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„Soziale Abfederung einer Abschiebung“

Eine Delegation von Flüchtlingsräten aus Nordrhein-Westfalen besuchte Kosovo und Mazedonien/Untersucht werden sollte die politische Lage in Gebieten, in die die Landesregierung geflüchtete Albaner und Roma zurückschicken möchte  ■ Aus Kosovo Erich Rathfelder

Was passiert, wenn Flüchtlinge aus dem Süden Jugoslawiens wieder zurück in ihre Heimat geschickt werden? Angesichts des ab Anfang Juli drohenden Abschiebeprogramms, das zunächst für 250 der insgesamt über 3.000 Roma und 1.000 Albaner aus Nordrhein-Westfalen gelten soll, versuchte eine Delegation des dortigen Flüchtlingsrats dieser Frage nachzugehen.

Unvoreingenommen wollten sie sein und erst vor Ort zu einem Urteil kommen. Angeführt von dem Bundestagsabgeordneten des Bündnis 90, Gerd Poppe und dem MDL der Grünen in Düsseldorf, Michael Vesper, sowie Vertretern von Flüchtlingsräten, fuhren die 16 Teilnehmer vom 16. bis 19.Juni in die mehrheitlich von Albanern bewohnte Region Kosovo und in die mazedonische Hauptstadt Skopje. Dort, wo etwa 40.000 Roma leben, sollen die ersten Wohncontainer aufgestellt werden. Bei der nach außen hin gut klingenden Vorstellung der Landesregierung, mit dem sozialen Begleitprogramm die Reintegration der Flüchtlinge sicherzustellen, wurde nach Ansicht der meisten Delegationsteilnehmer zwar von der richtigen Voraussetzung ausgegangen, nämlich der, das Flüchtlingsproblem in den Heimatländern anzupacken. Doch, so ließ Michael Vesper durchklingen, liege ein Dissenz von vornherein vor allem in der Tatsache, daß die freiwillige Einwilligung der Flüchtlinge in dem Programm ausgeschlossen ist. Wer nicht mitmacht, wird eben ohne Begleitprogramm abgeschoben: ein unhaltbarer Zustand und ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte.

Schon am ersten Tag der Reise bekam die Delegation einen Vorgeschmack von der Schärfe der nationalistisch motivierten Spannungen in Kosovo. In Pristina, der Hauptstadt der zu Serbien gehörenden, einstmals autonomen Region, wollte ein Teil der Delegation am letzten Montag das Hospital besuchen. Schon vor dem Eingang wurden die Deutschen von schwerbewaffneten serbischen Polizisten angehalten, drei Mitglieder der Delegation mußten vorübergehend mit auf die Wache kommen. Dennoch gelang es Fakten zu sammeln: die meisten albanischen ÄrztInnen sind entlassen. In der Chirurgie arbeiten von 19 Ärzten nur noch acht, die meisten von ihnen sind Serben. In der gynäkologischen Abteilung waren im Vorjahr 12.552 Geburten zu verzeichnen, erklärte der entlassene ehemalige Chef der Abteilung, Binek Kastrati. Ab 30.April dieses Jahres hätten nur noch 800 Frauen ihre Kinder dort zur Welt gebracht, aus Angst, sie würden nicht richtig behandelt werden. Ist das eine Psychose, eine übersteigerte Reaktion? Vielleicht. Tatsache ist, daß die hohe Geburtenrate der Albanerinnen den serbischen Behörden ein Dorn im Auge ist. Die neue Politik besteht jedenfalls programmatisch darin, die für Serben ungünstigen demographischen Entwicklungen — schon leben 90 Prozent Albaner in der Region — durch den Zuzug von Serben zu beieinflussen.

Albanische Lehrer werden einfach nicht bezahlt oder wie die allermeisten Polizisten aus dem Dienst entfernt. In Stari Trg, der berühmten Bergarbeitersiedlung, deren Belegschaft mehrmals mit Streiks gegen die Abschaffung der albanischen Autonomierechte durch die serbischen Behörden protestiert hatte, wurden im August letzten Jahres fast sämtliche albanischen Arbeiter, genau 2.701, entlassen. Ohne jegliche Unterstützung leben die Familien noch in den heruntergekommen und viel zu kleinen Werkswohnungen. Doch schon jagen sich die Gerüchte, denen gemäß die Familien auch diese bescheidenen Behausungen verlieren werden. Als Arbeitskräfte wurden Roma aus Bosnien angeworben.

Auch in der Bergarbeitersiedlung BellaqueviciiMadh konnte sich die Delegation einen Eindruck von der Repression gegen die albanische Bevölkerung verschaffen. In dem nahegelegenen Braunkohlewerk, dessen Tagebergbau den größten Teil des Bodens des Dorfes verschlang, wurden im Oktober letzten Jahres über 2.000 Albaner entlassen, im Dorf sind 483 seither arbeitslos. Hinzu kommt der tägliche Terror, der Tod eines elfjährigen Jungen, der am 27. Mai beim Kühehüten von Serben ermordet und verstümmelt wurde, hat die Menschen an den Rand der Verzweiflung gebracht.

