mittelstands-auto,oder habe ich da was verpasst?

    mich stört dieses reichenviertel eigentlich gar nicht.viel schlimmer finde ich es, das man als geringverdiener nicht mehr innenstadtsnah wohnen kann und generell zu wenig sozialer wohnraum geschaffen wird.

    am meisten stört mich die verdrängung der alteingesessenen kiez-bewohner in pauli und altona.

    alles muss so sein und aussehen, wie der yuppie sich das vorstellt.

    euch die hafencity-uns st. pauli!