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Sozialamt: Armutsverwaltung per Computer

SachbearbeiterInnen wollen Einführung/Auch der neue Sozialversicherungsausweis erschwert den Leistungs-„Mißbrauch“  ■ Von Frank Holzkamp

In Hamburg steht die Einführung zum Beginn nächsten Jahres an, in Bremen ist die Entwicklungsphase abgeschlossen. Berlin ist interessiert, andere Kommunen und Städte werden folgen: Der Computer hält Einzug in die Sozialämter. Volle Gänge auf dem Sozialamt, schleppende Auszahlung und genervte Klienten — kein Wunder, daß der Einsatz der elektronischen „Hilfe zur Sozialhilfe“, „Prosoz“, nach Vorführungen in Bremen und Berlin von den SachbearbeiterInnen herbeigesehnt wird. Dank der „elektronischen Akte“ verkürzt sich die Bearbeitungszeit pro Fall, lästiges Doppeltausfüllen von Formularen entfällt, und der in Sekunden erstellte Antrag kann per Schreibtisch-Drucker sofort ausgegeben werden.

Angelo Wehrli, der sich für die Hamburger Grün-Alternative Liste mit der Verwaltungsautomatisierung auseinandersetzt, hält dem entgegen, daß die ersehnte Zeitersparnis und Arbeitsvereinfachung genauso gut zu neuem Streß führen kann — indem dank des Kollegen Computer mehr Fälle pro Sachbearbeiterin abgewickelt werden müssen. Für die Behörden sei dies wegen der steigenden Zahl der SozialhilfeempfängerInnen und Ebbe in den Personalkassen verlockend. In Hamburg könnte gar die Zahl der Sozialamtsbeschäftigten von 1.200 auf 1.000 sinken.

Auch die SozialhilfeempfängerInnen selbst seien gezwungen, ihren Teil in die Spardose „Prosoz“ zu werfen. Die entstehenden riesigen Datensammlungen, noch dazu maschinell auswertbar, machen es leicht, den „Mißbrauch“ von Leistungen auszuschließen — dabei sind Mogeleien auf dem Sozialamt für viele die einzige Möglichkeit, das Sozi auf eine erträgliche Summe aufzurunden. Der Widerspruch gegen den Bescheid wird wegen der „Objektivierung“ durch den Computer erschwert — der Ermessensspielraum der SachbearbeiterInnen durch die vom Rechner gemachten Vorschläge eingeengt, so die weiteren Befürchtungen.

Der Datenbestand bei den Sozialbehörden dürfte auch den Appetit von Polizei und Justiz wecken, wird den dort Gespeicherten doch unterstellt, leicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Aus dem Sozialcomputer läßt sich erfahren, wann der Gesuchte das nächste Mal sein Sozi abholt; einer Festnahme vor der Tür des Amtes steht nichts mehr im Wege — außer der geltenden Gesetzeslage, die solche Art von Zweckentfremdung ausschließen soll.

Die GegnerInnen der Sozialverdatung wollen, wenn sich der Computereinsatz schon nicht mehr verhindern läßt, die Behörden wenigstens dazu bringen, vor der Einführung der neuen Technik erst einmal die Sinnhaftigkeit der bestehenden Verwaltungsorganisation und vor allem die Unzahl von abschreckenden Vorschriften und Gesetzen zu prüfen, die momentan die Sozialhilfevergabe regeln. Eine entsprechende Initiative wurde von der GAL in Hamburg gestartet, bei der Berliner AL steht sie zur Diskussion an.

Denn wäre das Antragsverfahren vereinfacht, in dem beispielsweise statt des komplizierten Errechnens von Einzelposten wie Mietzuschlägen und Kleidergeld eine großzügigere Sozialhilfepauschale gezahlt würde, könnte sich der Papierkrieg teilweise von selbst erledigen — die Frage des Rechnereinsatzes wäre dann zweitrangig. Für eine Reform der Sozialhilfegesetzgebung, so die KritikerInnen, fehle es aber an politischem Willen.

In einem anderen Fall der Computerisierung des Sozialwesens war der Wille der Gesetzgeber in Bonn eindeutiger: Ab Juli nächsten Jahres wird der Sozialversicherungsausweis (SVA) eingeführt. Auch hier sind besonders die Schlechtverdienenden ins Visier genommen. Als problematisch bewertet Hartmut Friedrich vom Insitut für Informationsökologie (IKÖ) vor allem die mögliche flächendeckende Kontrolle direkt am Arbeitsplatz, die wiederum das Erschleichen von Leistungen und Schwarzarbeiten erschwerden soll.

Nebenbei die Stütze aufzubessern wird durch den SVA schwieriger. Ab 1. Juli 1991 erhalten dann auch „geringfügig Beschäftigte“, die unter 470 Mark im Monat verdienen, wenn schon nicht gleich die Plastikkarte, so doch eine Rentenversicherungsnummer und müssen vom Arbeitgeber angemeldet werden.

Die Folge: Durch Abgleich mit den Dateien anderer Verwaltungen läßt sich wieder der „Mißbrauch“ des sozialen Netzes verhindern, der für Mini-Verdiener oft die Lebensgrundlage bildet. Und, so Hartmut Friedrich, die Weiße-Kragen-Delikte wird der SVA nicht verhindern. Denn GutverdienerInnen sind nicht bei den Rentenversicherungen gemeldet. Der Professor, der eine Buchveröffentlichung nicht der Steuer meldet, wird das auch in Zukunft gefahrlos tun können. Ebensowenig werden die Drahtzieher der organisierten Schwarzarbeit einen SVA in der Tasche haben.

Weitere Informationen bei:

Angelo Wehrli, c/o GAL Hamburg, Bahrenfelderstr. 244, 2000 Hamburg 50, und beim Institut für Informationsökologie (IKÖ), Wittenerstr. 139, 4600 Dortmund

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