Die Liste ähnlicher Informationen ließe sich noch lange fortsetzen. Am zweiten Tag der Reise war für Michael Temme vom Flüchtlingsrat Bielefeld die Frage nach dem ökonomisch-politischen Umfeld, in das die Flüchtlinge zurückkehren sollten, geklärt. „Wie sollen Flüchtlinge, die aus Angst vor erneuten Verhaftungen oder auch lediglich aus dem Grund, dem Elend zu entfliehen, nach Deutschland gekommen sind, hier wieder Fuß fassen?“ Britta Jünemann, Sprecherin des Flüchtlingsrates Nordrhein-Westfalen, faßte diesen Eindruck gegenüber den serbischen Offiziellen, die der Delegation die Gelegenheit geben wollten, den serbischen Standpunkt kennenzulernen, zusammen: „Ich könnte nicht ruhig schlafen, wenn ich Kenntnis von solchen Menschenrechtsverletzungen hätte.“

Für den Finanzminister der Regierung der Provinz, Simovic, werden die Flüchtlinge von den albanischen seperatistischen Organisationen nur eingesetzt, um die Lage in Kosovo dem Ausland gegenüber zu dramatisieren. Wer sich auf den Boden der serbischen Verfassung stelle — die die kollektiven Rechte der Albaner negiert — hätte nichts zu befürchten, die individuellen Rechte würden gewahrt. Welcher Staat würde es hinnehmen, daß die Lehrer einer Minderheit offen gegen die Verfassung aufträten und die Kinder im „seperatistischen Geist“, erzögen? Kosovo koste den Staat täglich eine Million Dollar Zuschuß, erklärte Herr Begovic vom Belgrader Unterrichtsministerium: Damit hätte der Staat das Recht, über die Lehrpläne zu bestimmen. Kosovo sei serbisches Land, so klang es durch alle Äußerungen, die Albaner hätten sich dem Willen der serbischen Bevölkerung und Führung zu beugen.

Wie brisant die politische Entwicklung zu werden droht, erfuhr die Delegation in Gesprächen mit Adem Demaqui, einem Schriftsteller, der fast drei Jahrzehnte aus politischen Gründen im Gefängnis saß. Die Albaner seien nicht mehr bereit, die Unterdrückung weiter hinzunehmen und forderten eine eigene Republik im Staate Jugoslawien. Wenn Jugoslawien zerfällt, erwäge man, sich Albanien anschließen, erklärte Ibrahim Rugova, Präsident der größten albanischen Partei. (Siehe taz-Interview vom Samstag.) Daß Serbien dies hinnimmt, ist andererseits nicht anzunehmen. „Die Flüchtlinge würden in eine Vorkriegssituation zurückgeschickt,“ zog der Bielefelder Ivo Glaser das Fazit über Kosovo.

Anders als die Albaner, die immer noch über Land und politische Strukturen verfügen, ist die Lage der Roma in Jugoslawien fast aussichtslos geworden. „Mit dem weiteren Ansteigen des Nationalismus fürchte ich um die Existenz meines Volkes“, erklärte der Päsident der Weltromaunion, Raijk Djuric, der Delegation. Das von dieser besuchte Roma-Lager in der mazedonischen Hauptstadt Skopje, wo 40.000 Menschen leben, gleicht in allen Erscheinungsformen einem Slum der Dritten Welt: In Wellblechhütten und aus Holz und Pappe gebastelten Verschlägen vegetieren die meist arbeitslosen Bewohner dahin. „Die übergroße Mehrheit der Jugendlichen hat keine Perspektive“, klagte ein Vertreter der Roma. Das Rückführprogramm sei bisher ohne jegliche Beteiligung ihrerseits zwischen NRW und der mazedonischen Regierung ausgehandelt worden. Und die sei, so der Eindruck des Flüchtlingsratssprechers Harald Löhlein nach dem Gespräch mit dem mazedonischen Finanzminister, vor allem interessiert an ausländischen Investitionen für Mazedonien und nicht für ein spezielles Programm in Bezug auf die Roma. Mit den vorgesehenen 12 Millionen Mark könne aber angesichts des gewaltigen Elends kaum etwas ausgerichtet werden. „Das Rückführprogramm erweist sich als noch absurder als ich dachte. Wenn die Container neben den Slums aufgestellt werden und ein Minimum an finanzieller Unterstützung fließt, wird die Flüchtlingswelle nach NRW ansteigen, weil jeder in den Genuß der Hilfe kommen will.“ Es würde also ein gegenteiliger Effekt als der gewünschte eintreten. Was ihm von der Reise als Erkenntnis bleibt, sei, daß das Programm nichts anderes bedeute als eine „soziale Abfederung der Abschiebung“ und so nicht begrüßt werden könne.

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